Wirtschaftliche Sanktionen zeigen Wirkung

Angriff auf die Ukraine: Russlands Mittelschicht ist ein Verlierer des Krieges

26.2.2023, 10:55 Uhr
Eine Mutter geht mit ihrem Kind durch ein Einkaufszentrum in St. Petersburg. Doch außer geschlossenen Läden und einem gewissen Mangel an westlichen Markenprodukten ist im Land selbst vom Krieg derzeit nicht viel zu spüren.   

© Foto: -/AP/dpa Eine Mutter geht mit ihrem Kind durch ein Einkaufszentrum in St. Petersburg. Doch außer geschlossenen Läden und einem gewissen Mangel an westlichen Markenprodukten ist im Land selbst vom Krieg derzeit nicht viel zu spüren.   

Ein Jahr nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine merken die Menschen in Russland die Folgen immer stärker auch beim eigenen Einkauf. Laut dem russischen Einzelhandelsverband haben die Russen 2022 fünf Prozent weniger Lebensmittel gekauft als noch im Jahr zuvor. Das bestätigt auch eine Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM, wo 35 Prozent der Befragten angaben, sich beim Lebensmittelkauf einschränken zu müssen.

Im Einkaufszentrum "Pawelezkaja Plaza" am Moskauer Pawelezki-Bahnhof geht es eher gemächlich zu. Nur wenige Kunden tummeln sich in den Restaurants und Geschäften des mehrgeschossigen Neubaus. Dabei ist trotz der Sanktionen nicht alles weg.

Gerade bei der Computertechnik funktioniert der Grau-Import bestens. Russische Medien berichteten zuletzt, dass sich nach anfänglichen Importproblemen inzwischen mehr als eine Million Notebooks in den Lagern stapeln und die Verkäufer nun zu Dumpingverkäufen gezwungen seien, um sie loszuwerden. Auch bei einigen anderen Markenartikeln ist die Umgehung der Sanktionen, oft unter Einschaltung türkischer Firmen, problemlos gelungen.

Kopie statt Original

In vielen Bereichen haben Kopien das Original ersetzt. Statt Coca Cola gibt es nun Dobry Cola, statt MacDonalds die russische Eigenmarke Wkusno i Totschka. Bei Werkzeugen haben nach dem Rückzug von Bosch und Makita qualitativ minderwertige chinesische Plagiate den russischen Markt überflutet.

Die Preise hingegen sind deutlich gestiegen. Offiziell lag die Inflation 2022 bei zwölf Prozent, doch der russische Finanzexperte Maxim Kwascha ist davon überzeugt, dass sie höher war. Teurere und qualitativ hochwertigere Waren seien bei der Berechnung durch Billigprodukte ersetzt worden, sagt er.

Schlechtere Auswahl zu höheren Preisen, so sieht auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Natalja Subarewitsch die Lage der russischen Verbraucher. "Unter dieser Krise leidet die urbane gebildete Mittelschicht am meisten." Während die einkommensschwächsten Gruppen durch Rentenanhebungen und Sozialhilfen für geringverdienende Familien zumindest etwas entlastet worden seien, müsse die Mittelklasse mit Geldentwertung und fallenden Realeinkommen selbst klar kommen.

Auch die seit Dezember von westlichen Industrieländern in Kraft gesetzte Preisbremse für russisches Öl zeigt Wirkung. Der Preis für Öl der russischen Marke Urals wird mit inzwischen rund 40 Prozent Abschlag gegenüber der Nordseesorte Brent gehandelt und kostet derzeit rund 50 US-Dollar pro Barrel (159 Liter).

Für das laufende Jahr hat die Regierung eigentlich mit einem Durchschnittspreis von 70 Dollar gerechnet. Im Januar wies der russische Haushalt daher ein Rekorddefizit von umgerechnet 23 Milliarden Euro auf. Das entspricht bereits 60 Prozent des für das Gesamtjahr veranschlagten Fehlbetrages.

Moskau versucht, den Ölpreis mit Drohungen zu stabilisieren. "Wie vorher erklärt, werden wir diejenigen, die direkt oder indirekt das Prinzip des Preisdeckels nutzen, kein Öl verkaufen. Darum wird Russland ab März freiwillig seine Förderung um 500.000 Barrel pro Tag senken", kündigte Vizeregierungschef Alexander Nowak jüngst an. Doch damit drohen laut Tageszeitung "Kommersant" Einnahmeverluste von 39 Milliarden Euro, während der Angriffskrieg gegen die Ukraine pro Tag einen größeren dreistelligen Millionenbetrag kostet.

Goldreserven verkauft

Zuletzt hatte die Zentralbank zur Deckung des Etatlochs schon einen Teil ihrer noch vorhandenen Gold- und Währungsreserven verkaufen müssen. Immer lauter denkt die Regierung auch darüber nach, die Unternehmer zur Kasse zu bitten. Dass Internationaler Währungsfonds und Weltbank ihre Rezessionsprognosen für Russland abgeschwächt haben, ist nur ein schwacher Trost.

Seit Kriegsbeginn zeige das Bruttoinlandsprodukt nämlich nicht mehr die Wirtschaftskraft und das Können Russlands an, Einkommen für seine Bürger zu generieren, so Finanzexperte Kwascha. Es zeige nur die Fähigkeit, weiter Krieg zu führen. Denn die Rüstungsbetriebe fahren als einzige im Land unter Volllast.

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