Stille Beobachter

15.5.2020, 20:17 Uhr
Stille Beobachter

© Foto: David Laurens/colourbox.com

Wenn sie etwas gefragt werden, starren sie auf den Boden, in einer fremden Umgebung verstecken sie sich hinter Mama oder Papa, fühlen sich merklich unwohl, und in der Schule melden sie sich nur ungern. Wenn Kinder schüchtern sind, ist das nicht immer nur eine harmlose Charaktereigenschaft. Denn diese Kinder haben häufig ein geringes Selbstbewusstsein, sind unsicher und ängstlich.

Auch wenn die Nürnberger Paar- und Familientherapeutin Eva-Maria Hesse betont, dass nicht jedes zurückhaltende Kind gleich schüchtern sein muss. "Schüchternheit fängt da an, wo sich ein Kind schwer damit tut, eigene Bedürfnisse zu artikulieren, aber auch, wenn es Schwierigkeiten hat, auf Fragen zu antworten."

Auch muss nicht jedes Kind vor Selbstbewusstsein strotzen, aber wer sich aus schwierigen Situationen immer zurückzieht, etwa weil er Angst hat, von anderen Kindern gehänselt zu werden, Konfrontationen ausweicht und am liebsten unsichtbar wäre, läuft Gefahr, sich selbst mehr und mehr zu blockieren.

Mehr noch: "Schüchternheit kann eine Qual sein. Denn diese Kinder spüren ja, dass sie zum Beispiel jemanden grüßen sollten, es aber nicht schaffen und einfach nicht dazu in der Lage sind", sagt Eva-Maria Hesse. Das erzeuge bei den Kindern dann Stress und Druck.

Fremdeln ist normal

Dabei ist in einem bestimmten Alter Schüchternheit durchaus ganz normal und gesund. So "fremdeln" die meisten Kinder ab dem achten Lebensmonat – manche massiv. Doch dies ist auch Ausdruck von einer innigen Bindung zu den Eltern. In dieser Lebensphase verunsichern fremde Menschen und Umgebungen – wie gesagt: eine Phase. Nicht so bei schüchternen Kindern. Dabei zeigen Mädchen nicht unbedingt immer häufiger dieses Verhalten als Jungen. Nur haben die es damit erheblich schwerer im Alltag, wie Eva-Maria Hesse weiß. "Bei Jungen wird Schüchternheit weniger akzeptiert." Jungs würden dann schnell als "Weichei" beschimpft.

Warum manche Kinder schüchterner sind als andere, ist eine Frage der Veranlagung, aber auch des jeweiligen Umfelds. "Wenn Eltern etwa sehr dominant und leistungsorientiert sind, haben Kinder Angst, etwas falsch zu machen, und ziehen sich zurück", so die Familientherapeutin. Zum anderen würden Kinder auch am Modell lernen – am gelebten Vorbild ihrer Eltern. Aber auch Umbrüche, wie etwa eine neue Schule, ein Umzug in eine neue Stadt oder die Trennung der Eltern, können solche Verhaltensweisen durchaus ebenfalls beeinflussen.

Dabei brauchen diese Kinder vor allem eines: Selbstvertrauen. Das entsteht zunächst dadurch, dass Eltern dem Kind, entsprechend des jeweiligen Alters, Verantwortung übertragen, ob nun mit der Sorge für ein Haustier oder dass sie es beispielsweise zum Bäcker schicken, um alleine Brötchen zu holen. "Auch das Körpergefühl spielt eine große Rolle. Durch Sport, aber auch das Spielen draußen entwickeln Kinder ein Gefühl für sich selbst", so Eva-Maria Hesse. Auch der Kontakt zu anderen Kindern ist wichtig für das Selbstvertrauen – und das Gefühl, von den Eltern an- und ernst genommen zu werden.

Wenn Schüchternheit nicht zur Blockade führt, nicht pathologisch wird, kann sie durchaus auch Vorteile mit sich bringen. Schüchterne Menschen wirken auf ihre Umwelt oft tiefgründiger und damit auch sensibler – angenehm zurückhaltend.

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