Corona-Pause im Kraftdreikampf überwunden

Starke Frauen holen fünf EM-Medaillen nach Oberölsbach

27.8.2021, 10:51 Uhr
Starke Frauen holen fünf EM-Medaillen nach Oberölsbach

© Foto: Hans Stepper/SC Oberölsbach

Dass sie einmal auf fremde Kosten ins tschechische Pilsen fahren würde, um in einem ummöblierten Hotel-Festsaal Gewichte zu stemmen, ahnte Sofia Walter vor vier Jahren nicht im Ansatz. "Ich habe nie einen konkreten Plan gehabt, wo alles hinführen wird", erklärt die heute 24-Jährige, die sich im Mai 2017 aus einer Laune heraus erstmals im Kraftdreikampf ausprobierte. Bis dato hatte sie sich seit der Jugend dem Fußballspiel beim FC Sindlbach verschrieben, suchte nur zum Ausgleich das Fitness-Studio des SC Oberölsbach auf.


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Unter Anleitung von Marc Polster, Trainer und Sportlicher Leiter, rückte dieser Ausgleich jedoch bald in den Vordergrund. "Mir gefällt es, auf ein messbares Zeil hinzutrainieren", berichtet Walter, die schnelle Erfolge erzielte. Nach nicht einmal einem Jahr kürte sie sich zur Deutschen Junioren-Meisterin und empfahl sich für den Nationalkader, als dessen Mitglied sie im September 2019 an der Nachwuchs-WM in Kanada teilnahm.

Ihre Form konnte die Fern-Studentin der Medien- und Kommunikationswirtschaft in der ungewissen Corona-Phase dank der regelmäßigen, bis zu vier wöchentlichen Einheiten à zwei bis drei Stunden mit Bundestrainer Marc Polster am zertifizierten Oberölsbacher Stützpunkt einigermaßen konservieren. Aber die wettkampf-spezifischen Abläufe "haben zwischenzeitlich überhaupt nicht mehr funktioniert", sagt Walter. Gerade rechtzeitig und "wichtig für den Kopf" ergab sich beim Bayernliga-Vergleich in Forchheim eine einzige Chance zur Generalprobe vor dem ersten internationalen Auftritt bei den Erwachsenen.

Die übliche Anspannung paarte sich mit dem Umstand, dass der Verband für Anfahrt und Übernachtung seiner Vorzeige-Asse komplett aufkommt und dennoch praktisch bis zuletzt mit einer Absage gerechnet werden musste. "Ich habe versucht, mich von den äußeren Begebenheiten nicht ablenken zu lassen und mir keinen Druck zu machen", schildert Sofia Walter ihre mentale Herangehensweise. So wusste sie etwa gut zu verdrängen, dass die Maskenpflicht von der Konkurrenz nicht immer so streng eingehalten wurde wie in Deutschland.

Die wenigen Schritte vom Fahrstuhl auf die Bühne nutzte sie tatsächlich, um zum größten Erfolg ihrer bisherigen Karriere auszuholen. Mit drei gültigen Versuchen auf 225 kg in der Kniebeuge stellte die Oberölsbacherin einen neuen deutschen Rekord auf und behauptete sich damit in der Gewichtsklasse bis 76 kg überraschend auf Platz 3. "Ein schönes Extra", freut sich die 24-Jährige über die Bronzemedaille in ihrer Sahnedisziplin, die höchstens dadurch etwas geschmälert wurde, dass Top-Nationen wie Finnland, Russland und Großbritannien aufgrund von Quarantäne-Bestimmungen nicht antreten konnten und Favoritinnen aus Osteuropa eine längere Anreise in den Knochen steckte.

Während Walter mit einer weiteren persönlichen Bestmarke im Bankdrücken (120 kg) aufhorchen ließ und ihr Gesamtergebnis (515 kg, Platz 6) mit 170 kg im Kreuzheben abrundete, sicherte sich Vereinskollegin Anja Schreiner sogar vier zweite Plätze in sämtlichen Einzelkategorien und der Gesamtwertung (410 kg, deutscher Rekord in der Gewichtsklasse bis 47 kg). Im Bankdrücken verweigerte die Jury dem Gold-Versuch von 112,5 kg die Anerkennung.

Männer-Riege zollt Respekt

Die Leistungen der körperlich zierlichen, sportlich allerdings umso erfahreneren Schreiner dienen Sofia Walter als doppelte Referenz. Einerseits widerlegen sie das Klischee vom testosteron-dominierten Mucki-Sport. "Man muss es niemandem ansehen, dass er gut im Kraftdreikampf ist. Es geht mehr um Technik statt Kraft", sagt Walter, die von einem auf gegenseitigem Respekt basierendem Geschlechterverhältnis im Nationalteam spricht. Andererseits sieht das Oberpfälzer Küken in ihrer Trainingspartnerin vor allem handwerklich ein Vorbild. "Sie ist gefühlt schon ewig dabei. Wir verstehen uns gut und spornen uns an."

Bei der nahenden Westeuropa-Meisterschaft in Luxemburg aber hält zunächst nur Anja Schreiner die Vereinsfahne hoch. Für Sofia Walter genießt der Studienabschluss Priorität. Danach "habe ich noch einige Jahre Zeit, mich zu beweisen. Es ist noch Luft nach oben"

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