Planung mit Risiko
Nach schmerzhaften Abgängen: Wie stark ist der Kleeblatt-Kader für die neue Saison?
31.07.2024, 15:35 Uhr
Traditionell ist in Fürth immer etwas mehr Bewegung im Kader als bei vielen Konkurrenten in der 2. Bundesliga, Jahr für Jahr verlassen zahlreiche Leistungsträger den Ronhof - so auch vor der kommenden Saison: Mit Jonas Urbig, Robert Wagner, Tim Lemperle und Armindo Sieb hat das Kleeblatt vier absolute Stammspieler verloren. Außerdem wurden mit Oussama Haddadi und Lukas Petkov zwei Spieler verabschiedet, die zwar selten überzeugten, aber dennoch eine wichtige Rolle im Kader innehatten und regelmäßig spielten.
Rachid Azzouzi und sein Team haben also einmal mehr alle Hände voll zu tun, um ein neues, schlagkräftiges Team zusammenzustellen. Bis zum 30.08. ist das Transferfenster noch geöffnet, es bleibt also noch Zeit, um die Kaderplanung zu finalisieren. Schon zum jetzigen Zeitpunkt verzeichnet die Spielvereinigung einige Neuzugänge. Wir haben die Neuen in den Fokus genommen: Welche Rolle können die Sommer-Transfers übernehmen? Wie stark ist das Kleeblatt in den einzelnen Mannschaftsteilen besetzt? Und auf welchen Positionen könnte die Spielvereinigung noch nachlegen?
Tor: Schweres Erbe für den nächsten Youngster
Jonas Urbig eroberte die Herzen der Kleeblatt-Fans in der vergangenen Saison im Sturm - und das, obwohl er nur für ein Jahr ausgeliehen war: Mit furiosen Paraden hielt er der Spielvereinigung mehr als einmal die Punkte fest, entsprechend groß ist das Loch, das seine Rückkehr nach Köln in die Fürther Hintermannschaft reißt. Füllen soll diese Lücke erneut ein Leihspieler: der 23-jährige Nahuel Noll, der für ein Jahr von der TSG Hoffenheim ausgeliehen wurde, für deren zweite Mannschaft er in den letzten drei Jahren das Tor in der Regionalliga Südwest hütete.
Die Fußstapfen, in die Noll treten soll, sind extrem groß. Selbst wenn sich der neue Fürther Keeper gut entwickelt, wäre es mehr als überraschend, wenn er an Urbigs herausragende Leistungen anknüpfen könnte. Was der Leihgabe des 1. FC Köln in Fürth zugutekam: Im Gegensatz zu Noll hatte Urbig bei seiner vorherigen Leihstation, dem SSV Jahn Regensburg, bereits ein halbes Jahr Zweitligaerfahrung sammeln können. Auch deshalb muss sein Nachfolger sich - im wahrsten Sinne des Wortes - gewaltig strecken, wenn er auf einem ähnlichen Niveau abliefern will wie Urbig.
Abwehr: viel Auswahl - und viel Qualität
Die Abwehr ist der einzige Mannschaftsteil, in dem die Spielvereinigung keinen absoluten Leistungsträger verloren hat. Wohl auch deshalb hat man mit Matti Wagner (1. FC Köln II, ablösefrei) und Reno Münz (Bayer Leverkusen U19, ebenfalls ablösefrei) bislang lediglich zwei Nachwuchstalente für die Defensive verpflichtet. Dass der 18-jährige Münz und der 19-jährige Wagner die Konkurrenzsituation im Kader unmittelbar beleben, darf bezweifelt werden - beide brauchen wohl Zeit zur Entwicklung und werden diese auch bekommen.
Auf den defensiven Außenbahnen herrscht trotz des Abganges von Oussama Haddadi ein regelrechtes Überangebot: Für die linke Seite stehen Nico Gießelmann, Kerim Calhanoglu und eben Matti Wagner zur Verfügung, für die rechte Seite Simon Asta, Marco Meyerhöfer und Oualid Mhamdi. Gut möglich also, dass es auf dieser Position noch zu Bewegung kommt: Calhanoglu und Mhamdi etwa haben kaum Chancen auf Einsatzzeiten, ihre Abgänge wären alles andere als überraschend.
Und auch Marco Meyerhöfer könnte sich nach einem neuen Verein umsehen: dem Rechtsverteidiger droht bei einem Verbleib Simon Astas, dessen Vertrag per Option um ein Jahr verlängert wurde und der unter Zorniger gesetzt ist, entweder die Bank - oder der Konkurrenzkampf um eine fachfremde Position im Abwehr- oder Mittelfeldzentrum. Für einen Spieler seines Niveaus eine äußerst unbefriedigende Situation, die einen Abgang zumindest nicht undenkbar erscheinen lässt.
Mittelfeld: Wer ersetzt Antreiber Wagner?
Im Mittelfeld ist das Kleeblatt seit Jahren extrem stark besetzt. Gelingt es Julian Green, seine sensationelle Form vor seiner Sprunggelenksverletzung im Februar wiederzufinden, bilden der US-Amerikaner und Kapitän Branimir Hrgota erneut eine der stärksten Mittelfeldachsen der 2. Bundesliga. Auf der dritten Mittelfeldposition muss das Kleeblatt nach dem Abgang von Robert Wagner einen herben Verlust verkraften. Einen Ersatz für den umtriebigen Sechser haben Azzouzi & Co. bislang nicht verpflichtet, vielmehr scheinen sie in Person von Philipp Müller ein Eigengewächs als neuen Sechser ausgemacht zu haben.
Der 20-Jährige war in den Vorbereitungsspielen erste Wahl im defensiven Mittelfeld. Mit Müller als designiertem Wagner-Nachfolger in die Saison zu gehen, würde allerdings nicht einem gewissen Risiko entbehren: Bislang spielte der Youngster abgesehen von sechs Zweitliga-Einsätzen in der vergangenen Saison nur in der Regionalliga. Weil Orestis Kiomourtzoglou sich als absolutes Missverständnis entpuppt hat und unbedingt verkauft werden soll, fehlt es jedoch an Alternativen fürs defensive Mittelfeld - es sei denn, das Kleeblatt schlägt noch einmal auf dem Transfermarkt zu.
Eine Verstärkung hat das Kleeblatt auf den Flügelpositionen erhalten: Roberto Massimo, der zuletzt beim VfB Stuttgart unter Vertrag stand, läuft ab der kommenden Saison für die Spielvereinigung auf. Der Flügelflitzer ist eigentlich für die offensiven Außenbahnen in einem 4-4-2 prädestiniert, kann allerdings - wie in der Vorbereitung bereits geschehen - auch auf den Schienenpositionen in einem 5-3-2-System spielen. Der 23-Jährige überzeugt vor allem durch sein Tempo und seine Technik, allerdings blickt er auf eine lange Verletzungshistorie zurück - wie fit Massimo ist, wird sich erst im Saisonverlauf zeigen.
Nach Siebs Abgang: Wer ist der nächste Zehn-Tore-Stürmer?
Armindo Sieb war in der letzten Saison mit zwölf Toren der treffsicherste Fürther Angreifer - entsprechend groß ist die Lücke, die der 21-Jährige nach seinem Abgang hinterlässt. Mit Dennis Srbeny hat das Kleeblatt eigentlich schon zur vergangenen Saison einen Stürmer verpflichtet, dem man eine ähnliche Anzahl an Treffern zutraute, doch der Ex-Paderborner konnte die hohen Erwartungen nicht ansatzweise erfüllen. Selbst jetzt, in Abwesenheit von Armindo Sieb, ist Dennis Srbeny deshalb längst kein Stammplatz im Angriff sicher - auch, weil das Kleeblatt neue Konkurrenz für den 30-Jährigen verpflichtet hat.
Mit Noel Futkeu und Marlon Mustapha schnüren in der kommenden Saison zwei junge Angreifer mit großem Potenzial ihre Schuhe für die Spielvereinigung. Futkeu lieferte in den Vorbereitungsspielen bereits eine verheißungsvolle Kostprobe seiner Treffsicherheit, muss diese aber noch im Ligabetrieb nachweisen. Denn bislang spielte der 21-Jährige nur in der Regionalliga - dort wusste er in der vergangenen Saison immerhin mit 16 Treffern in 26 Partien zu überzeugen.
Der zweite Neuzugang, Marlon Mustapha, kennt die 2. Bundesliga bereits: In der vergangenen Rückrunde war er an Fortuna Düsseldorf verliehen. Für die Fortunen kam er allerdings nur zehn Mal zum Einsatz - und sogar nur zweimal von Anfang an. Zugutehalten muss man dem 23-Jährigen allerdings, dass die Konkurrenz im Angriff der Rheinländer immens groß war - und dass er trotz vornehmlicher Jokerrolle zwei Treffer erzielte und ein weiteres Tor vorbereitete.
Zusammen mit den beiden Neuverpflichtungen stehen fünf Stürmer im Kader des Kleeblatts - ein ähnliches Überangebot wie auf den Außenverteidigerpositionen. Gut möglich, dass Leander Popp und Dennis Pfaffenrot deshalb vornehmlich für die zweite Mannschaft der Spielvereinigung in der Regionalliga auflaufen. Auch eine Leihe der talentierten Nachwuchsstürmer wäre denkbar.
Fazit: Viel Potenzial, aber ein zumindest vorläufiger Qualitätsverlust
Der Kader für die neue Saison birgt einmal mehr viel Entwicklungspotenzial: Nahuel Noll im Tor, Philipp Müller im Mittelfeld, Noel Futkeu im Angriff - an hoffnungsvollen Talenten fehlt es der Mannschaft bei Weitem nicht, Azzouzi und Zorniger bestreiten den Fürther Weg mit aller Konsequenz. Dennoch muss man feststellen, dass der Kader - zumindest vorläufig - einen Qualitätsverlust im Vergleich zur Vorsaison hinnehmen musste.
Denn Robert Wagner, Tim Lemperle und Jonas Urbig hatten allesamt vor ihrer Zeit in Fürth bereits Spiele in der Bundesliga oder der 2. Bundesliga absolviert und konnten sich entsprechend schnell an das Leistungsniveau anpassen. Bis auf Marlon Mustapha und Roberto Massimo hat das Kleeblatt vor der kommenden Saison jedoch ausschließlich Spieler verpflichtet, die zuvor nur in der Regionalliga oder im Jugendbereich aktiv waren.
Riskant, auch wenn man in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit Regionalligaspielern gemacht hat - Anton Stach oder Marco Meyerhöfer etwa haben sich ansatzlos zu Leistungsträgern beim Kleeblatt entwickelt. Eigentlich ist eine derart schnelle Entwicklung aber eher die Ausnahme als die Regel, viele der Neuen werden wohl Zeit brauchen, bis sie sich an das Niveau der 2. Bundesliga gewöhnt haben - und bis sie der Mannschaft wirklich helfen können.
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