Abfallprodukt Tier

Millionen Hühner und Schweine landen auf dem Müll

7.7.2021, 09:18 Uhr
Dicht gedrängt stehen Schweine im Stall eines Mastbetriebes

© Patrick Pleul/dpa Dicht gedrängt stehen Schweine im Stall eines Mastbetriebes

Die Deutschen lieben ihr Schnitzel. "Öhrchen, Schnäuzchen oder Füßchen" der Schweine sind dagegen in China gefragt. Weil unter anderem solche Produkte in Deutschland nicht vermarktet werden können, exportierte der größte deutsche Schlachtkonzern Tönnies nach eigenen Angaben 2019 mehr als die Hälfte des Fleisches seiner geschlachteten Schweine ins Ausland.

Doch die komplette Vermarktung der Tiere wird für die Schlachtkonzerne immer schwieriger: "Aufgrund der Afrikanischen Schweinepest gibt es einen Exportstopp nach China und es ist nicht so einfach, für jedes Teilstück den passenden Markt zu finden", erklärt Fabian Reinkemeier, Pressesprecher von Tönnies. Das Unternehmen strebe aber nach wie vor eine ganzheitliche Vermarktung der Tiere an.

Tönnies sei auf der Suche nach neuen Absatzmärkten, welche das sind, dazu will sich der Konzern aus Wettbewerbsgründen nicht äußern. Auf dem Müll lande aber, dies versichert Tönnies, nicht mehr Fleisch als in normalen Jahren. Um welche Menge es sich handelt, dazu gibt der Konzern keine Auskunft.

Deutschlandweit sind diese Mengen jedoch gigantisch, auch ohne Afrikanische Schweinepest. Los geht es bereits vor der Schlachtung. Laut Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung, eine parteinahe Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen, sterben jährlich in Deutschland 100 Millionen Tiere, ohne dass ihr Fleisch verzehrt wird. Dies seien zum einen Tiere, die während der Mast verenden oder aus wirtschaftlichen Gründen getötet und beseitigt werden. "Jährlich müssen bis zu 200 000 männliche Milchrasse-Kälber und 45 Millionen männliche Küken sterben, weil sich ihre Mast aufgrund des geringen Fleischansatzes nicht lohnen würde", heißt es im aktuellen Fleischatlas. Zum anderen würden schlechte Haltungsbedingungen und auf Hochleistung gezüchtete Rassen dazu führen, dass Tiere während der Aufzucht sterben.

Der Verlust von Ferkeln liege bei etwa 16 Prozent; das seien rund 8,6 Millionen tote Tiere pro Jahr. Auch der Deutsche Tierschutzbund bemängelt, dass viele Nutztiere schon vor der Schlachtung sterben, unter anderem 580 000 Rinder, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervorgeht. Grund dafür ist dem Deutschem Tierschutzbund zufolge vor allem die Intensivtierhaltung. Der Bauernverband sieht dies jedoch anders: "Im Verantwortungsbereich der Landwirtsfamilien landet Fleisch nicht auf dem Müll", teilt der bayerische Bauernverband mit.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium kämpfe nach eigenen Angaben zwar gegen die Verschwendung von Lebensmitteln, wozu auch Fleisch zählt, sieht aber die Hauptverantwortung woanders: "Es liegt in der Entscheidung der fleischproduzierenden und fleischverarbeitenden Unternehmen, die Verluste so gering wie möglich zu halten. Das tun viele im übrigen auch", erklärt das Ministerium.

Krallen werden zu Tierfutter

Was von den Knochen über einige Organe bis hin zu Klauen und Krallen nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist, wird laut Fleischatlas zu Haustier- und Fischfutter verarbeitet, in der Chemie- und Düngemittelindustrie verwendet oder als Biokraftstoff in den Tank gefüllt. Im Jahr 2019 wurden bei 8,6 Millionen Tonnen Schlachtgewicht rund 2,6 Millionen Tonnen dieser "tierischen Nebenprodukte" weiterverwertet. Welche konkrete Menge Fleisch aus den Schlachthöfen und im Handel im vergangenen Jahr auf dem Müll gelandet ist, dazu nennt der Fleischatlas keine Zahl.

Insgesamt 57,33 Kilogramm Fleisch hat laut Statistischem Bundesamt jeder Deutsche 2020 gegessen. Doch der gesamte Fleischverbrauch liegt weit höher, bei 84,5 Kilogramm. Die Differenz sei auf den Verbrauch von Tierfutter, die industrielle Verwertung sowie Produktverluste zurückzuführen.

Laut Studien wird in Europa schließlich vier bis elf Prozent der gekauften Menge Fleisch weggeworfen. Die Jahresmenge der Fleisch- und Wurstabfälle in Privathaushalten in Deutschland liegt laut Fleischatlas umgerechnet in ganzen Tieren bei 640000 Schweinen, 450000 Puten, 360000 Enten, 50000 Rindern und 8,9 Millionen Hühnern.

"Bei uns wird nichts weggeworfen"

Die Metzger werben dagegen damit, dass es bei ihnen keinen Abfall gibt: "Bei uns wird nichts weggeworfen", erklärt Stefan Wolf, Stellvertretender Obermeister der Fleischerinnung Mittelfranken. "Es kann aber passieren, dass die Filetstücke mal ausverkauft sind", ergänzt er. Die Nürnberger Metzgerei lässt schlachten und bekommt dann die Tierhälften. Verarbeitet wird laut Wolf alles. "Vom Kopf machen wir Presssack, die Knochen werden zu Soßen verarbeitet, die Schwänze und die Ohren werden teilweise getrocknet und dann als Hundefutter verkauft", erklärt Wolf.

Die wichtigste Verwertung sei die Herstellung hausgemachter Wurstwaren. In Aufschnitt, Leberkäse oder Leberwurst stecken Speck oder magere Stücke. Weil die Kunden vor allem an Feiertagen Filet wollen, wird vor Weihnachten oder Ostern auch mehr geschlachtet. "Die Reste werden dann in Dosen konserviert", sagt Wolf. "Wir können es uns aus ethischen und wirtschaftlichen Gründen nicht leisten, Teile der Tiere wegzuwerfen", ergänzt er.

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