Geschärfte Sinne

Warum es wichtig ist, mit Kindern Achtsamkeit zu üben

25.11.2022, 11:22 Uhr

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Das große Kind braucht Unterstützung bei den Hausaufgaben, das jüngste möchte ein Buch vorgelesen bekommen. In der Vorbereitung für den nächsten Schultag geht alles drunter und drüber - am Ende sind alle gestresst.

Kinder sind heutzutage mit vielen Einflüssen konfrontiert. Sind sie überfordert, können sie vielleicht in der Schule weniger gut folgen, sind unausgeglichen und schlafen nicht gut. Für einen ruhigen und harmonischen Familienalltag kann es daher helfen, wenn Sie als Eltern mit Ihren Kleinen Momente der Achtsamkeit kultivieren.

"Achtsamkeit an sich beschreibt eine bewusste Aufmerksamkeitslenkung auf die gegenwärtigen Erfahrungen, ohne diese zu bewerten", sagt Sandra Schmiedeler vom Lehrstuhl für Psychologie der Uni Würzburg.

Das kommt im Alltag aber häufig zu kurz. Hier seien wir oft im sogenannten Mind-wandering, erklärt die Dozentin für Psychologie und Erziehungswissenschaften. Das bedeutet: 

  • Wir grübeln über Vergangenes nach.
  • Wir planen schon den Tag voraus.

Vieles laufe im Autopilotenmodus ab. Bei Achtsamkeit geht es darum, ein besseres Bewusstsein für das Hier und Jetzt zu entwickeln - und auch im Umgang mit den Kindern besser reagieren zu können.

Momente der Achtsamkeit sind der Expertin zufolge wichtig, weil wir uns dann zentrieren und unsere Bedürfnisse besser wahrnehmen können.

Die psychologische Forschung belegt Schmiedeler zufolge, dass das Üben von Achtsamkeit...

  • Stress lindert.
  • das psychische Wohlbefinden fördert.
  • mehr Lebenszufriedenheit bringt.
  • Angst- und depressivem Erleben entgegenwirkt.

Auch Kinder und Jugendliche können auf vielfältige Weise von Achtsamkeit profitieren. "Noch wissen wir über die Effekte bei Kindern zwar viel weniger als bei Erwachsenen", sagt Schmiedeler.

In Studien habe sich außerdem gezeigt, dass die Effekte von Achtsamkeitstrainings bei Kindern teilweise nicht so groß sind wie bei Erwachsenen. "Aber grundsätzlich führt Achtsamkeitstraining auch bei Kindern zu reduziertem Stresserleben", sagt die Expertin.

Das ist wichtig. Denn auch Kinder seien oftmals schon von Stress belastet. Durch die Herausforderungen der Corona-Krise wurde das häufig noch verstärkt. Zum Teil kämpfen auch Kinder schon mit Schlafschwierigkeiten. "Achtsamkeit kann bei Schlafproblemen eine hilfreiche Methode sein", sagt die Psychologin.

Das Üben von Achtsamkeit führt bei Kindern außerdem zur Verbesserung zentraler Denkleistungen. Die Aufmerksamkeit steigert sich, und auch das Arbeitsgedächtnis profitiert. "Das sind Faktoren, die für das Lernen relevant sind", sagt Schmiedeler.

Die Frage, wie sich Achtsamkeit bei Kindern körperlich auswirken kann, ist wissenschaftlich noch wenig betrachtet worden.

Bei Erwachsenen gibt es durchaus nachgewiesene Effekte. Dazu gehören:

  • reduzierter Blutdruck
  • weniger Schmerzempfinden
  • eine Stärkung des Immunsystems

Eines vorweg: Gerade wenn es besonders stressig ist, sollten Eltern und Familien nicht vergessen, sich um sich selbst zu kümmern. Ist die Zeit ohnehin knapp, bringe es nichts, Achtsamkeitsübungen zu machen und sich dafür extra Zeit zu nehmen, sagt Schmiedeler.

Die gute Nachricht: "Kinder sind aber eigentlich ohnehin Meister der Achtsamkeit", so die Expertin. Von Natur aus versinken sie in ihre Tätigkeiten, wenn sie etwa malen, basteln oder etwas bauen. "Dann zählt im Moment auch nur das. Kinder planen nicht gleichzeitig ihren Tagesablauf, wie das Erwachsene oft tun."

Tipp: Eltern können das unterstützen, indem sie ganz bewusst Räume dafür schaffen. Die Natur ist ebenfalls ein guter Ort, um gemeinsam mit den Kindern zu üben präsent zu sein.

Die Psychologin schlägt zum Beispiel folgendes vor:

  • Vögeln lauschen
  • Blumen bewundern
  • Steine befühlen
  • den Regen auf dem Gesicht spüren

Kinder springen in der Regel sofort drauf an, wenn Eltern ihre Sinne wecken, ganz besonders in der Natur.

Besonders gut eignen sich Rituale am Morgen oder Abend.

Das können ganz kleine Dinge sein. Beispiele:

  • Sich morgens im Bett räkeln, recken und strecken
  • Mit einem Guten-Morgen-Lied den Tag begrüßen
  • Innehalten vor den Hausaufgaben und drei tiefe Atemzüge nehmen
  • Vor dem Zubettgehen gemeinsam überlegen, was am Tag Schönes passiert ist und wofür man dankbar ist

Gemeinsame Momente als Familie nutzen

Um Achtsamkeit als Familie zu üben, eigenen sich Momente, in denen Sie ohnehin zusammenkommen - zum Beispiel beim gemeinsamen Essen.

So funktioniert's: Die Familie widmet sich ohne Medien, ohne Ablenkung und mit allen Sinnen dem Essen. Die Aufmerksamkeit lässt sich dabei ganz konkret lenken, wie Schmiedeler veranschaulicht: "Wie schmeckt das genau? Wie sieht die Erdbeere aus? Wie fühlt sie sich im Mund an?" All das schult die Achtsamkeit.

Noch ein Tipp: Familien können gemeinsame Zeit auch mit einem Ritual einläuten. Denkbar ist zum Beispiel ein kleines Gebet oder ein kurzes Innehalten oder Dankesagen.

Ja, das geht. "Achtsamkeit ist wie ein Muskel", sagt Schmiedeler. Wichtig ist, dass Sie als Eltern Ihre Kinder gezielt anleiten. "Als Eltern haben wir eine Vorbildfunktion."

Einfache Übungen können Sie schon mit kleinen Kindern machen:

  1. Atemübung mit Kuscheltier: Eltern eher jüngerer Kinder können Sohn oder Tochter ein Kuscheltier auf den Bauch legen. Während das Kind ein- und ausatmet, kann es beobachten, wie sich das Tier auf dem Bauch auf- und ab bewegt. Sind die Kinder schon älter, klappt es auch ohne Kuscheltier.
  2. Kleine Sitzmeditation: Eine kurze Sitzmeditation kann auch Kindern helfen, sich zu zentrieren. Experten raten zu maximal zwei Minuten.
  3. Fantasiereisen: Mit älteren Kindern oder Jugendlichen kann man sich gemeinsam auf eine gedankliche Fantasiereise begeben, etwa zu einer Trauminsel.

Für detaillierte Anleitungen oder geführte Übungen können Eltern auf Bücher, Hörbücher oder Übungen aus dem Netz zurückgreifen.

Psychotherapeutin Schmiedeler rät auch bei der Kommunikation in der Familie dazu, Achtsamkeit zu pflegen. "Wenn Sie sich mit Ihren Familienmitgliedern austauschen, achten Sie drauf, dies nicht immer zwischen Tür und Angel zu tun."

Es sollte immer mal wieder Momente geben, in denen sich Familienmitglieder wirklich zuhören, ohne innerlich bereits woanders zu sein.

"Besonders für Kinder ist es zentral, dass ihnen aktiv zugehört wird - also mit Neugierde, ohne zu bewerten und auch ohne direkt auf das Gesagte zu reagieren", sagt die Expertin.

Mindful Parenting: Achtsam als Eltern

Überhaupt lässt sich Ruhe und Harmonie in den Familienalltag bringen, wenn Sie als Eltern eine achtsame Haltung trainieren.

"Aus der Forschung wissen wir auch, dass Achtsamkeit insgesamt die Zufriedenheit steigert. Es geht darum, dass ich mehr Mitgefühl und Zufriedenheit gegenüber mir selbst und gegenüber anderen entwickele", sagt Schmiedeler.

So habe sich etwa gezeigt, dass Achtsamkeit die Zufriedenheit in der Partnerschaft und in anderen Beziehungen verbessere. Wer achtsamer ist, ist automatisch auch achtsamer gegenüber anderen. Das kommt den Kindern, dem Partner und der gesamten Familie zugute.

Es gibt inzwischen sogar Programme, die sich auf das sogenannte Mindful Parenting fokussieren. Laut Schmiedeler gibt es zur Wirksamkeit nur vergleichsweise wenige vorläufige Studien. "Die Mehrzahl der Studien zeigt aber einen vorsichtigen Trend, dass sich das Stressempfinden durch diese Programme verbessern kann."

Meister der Achtsamkeit: Von Kindern lernen

Übrigens: Wenn es Eltern gelingt, die Welt aus der Sicht Ihrer Kinder zu sehen, können Sie sich in Sachen Achtsamkeit viel von Ihnen abgucken, sagt der Achtsamkeitstrainer Mathias Gugel.

"Kinder haben die wundervolle Gabe, einen unmittelbar in den Moment zurückzuholen, wenn sie beispielsweise sehr vertieft sind in ein Spiel oder fasziniert einen Käfer beobachten."

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