Tipps zum Durchhalten

Anzeichen erkennen: Wann Schlafmangel bedrohlich wird

3.2.2023, 12:06 Uhr
Um wenig Schlaf zu bekommen, muss man gar nicht unbedingt Party machen. Oft lenken uns auch unsere eigenen Geräte ab.

© IMAGO / photothek Um wenig Schlaf zu bekommen, muss man gar nicht unbedingt Party machen. Oft lenken uns auch unsere eigenen Geräte ab.

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Was für eine Party, die Nacht ist zum Morgen geworden, irgendwann hat jemand die Musik leiser gedreht, die Party ist zu Ende - aber Sie sind noch wach. So oder ähnlich sieht das aus, wenn man feiert und durchmacht. Wie schafft der Körper das? Und wie oft und lange geht sowas, bis es der Gesundheit schadet?

Die gute Nachricht: Grundsätzlich ist das Durchmachen kein Problem, denn der Körper hält einiges aus und kann sich schnell regenerieren - wenn Sie es richtig angehen.

"Man hat mindestens 48 Stunden Zeit, um den Schlafmangel auszugleichen", sagt Alfred Wiater von der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM). "Erholsamer Schlaf und Lebensfreude können sich insofern ergänzen."

Klar, Sie sind müde und müssen andauernd gähnen. Nach einer durchgemachten Nacht bettelt der Körper förmlich um Schlaf. Wie sich das äußert:

  • Konzentrationsschwierigkeiten: Sich nach einer Party mit komplizierten Dingen zu befassen, ist keine gute Idee. Auch wichtige Entscheidungen sollten Sie vertagen. Denn: Das Urteilsvermögen leidet, so Schlafforscher Wiater.
  • Probleme beim Lesen und Sprechen: An einer wichtigen Konferenz oder einer Diskussionsrunde teilzunehmen, ist eine ebenso schlechte Idee, weil es mit der Artikulation und dem Entziffern der Slides schwierig werden könnte.
  • Reizbarkeit: Auch auf Ihre Soft Skills können Sie nicht setzen. Denn Sie stehen unter Stress. Weil die Stresshormone Cortisol und Adrenalin mehr als sonst ausgeschüttet werden, pumpt das Herz, der Blutdruck ist hoch und Sie spüren ein allgemeines Anspannungsgefühl, sagt Susanne Diekelmann. Sie ist Schlafforscherin und Privatdozentin für Kognitive Neurowissenschaften an der Uni Tübingen.
  • Heißhunger: Es kann sich ein erheblicher Appetitzuwachs einstellen, sagt Alfred Wiater. Wenn der Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinanderkommt, funktioniert die Hunger- und Sättigungs-Regulation nicht mehr so gut, sagt Susanne Diekelmann.
  • Frösteln: Nicht ausgeschlossen, dass Sie außerdem bibbern. Denn dass die Körpertemperatur sinkt, gehört ebenfalls zu den Auswirkungen von Schlafdeprivation, wie Experten den Entzug nennen.
  • Kopfschmerzen: Das eine Glas Bier oder der eine Old Fashioned allein können es doch nicht gewesen sein? Stimmt. Es braucht nicht unbedingt Alkohol. Allein der Schlafentzug kann dafür sorgen, dass Ihnen der Schädel brummt, sagt Expertin Diekelmann.
  • Schläfrigkeit, die sich laut den Schlafexperten in kurzen Aussetzern und Sekundenschlaf zeigt. Nach einer Party bis in den Morgen sollten Sie sich deshalb nicht hinters Steuer setzen - auch wenn Sie keinen Tropfen Alkohol getrunken haben.

"Bereits nach 17 bis 19 Stunden ohne Schlaf sind Leistungseinbußen zu erwarten, vergleichbar mit einem Blutalkoholspiegel von 0,5 Promille", sagt Alfred Wiater.

Nacht ohne Schlaf - ein Beispiel gefällig?

Sind Sie am Tag der Feier um 7 Uhr morgens aufgestanden und halten bis zum nächsten Mittag durch, kommen fast 30 Stunden zusammen. Die Reaktionsfähigkeit leidet wie bei rund einer Promille Blutalkohol. "Das ist beachtlich", sagt Susanne Diekelmann.

Noch beachtlicher - im negativen Sinne - sind die Folgen, wenn die Party kein Ende findet. Wenn der Schlafentzug anhält, sind die sich verschlimmernden Auswirkungen laut Schlafforscher Wiater:

  • Desorientierung
  • visuelle Fehlwahrnehmungen
  • Apathie
  • schwere Lethargie
  • sozialer Rückzug

Welche Auswirkungen sich wie deutlich zeigten, hänge stark von der körperlichen Verfassung ab, ergänzt Psychologin Diekelmann: "Was auf jeden Fall nach einer längeren Zeit ohne Schlaf irgendwann eintritt, sind Halluzinationen."

So kommt es dazu: Wenn wir nicht schlafen, fällt auch eine der wichtigsten Funktionen des Schlafes weg - das langfristige Abspeichern von tagsüber Erlebtem und Erlernten.

Die Schlafforscherin erklärt den Prozess so: Im Schlaf werden diese Inhalte noch einmal abgespielt, um sie zu verarbeiten. Diese Gedächtniskonsolidierung nennen Schlafforscher "neuronales Replay". Bei dem Vorgang werden auch unwichtige Informationen ausgesiebt.

"Bei längerem Schlafentzug startet das Gehirn das Replay im Wachzustand, und man kann nicht mehr auseinanderhalten, was Realität ist und was nicht." Der Effekt, der irgendwann auch zu einem völligen Bruch mit der Realität führen kann, trete nach etwa zwei Tagen ein. So lange sollten Sie natürlich besser nicht wach bleiben.

Wegen des Replay-Mechanismus ist vor einer langen Nacht auch eine ausgiebige Lern-Session verschwendeter Ehrgeiz. Denn mit einer ordentlichen Dosis Schlaf können Sie sich Studien zufolge das Erlernte besser merken. Fehlt der Schlaf, verpufft das neue Wissen eher.

Dass Sie überhaupt bis zum nächsten Morgen durchhalten, liegt daran, dass Sie auf Partys wahrscheinlich nicht bloß in der Ecke herumstehen. Dem Schlaf zu trotzen, ist laut Diekelmann gar nicht so einfach. Hilfreich sind etwa:

  • Koffein
  • körperliche Aktivität
  • sozialer Austausch

Je länger Sie also auf der Tanzfläche bleiben, sich angeregt unterhalten und hier und da mal an einer Cola nippen, desto besser klappt es mit dem Durchmachen.

Das heißt: Wenn Sie Ihrem Körper und Geist keine Chance geben, zur Ruhe zu kommen, schlafen Sie auch nicht ein.

Aber: Eine Nacht durchmachen, ganz ohne müde zu werden - "das geht nicht", sagt DGSM-Referent Wiater.

Wissen für den nächsten Party-Small-Talk:

Im Jahr 2007 ist der Brite Tony Wright elf Tage und Nächte lang wach geblieben - 266 Stunden. Weltrekord. Bitte nicht nachmachen!

Irgendwann wird es zappenduster, denn anhaltender Schlafentzug führt unweigerlich zum Tod: "Studien an Ratten haben gezeigt: Die sterben nach rund zwei Wochen an Infektionen", sagt Susanne Diekelmann.

Weil mit dem Schlafdefizit das Immunsystem einknickt, könne der Organismus Viren und Bakterien nicht mehr in Schach halten.

"Die Studienergebnisse lassen sich größtenteils auf den Menschen übertragen, weil sich Mensch und Ratte genetisch ähnlich sind", sagt die Forscherin. Sie schätzt, dass ein Mensch, der gar nicht schläft, nach zwei bis drei Wochen sterben würde.

Es mit einer Party so zu übertreiben, wie im Experiment mit den Ratten, ist natürlich höchst unwahrscheinlich.

Realistischer ist, dass Sie gerne und häufig feiern. Und das ist grundsätzlich auch kein Problem.

"Mal eine Nacht durchfeiern, das ist kein Drama", sagt Schlafexpertin Diekelmann - "wenn man dem Körper die Gelegenheit gibt, den Schlaf nachzuholen". Wichtig sei, dass man kein dauerhaftes Schlafdefizit aufbaue. Also: Nach der Feier besser früh ins Bett und, falls möglich, auch länger schlafen!

Was man dem Körper mit zu häufigem oder anhaltendem Schlafentzug antut, will niemand haben. Schlafdeprivation kann krank machen oder Erkrankungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen stark begünstigen. Dazu zählen den Schlafexperten zufolge:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Bluthochdruck
  • Schäden an den Blutgefäßen
  • Übergewicht und Diabetes mellitus
  • erhöhtes Herzinfarktrisiko
  • erhöhtes Schlaganfallrisiko
  • ein marodes Immunsystem

"Bei Schlafentzug wird immunologisches Gedächtnis deutlich schlechter gebildet", erklärt Psychologin Diekelmann. Das mache anfälliger gegenüber Infektionen: "Ist zum Beispiel eine Erkältung im Anflug, kann ihr eine durchgemachte Nacht zum Durchbruch verhelfen. Mit Schlaf wäre das vielleicht nicht passiert." Das hätten Studien mit Nasenspray gezeigt, das Erkältungsviren enthielt.

Eine andere Studie hat ergeben, dass bei Schlafmangel auch Impfungen schlechter anschlagen. Untersucht wurde das im Zusammenhang mit einer Hepatitis-A-Impfung.

"Probanden der Kontrollgruppe, die wachgeblieben waren, bildeten weniger Antikörper und auch weniger Gedächtniszellen, die für Abwehrreaktionen sorgen", berichtet Diekelmann.

Sich die Spritze nach einer Feier setzen zu lassen, sei ohnehin keine gute Idee, da Schlafentzug auch zu einer vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen führt - die wiederum die Immunfunktionen unterdrücken beziehungsweise abschwächen.

Eine durchzechte Nacht zieht nicht automatisch gesundheitliche Folgen nach sich. Hin und wieder kommt der Körper damit schon klar. "Er holt sich irgendwann den Schlaf, den er braucht", sagt Diekelmann. Sie müssen es dann aber auch zulassen.

Nach einer Nacht ohne Schlaf kann ein kurzes Nickerchen Wunder bewirken, um den Tag durchzustehen.

Schon 20 bis 30 Minuten helfen dabei, sich körperlich und geistig zu regenerieren, sagt Schlafforscher Wiater. Zumindest erst mal - den Nachtschlaf ersetzt der Power Nap nicht.

Und was kann man noch tun?

Ein ohnehin guter Tipp ist immer: Viel trinken - und zwar Wasser. Außerdem hilfreich: eine gute Ernährung mit Lebensmitteln, die den Stoffwechsel anregen und dem Körper rasch Energie bereitstellen.

Wiater empfiehlt:

  • Zitrusfrüchte
  • Ingwer
  • Bananen
  • Nüsse
  • dunkle Schokolade
  • würziges Essen mit viel Chili

Natürlich sei auch Koffein ein guter Wachmacher. Doch Kaffee und belebende Tees sollten nur in Maßen und vor allem nicht zum Abend hin getrunken werden. Immerhin sollte es nach einer durchgemachten Nacht relativ zeitig ins Bett gehen.

Übrigens: Auch Tony Wright gelang sein Weltrekord nur mit gutem Essen. "Er wollte zeigen, dass ein Mensch trotz Schlafentzugs mit der richtigen Ernährung leistungsfähig bleiben kann", so DGSM-Referent Wiater. Um den Rekord selbst sei es ihm demnach weniger gegangen.

Susanne Diekelmann rät zu viel Tageslicht und Bewegung. Ein Spaziergang an der frischen Luft ist ein guter Wachmacher.

Auch nicht schlecht: Machen sie etwas, das ihnen Spaß macht und ihren Geist fordert. Zumindest zeitweise rückt so die Müdigkeit in den Hintergrund.

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