Zauberhafte Kunststücke auf dem Einrad

19.9.2015, 06:00 Uhr
Mit dem Trial-Einrad kann Emily Abendschön sogar durchs Gelände fahren. Ihre Kür ist sie mit einem Freestyle-Einrad gefahren.

© Berny Meyer Mit dem Trial-Einrad kann Emily Abendschön sogar durchs Gelände fahren. Ihre Kür ist sie mit einem Freestyle-Einrad gefahren.

Als Emily Abendschön zum ersten Mal bei einer Süddeutschen Meisterschaft angetreten ist, hat sie die anderen Mädchen bewundert. Es gab Mädchen, die Tricks mit dem Einrad zeigten, von denen Emily nicht einmal wusste, das es sie gibt. Und die sie niemals würde nachmachen können.

Vier Jahre später ist Emily wieder zu einer Meisterschaft gefahren. Auch dort hat sie andere Mädchen bewundert. Doch vor allem haben andere sie bewundert. Denn die meisten Tricks, von denen die Zwölfjährige nie dachte, dass sie sie jemals beherrschen würden, kann sie mittlerweile so gut wie kaum eine andere in Europa.

Die Heroldsbergerin hat bei der EM im Einrad Freestyle im italienischen Mondovi zwei Titel geholt. In der Einzelkür gelang ihr ein fast perfekter Auftritt zum Song „Money Money“ von Abba. Die zweite Goldmedaille sicherte sie sich mit der deutschen Formation — und das, obwohl Emily mit ihren zwölf Jahren in der Altersklasse U15 noch zu den jüngeren zählt.

Zu ihrem sechsten Geburtstag bekam Emily ihr erstes Einrad. „Ich habe auf der Straße ein Kind damit gesehen und wollte es auch ausprobieren.“ Zehn Tage später konnte sie schon einigermaßen fahren. „Sie hatte einfach ein Gespür dafür“, erinnert sich Emilys Mutter, Anja Abendschön, heute.

Weil immer nur die Straße vor dem Haus auf und ab zu fahren irgendwann zu langweilig wurde, meldete sich Emily im Verein an. Beim TSV Neunkirchen am Brand gab es eine Trainingsgruppe. „Dort habe ich den Aufstieg gelernt“, sagt Emily. Während die meisten Hilfe beim Losfahren brauchen, kann sie es mittlerweile alleine. Und nicht nur das: „Es gibt verschiedene Aufstiegstechniken.“

Auch die Anzahl der Tricks ist scheinbar endlos. Emily kann auf ihrem Einrad hüpfen, nur mit einem Bein fahren, den Sattel nach vorne fallen lassen, die Füße überkreuzen. Die Schwierigkeit ist dabei, alle Tricks so flüssig wie möglich aneinander zu reihen. „Es muss leicht aussehen, auch wenn es sehr schwierig ist.“

Tatsächlich sieht es auf den ersten Blick sehr leicht aus, wie Emily ihre Arme ausbreitet und lächelt, während ihre Füße wilde Sachen mit dem einen Reifen machen. Doch wer schon einmal versucht hat, auf einem Einrad geradeaus zu fahren, weiß, wie schwierig erst diese Tricks sein müssen. Die Heroldsbergerin trainiert mittlerweile zweimal pro Woche drei Stunden im Verein. Zusätzlich fährt sie Einrad daheim. Manchmal übt sie auch im Wohnzimmer — zum Leidwesen ihres Papas.

Kreuz und quer durch den Wald

Dabei trainiert sie meist mit ihrem Freestyle-Einrad, das größtenteils aus Aluminium besteht. Schön leicht also, um gut damit Tricks machen zu können. Weil man für eine Kür, die mehrere Minuten dauert, auch Ausdauer braucht, hat Emily noch ein Trial-Einrad. Der Reifen sieht aus wie der eines Mountenbikes. „Damit fahre ich im Wald.“ Auf einem Einrad über Stock und Stein? „Ja, mit diesem geht’s.“ Das dritte Einrad ist ein Hocheinrad, auf dem man sehr viel höher sitzt als auf anderen. Damit allerdings kann man keine Tricks machen. „Manchmal brauche ich es für eine Kür.“

Ähnlich wie im Eiskunstlaufen zeigen Einradfahrer bei Meisterschaften eine Kür, Kunststücke und Bewegungen passend zur Musik. „Es kommt nicht nur auf die Technik an, sondern auch auf den Ausdruck“, sagt Anja Abendschön. Zusammen mit ihren Trainern sucht Emily die Musik aus und überlegt, welche Tricks in welcher Reihenfolge passen könnten.

Bei der Europameisterschaft hat die Zwölfjährige 35 Tricks gezeigt. „In der Wertung der Präsentation war sie mit Abstand die beste“, sagt Anja Abendschön. „Bei der Technik belegte sie Rang drei.“ Insgesamt hat das für Gold gereicht. Dabei spielt auch das Kostüm, von den Abendschöns in Handarbeit gefertigt, eine Rolle. Zu „Money Money“ trug Emily eine goldene Weste und einen Hut. An einer Stelle hat sie sogar Geldscheine durch die Halle geworfen.

Bis Emily einen Trick bei einer Meisterschaft zeigt, vergeht gut ein Jahr. „Ich gucke mir vieles bei Turnieren ab oder von Videos im Internet.“ Dann übt sie. Zehnmal, fünfzigmal, hundertmal. „Erst klappt es bei einem von zehn Versuchen, dann bei drei von zehn.“ Erst wenn der Trick zu 100 Prozent funktioniert, baut Emily ihn in eine Kür ein. Denn bei Meisterschaften muss er auch klappen, wenn sie aufgeregt ist. „Und das bin ich schon immer noch.“

Vorbilder hat Emily dabei immer noch. „Ich gucke mir Videos von Nina Herzog an.“ Die 18-Jährige hat bereits die deutsche Meisterschaft und die Weltmeisterschaft gewonnen. „Im Landeskader trainiere ich mir ihr zusammen“, sagt Emily. Dort übt sie bereits mit Mädchen im Alter bis zu 19 Jahren. Nina Herzog zeigt dann immer Tricks, von denen Emily nicht einmal wusste, das es sie gibt. Und die sie niemals wird nachmachen können. Niemals? In vier Jahren vielleicht.

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