Wald unter Stress: Rehe müssen geschossen werden

29.9.2020, 05:56 Uhr
Immer mehr Rehe fressen die Triebe frisch gepflanzter Bäume. Damit auch die kleinen Bäume eine Chance haben, zu wachsen, muss der Bestand an Rehen in den heimischen Wäldern sinken - es müssten mehr geschossen werden.

© Felix Kästle/dpa Immer mehr Rehe fressen die Triebe frisch gepflanzter Bäume. Damit auch die kleinen Bäume eine Chance haben, zu wachsen, muss der Bestand an Rehen in den heimischen Wäldern sinken - es müssten mehr geschossen werden.

Wolfgang Kornder, Ralf Straußberger und Matthias Kraft streifen durch ein Waldstück zwischen Thuisbrunn und Haidhof im Landkreis Forchheim. Kornder – Vorsitzender des Ökologischen Jagdverbands (ÖJV) in Bayern – bleibt stehen, begutachtet den jungen Trieb eines Ahorns, nicht höher als 20 Zentimeter.

Viel größer wird der Ahorn wohl nicht mehr werden. Rehe haben die Triebe abgefressen und damit verhindert, dass der Baum austreiben kann. "Das Rehwild frisst die klimaresistenten Bäume", sagt Ralf Straußberger. Der Forstwirt ist beim Bund Naturschutz als Wald- und Jagdreferent in der Landesfachgeschäftsstelle in Nürnberg aktiv. Der Klimawandel setzt den hiesigen Wäldern bereits seit Jahren zu, typische Bäume wie die Kiefer fallen teilweise komplett aus.

Gerade in Franken hat es auch die Buche zunehmend schwer. "Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Die Buche ist hier keine Baumart der Zukunft", mein Matthias Kraft. Er ist Geschäftsführer der Waldbesitzervereinigung Fränkische Schweiz und hat zum Ortstermin in Thuisbrunn (Landkreis Forchheim) geladen. Dem Aufruf sind zahlreiche private Waldbesitzer gefolgt, alle sehen die gleichen Herausforderungen, die der Klimawandel an die Wälder stellt. "Waldsterben 2.0" lautet der neue Begriff. Was als erste Welle in den 1980er-Jahren durch den sauren Regen in Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl begann, setzt sich jetzt durch den Klimawandel fort. Wo früher typische Waldbäume wie die Buche standen, müssen heute Eichen, Elsbeeren und Eschen gepflanzt werden. Sie kommen mit den höheren Temperaturen besser klar.

Das Problem dabei: Wenn die Förster Bäume pflanzen, kommen schnell die Rehe und fressen die Triebe auf, bevor der Baum überhaupt erst wirklich wachsen kann. "Der Rehwildbestand ist sehr hoch", sagt Straußberger. Der Bestand muss verkleinert werden, damit auch die kleinen Bäume eine Chance haben, zu wachsen.

Zahl der Abschüsse müsste steigen

Aktuell würden jedes Jahr etwa zehn Rehe pro 100 Hektar geschossen, die Zahl müsse aber auf 20 oder 30 erhöht werden. Die genaue Zahl hängt von der Situation im jeweiligen Revier ab. "Wenn man vernünftig jagt, ist das etwas für die Zukunft der gesamten Gesellschaft", meint Wolfgang Kornder.

Denn wenn die Wildbestände tiergerecht reduziert werden, können die klimaresistenten Bäume wachsen, Luft und Wasserqualität werden dann etwa besser. Kornder und der ÖJV haben deshalb die Initiative "Hunting 4 Future" gegründet. Dabei soll der Rehbestand explizit an die Verträglichkeit angepasst, nicht komplett reduziert werden. "Das Reh gehört zum Wald und das ist auch gut so", erklärt Ralf Straußberger. Er vergleicht die aktuelle Situation aufgrund der hohen Anzahl an Rehwild mit Massentierhaltung.

Zäune sind keine Lösung

Passt man die Rehbestände an, kann auch auf konventionelle Maßnahmen wie Zäune verzichtet werden. Denn das Problem an eingezäunten Bereichen: Sie sind sehr teuer, bringen unnatürliche Rohstoffe in den Wald, zudem halten sie Rehe häufig trotzdem nicht ab. "Die Zäune bekommen Sie nicht rehdicht", sagt Matthias Kraft. Er ist selbst dabei, den klimaresistenten Umbau des Waldes voranzutreiben. Eine Möglichkeit ist, auf die Evolution zu setzen: "Es gibt von Natur aus einen Stabilisierungseffekt", erklärt Wolfgang Schölch, der an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf Waldbau und Waldwachstum unterrichtet. Denn alte Bäume sterben zwar durch die hohen Temperaturen ab, ihre Samen sind jedoch schon angepasst. "Die Buchen verjüngen sich selbst."

Aber auch hier stehen die Förster wieder vor dem Problem, dass diese Samen nicht zu hochgewachsenen Bäumen werden, da Rehe sie vorher fressen. Hinzu kommt, dass die per Hand gepflanzten Bäume die von der Natur aus optimierte Genetik nicht haben. "Die wichtigsten Leute sind also aktuell gar nicht die Förster, sondern die Jäger", meint auch Schölch. Für ihn sind Zäune keine Lösung. "Ein Zaun ist ein Armutszeugnis", sagt der Professor.

Aktuell wird die Novellierung des Bundesjagdgesetzes verhandelt. Die Initiative Hunting 4 Future appelliert deshalb an die Politik, die geänderten Rahmenbedingungen mit einzubeziehen.

Hauptwunsch wäre die stärkere Anpassung der Schalenwildbestände. "Jetzt dürfen die Weichen nicht falsch gestellt werden", sagt Wolfgang Kornder.

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