Unterschiede zu bisherigen Wirtschaftskrisen

Inflation: Deutsche arbeiten jetzt fünfeinhalb Stunden für eine Tankfüllung

22.11.2022, 15:31 Uhr
Nicht nur Lebensmittel sind teuer geworden, auch für andere Produkte müssen Verbraucherinnen und Verbraucher tiefer in die Tasche greifen. 

© Moritz Frankenberg, dpa Nicht nur Lebensmittel sind teuer geworden, auch für andere Produkte müssen Verbraucherinnen und Verbraucher tiefer in die Tasche greifen. 

Ob Butter, Energie oder der nächste Friseurbesuch: Auch im Oktober haben sich viele Produkte stark verteuert. Im vergangenen Monat stiegen die Preise im Schnitt um 10,4 Prozent zum Vorjahr – ein neuer Höchststand. Doch die Inflation wird wahrscheinlich auch im kommenden Jahr Thema bleiben.

Zwar schließen sich an hohe Inflationsraten meist hohe Lohnforderungen an, offen bleibt aber, wie sehr sich die Preissteigerungen bei den Verbrauchern tatsächlich bemerkbar machen. Wissenschaftler des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln haben anhand von 31 Produkten und Dienstleistungen berechnet, wie lange ein Arbeitnehmer im Oktober dieses Jahres im Vergleich zu 2019 für seinen Einkauf arbeiten musste.

Besonders stark fallen die Kaufkraftverluste bei den Lebensmitteln aus. Musste ein Verbraucher 2019 für eine halbes Pfund Markenbutter noch sechs Minuten arbeiten, waren es im Oktober schon acht Minuten – ein Anstieg um ein Drittel. Für zehn Eier muss ein Viertel mehr Arbeitszeit investiert werden als 2019, beim Brot sind es 12 Prozent mehr.

Auch das Steak kostet mehr Schweiß: Für ein Kilogramm Rindfleisch sind heute 36 Minuten nötig, vor der Pandemie waren es noch 30 Minuten. Stark gestiegen sind auch die Arbeitszeiten für Energie: 2019 musste ein Deutscher im Schnitt viereinhalb Stunden für einen Tankfüllung Benzin (60 Liter) arbeiten, 2022 ist es fast eine ganze Stunde mehr.

Bier bleibt erschwinglich

Diese Kaufkraftverluste belasten die Geldbeutel der Verbraucher. Doch die Anstiege sind nicht überall so dramatisch. Das Feierabendbier (0,5 Liter) gibt es heute wie 2019 für drei Minuten Arbeit und technische Produkte wie Fernseher und Waschmaschine sind sogar erschwinglicher geworden.

Die jetzige Inflationsphase ist nicht die erste in der Geschichte der Bundesrepublik. Schon in den 1970er-Jahren hatten die Deutschen infolge der Ölpreiskrise mit steigenden Preisen zu kämpfen. 1973 lag die jährliche Inflationsrate bei 7,1 Prozent. Auch damals verteuerten sich die Ölpreise ähnlich stark wie heute.

Allerdings waren die damaligen Teuerungen für die Verbraucher viel weniger spürbar. Ein Vergleich zwischen 1970 und 1974 zeigt: Nur für eines der 31 untersuchten Produkte – dem Kabeljau – musste länger gearbeitet werden. Alle anderen Produkte wurden erschwinglicher: Für Butter waren 1970 – vor der Krise – noch 20, 1974 nur 14 Minuten Arbeit nötig. Einen Liter Benzin gab es vier Jahre später immerhin für die gleiche Arbeitszeit, sechs Minuten.

Der Grund für die verhältnismäßig geringen Auswirken auf den Alltag war allerdings, dass die Gewerkschaften damals Lohnerhöhungen im zweistelligen Bereich durchgesetzt hatten. Das half den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwar kurzfristig, führt aber dazu, dass die Inflation länger anhielt, weil die Unternehmen die steigenden Lohnkosten an die Verbraucher weitergaben. Nur eine kräftige Zinsanhebung durch die Bundesbank konnte die Inflation beenden, allerdings verbunden mit einer langen wirtschaftlichen Schwächephase und steigenden Arbeitslosenzahlen.

Zielgenaue Hilfen machen den Unterschied

Die jetzige Krise ist für viele Menschen im Alltag eine größere Belastung als es die Ölkrise war. Doch wie die Vergangenheit zeigt, sind Lohnerhöhung auf breiter Front nicht die richtige Antwort. Denn auch heute würde damit eine Lohn-Preis-Spirale einhergehen, die die Inflation weiter befeuern und Deutschland tiefer in die Rezession treiben würde.

In dieser Situation braucht es zielgenaue Hilfen statt der Gießkanne. Gute Beispiele hierfür sind die 2023 in Kraft tretende Wohngeldreform mit einer dauerhaften Heizkostenkomponente und der weitere Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger.

Auch die jetzt ermöglichte Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3.000 Euro, die der Arbeitnehmer brutto für netto erhält und auf die der Arbeitgeber keine Sozialabgaben zahlen muss, kann beim Wocheneinkauf einen spürbaren Unterschied machen und individuell so bemessen werden, dass keine größeren wirtschaftliche Schäden entstehen.

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