Tod aus Kummer um den Laden

4.1.2021, 21:31 Uhr
Tod aus Kummer um den Laden

Warum das Geschäft in der Färberstraße, das einmal bis zu zehn Mitarbeitende beschäftigt hatte, dermaßen den Bach runtergegangen war – Neumann kann es auch heute nicht erklären. "Mein Traum war es immer gewesen, den Betrieb einmal zu übernehmen", sagt er. "Wir hatten auch schon einen fertigen Businessplan in der Schublade, wie wir den Laden langfristig aufstellen können."

Tod aus Kummer um den Laden

Aber der Vater wollte das nicht: "Er wollte mir und meinem Bruder das nicht antun, wie er sagte." Der Kummer um den Laden, ist Neumann überzeugt, war eine Ursache für den plötzlichen Tod seines Vaters. Nur wenige Tage vor dem Totalräumungsverkauf erlitt der damals erst 60-Jährige eine Gehirnblutung und lag tot im Büro.

"Von Kunst keine Ahnung"

Nach dem ersten Schock hatten der gelernte Werbekaufmann und sein Bruder Jörg, damals 26 Jahre und noch BWL-Student, zunächst nur ein primäres Ziel: die Schulden zu tilgen. Heißt: Die Ware aus der Galerie musste zu Geld gemacht werden. "Ich habe gewusst, dass es Picasso gab, aber ansonsten hatte ich von Kunst keine Ahnung, ich bin Kaufmann", sagt Ralph Neumann lachend. Was dann passierte, liest sich ähnlich wie die Geschichte vom Tellerwäscher, der Millionär wurde: Denn zum großen Erstaunen – das ist dem 42-Jährigen heute noch anzuhören – "ging der Räumungsverkauf ab wie eine Rakete". Die Leute rissen dem Brüderpaar die Kunstwerke und Rahmen zum Sonderpreis förmlich aus den Händen. "Wir haben dann den Verkauf zunächst bis März verlängert und Tag und Nacht gearbeitet", erinnert sich Neumann.

Nachts öffneten er und sein Bruder alte Rahmungen, um zu sehen, welches Material wie und wo verbaut war und um sie dann nachzubauen. Dabei blieb es nicht, denn die Neumanns hatte der Ehrgeiz gepackt: "Wir wollten den Betrieb langfristig weiterführen." Sie kauften sich ein Lieferauto, renovierten den Laden – und zwar komplett in Eigenregie.

Tod aus Kummer um den Laden

© Foto: Claudia Wunder

Am 1. Mai 2009 begann schließlich offiziell die neue Ära der sechsten Generation mit Ralph Neumann als Marketing- und Vertriebsleiter, Jörg Neumann als Produktions- und kaufmännischer Leiter sowie Mutter Ulrike als "Finanzchefin". "Wir haben den Betrieb nach unserem Geist, aber mit den Tugenden unserer Vorfahren weitergeführt", beschreibt es Neumann. Die Großmutter sei bis zu ihrem 90. Lebensjahr täglich im Geschäft gewesen. "Sie hat uns Fleiß, Zuverlässigkeit, Durchhaltevermögen vorgelebt und weitergegeben", erzählt Neumann.

Die Familie baute den Galeriebetrieb auf und gewann renommierte Künstler, weitete das Rahmensortiment konsequent aus. "2013 hatten wir dann Kapital für den nächsten Schritt", berichtet Neumann: der Start des Online-Geschäfts. "In großen Mengen an den Endverbraucher verkaufen", lautete das Ziel. Das wurde mit der gleichen Beharrlichkeit und Pragmatismus angegangen, und erfolgreich umgesetzt. 2018 folgte mit dem Einstieg ins Großkundengeschäft der nächste Schritt.

Ein Blick in die Galerie Bingold.

Ein Blick in die Galerie Bingold.

Heute stehe das Unternehmen auf vier festen Füßen: der Galerie mit der Einrahmungswerkstatt, dem eigenen Online-Handel, dem Großhandel und "Art Investment". 2020, im Jahr des 150-jährigen Bestehens, brachten die Neumanns mit dem Umzug in die Bessemerstraße in Klingenhof alle vier Geschäftsbereiche unter ein Dach. Ohne Wehmut, denn sie fühlen sich sehr wohl am neuen Standort mit deutlich mehr Platz, wie sie betonen.

Fokus auf Europa

"Wir verkaufen mittlerweile mehrere Millionen Rahmen im Jahr, halten ein eigenes Außenlager für Kartonagen vor und lagern 1,3 Millionen Meter an Bildleisten – in der Färberstraße waren es anfangs gerade mal 100 Meter", resümiert Ralph Neumann. Ausruhen sei jetzt aber nicht angesagt: "Wir wollen in den nächsten fünf Jahren die Größten in Europa werden. Das ist kein Wunsch, das ist das feste Ziel."

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