Interview mit Daniel Hess

Wie stellt sich das GNM auf?

2.3.2023, 12:47 Uhr
Die Straße der Menschenrechte vor dem GNM verweist auf das Recht, seine Meinung zu äußern.

© GNM, Dirk Messberger Die Straße der Menschenrechte vor dem GNM verweist auf das Recht, seine Meinung zu äußern.

Das Germanische Nationalmuseum stellt seine Sonderausstellungen unter das Thema Migration. Wie kam es dazu?

Zum einen hatten sich die Leibniz-Forschungsmuseen unter dem Motto „Eine Welt in Bewegung“ zusammengetan, um
Migration gemeinsam unter kulturgeschichtlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Gesichtspunkten zu beleuchten. Zum anderen ist das Thema politisch hochaktuell und wird durch die weltweite demografische Entwicklung und den Klimawandel noch zusätzlich an Dynamik gewinnen. Mit der großen Sonderausstellung Horizonte, die Ende März 2023 eröffnet, möchten wir ein zentrales Thema unserer Zeit kulturgeschichtlich verankern und das Museum zu einem Ort einer möglichst vorurteilsfreien Auseinandersetzung mit Migration machen. Uns ist bewusst, dass der Begriff bei einigen Unbehagen und Ängste auslöst, doch wir müssen erkennen, dass Migration ein fester Bestandteil für jede Form von Leben und Anpassung ist.

Das Germanische Nationalmuseum wird also gegenwartsbezogener?

Jede Beschäftigung mit der Vergangenheit ist auch immer gegenwartsbezogen, weil jede Frage vom Heute ausgeht. Uns ist wichtig, Migration nicht als Krise oder Bedrohung darzustellen, sondern als Chance und Grundbedingung für die Entwicklung der Menschheit. Der Blick zurück lässt uns nicht nur die Gegenwart besser verstehen, sondern auch Geschichten, Schicksale und Überlebensstrategien wach werden. Sie sollen uns Mut machen und darin bestärken, die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen unter neuen Perspektiven anzunehmen.

Sollen sich Museen künftig stärker in aktuelle Debatten einmischen?

Museen standen noch nie so unter Druck wie heute – denken Sie beispielsweise an Themen wie Restitution, Gendergerechtigkeit, Kolonialismus, gesellschaftliche Teilhabe oder Nachhaltigkeit. Auch ICOM, das International Council of Museums, hat in den letzten Jahren erbittert und hochkontrovers um eine Definition gerungen, was ein Museum ausmacht. Mit ihren Sammlungen müssen Museen auf die Gegenwart reagieren.

So gab der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine den Impuls zu der Ausstellung Frieden | Krieg, in der wir nicht nur Objekte zeigen, die im Kontext gewaltsamer Auseinandersetzungen stehen, sondern auch darüber diskutieren, wie die Menschheit dem endlos scheinenden Kreis von Hoffnung und Schrecken entkommen kann. Mehr denn je sind Museen Orte gesellschaftlicher Debatten, denken Sie nur an die jüngsten Attacken der Klimaaktivisten. Stärker denn je sind wir gefordert, unsere gesellschaftliche Relevanz unter Beweis zu stellen. Es war noch nie so herausfordernd und so spannend, an einem Museum zu arbeiten wie in dieser hoch-dynamischen Zeit.

Bedeutet das einen Abschied von klassischen Kunstausstellungen?

Das Germanische Nationalmuseum ist ein Museum europäischer Kulturgeschichte und ein Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft. Wir verfügen über eine einzigartige Sammlung und wissenschaftliche Fachkompetenz in großer Breite. Dies führt immer wieder zu neuen Entdeckungen. Wir werden deshalb auch weiterhin kunst- und kulturgeschichtliche Themen präsentieren. Ab Juli 2023 zeigen wir unsere grandiose Sammlung historischer Gläser in einer Ausstellung, die eine junge Wissenschaftlerin kuratiert. Durch die Mobilität der Glasmacher und ihrer Produkte ergibt sich ein direkter Bezug zur Horizonte-Ausstellung. Aber es wird auch eine Sammlung zu sehen sein, die staunen lässt, wozu menschliche Gestaltungskraft in der Lage ist. Das Museum ist eben ein Ort der Inspiration und Faszination und zugleich des kritischen Nachdenkens über den Menschen und seine Dinge.

http://www.gnm.de

Prof. Daniel Hess versteht Museen als Orte für Debatten.

Prof. Daniel Hess versteht Museen als Orte für Debatten. © GNM, Frank Boxler

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