Nürnberger Hefewerk versorgt ganz Deutschland

19.8.2008, 00:00 Uhr
Nürnberger Hefewerk versorgt ganz Deutschland

© Horst Linke

Hefe ist ein echtes Powerprodukt: Steht die richtige Ernährung zur Verfügung, vermehren sich die kleinen Hefezellen unheimlich schnell. In nur sechs Tagen werden aus zehn Milligramm Zellkultur 160 Tonnen Hefe. Dass die Pilze so prächtig gedeihen, dafür sorgen die Mitarbeiter des DHW rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.

Leidenschaftliche Erklärungen vom Geschäftsführer

In der sogenannten Fermentation werden die Zellen vermehrt und alle 15 bis 24 Stunden in einen neuen Gärbottich überführt - beginnend im 100-Milliliter-Reagenzglas, endend im Tank mit mehr als 100.000 Litern. Jedes Mal erhält die Hefe neue Nährstoffe - allen voran Melasse, ein Abfallprodukt aus der Zuckerherstellung - und wird bei 30 Grad Celsius geschüttelt.

All diese Vorgänge erklärt Thomas Dellweg, Geschäftsführer des Hefewerks, leidenschaftlich bis ins Detail. Seine Mitarbeiter in der «familiären Firma« kennt er persönlich, begrüßt sie mit Handschlag. 74 Personen wird das Team bald umfassen, wenn im September vier junge Leute die Lehre zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik in Buch beginnen. Seit vier Jahren bildet die DHW selbst aus, um sich qualifizierten Nachwuchs zu sichern.

Am liebsten möchte Dellweg alle Lehrlinge übernehmen. Doch die Fluktuation im Unternehmen ist gering. Knapp 14 Jahre bleibt ein Angestellter durchschnittlich bei der DHW, viele arbeiten schon in der zweiten oder dritten Generation im Werk. «Bodenständig und standorttreu« nennt Geschäftsführer Dellweg das.

Schnapsbrennerei am Anfang

Immerhin ist der Hefebetrieb eine Institution in Buch. Vor 153 Jahren gründete der Schnapsbrenner Bast das Werk, das mehr als ein Jahrhundert lang unter dem Namen Bast AG firmierte. In der NS-Zeit galt das Unternehmen mit seinen betriebseigenen Wohnungen und einem Freibad für die Mitarbeiter als «Musterbetrieb«, auch heute unterhält es noch 20 Werkswohnungen. Nach der Besetzung durch amerikanische Soldaten im April 1945 belieferte man die allierten Truppen mit Hefe.

Im Jahr 1970 fusionierte der Bucher Betrieb mit der «Deutschen Hefewerke GmbH« und bekam damit einen Schwesterbetrieb in Hamburg. Vor gut zehn Jahren teilten die beiden Firmen sich die Arbeit auf: Die Backhefeproduktion wurde komplett nach Nürnberg verlegt, die Hamburger waren für Spezialitäten zuständig.

Vier verschiedene Vertriebsformen

Heuer vertreibt das Bucher Werk sein Produkt in vier Formen. Der größte Teil, etwa 35 Prozent, verlassen als Flüssighefe in 25-Tonnen-Tankwagen das Werksgelände. Für Großbetriebe und Bäcker stellt die DHW 25-Kilo-Säcke mit Granulat sowie Hefeblöcke à 500 Gramm her. Den Hobbybäckern am bekanntesten dürften die klassischen Hefewürfel sein, mit deren Hilfe in heimischen Küchen sowohl Streuselkuchen als auch Weihnachtsgebäck gelingen.

In gut 40 Jahre alten Maschinen werden die Würfel abgepackt und in ihre typische Goldhülle gewandet. Früher haben die Maschinen Butter oder Brühwürfel eingehüllt, heute spucken sie 120 Hefewürfel pro Minute aus. 20 Milliarden Hefezellen befinden sich in jedem der 42 Gramm schweren Goldstücke.

Kunden sind auch große Discounter

Über 90 Prozent ihrer Erzeugnisse liefert die DHW in Deutschland aus, mit 30 Prozent Marktanteil ist sie der zweitgrößte Hefeproduzent im Land. Seit das Werk 2005 das internationale Zertifikat IFS (International Food Standard) erhalten hat, beliefert es auch große Discounter. «Wir sind eine Hausnummer am Markt«, weiß Dellweg; die steigende Konkurrenz von Billiganbietern aus der Ukraine fürchtet er deswegen kaum.

Wenn Dellweg in die Zukunft der Bucher Firma blickt, bekommt er ein lachendes und ein weinendes Auge. Das lachende freut sich darüber, dass die DHW seit April 2008 zur Schweizer Indawisa Holding AG gehört - und nicht wie die vorherigen Jahre einem niederländischen «Finanzhai«. «Die Jungs wussten nicht mal, was Hefe ist«, empört Dellweg sich noch heute. Die neue Eigentümerin hingegen kennt sich mit Hefe aus, da zu ihr unter anderem die Hefe Schweiz AG zählt, und stellt langfristige Investitionen in Aussicht. «Endlich können wir uns wieder auf unser Geschäft konzentrieren«, so Dellweg.

Nahrung für die Pilze

Auf der anderen Seite macht sich der Biotechnologe Sorgen, ob die Produktion in Buch in ihrem jetzigen Umfang aufrecht erhalten werden kann. Denn es fehlt zunehmend an den Nährprodukten, die die Hefepilze benötigen. Beispiel Melasse: Seit die EU die Zuckerproduktion um fünf Millionen Tonnen jährlich gekürzt hat, wird auch das Abfallprodukt weniger - und teurer. «Im nächsten Jahr bekommen wir von unserem bisherigen Lieferanten gerade mal 40 Prozent der Melasse, die wir bräuchten«, sagt Dellweg. «Wir prüfen sogar schon Importe aus der Ukraine.«

Auch ein weiterer Nährstoff, das Phosphat, wird knapper. Es wird unter anderem zu Düngemittel verarbeitet, dessen Nachfrage vor allem in Asien steigt. Die DHW muss mittlerweile regelrecht darum «betteln« - trotz Preissteigerungen.

«Eine solche Situation haben wir in unserer 153-jährigen Firmengeschichte noch nicht erlebt«, sagt Dellweg. Trotzdem ist er zuversichtlich. Über 4000 Bäcker in Deutschland hantieren mit der DHW-Hefe und schätzen ihre Qualität. Außerdem glaubt Dellweg, dass seine gut strukturierte Firma gegenüber Konkurrenten «den längeren Atem« beweisen kann. Also behauptet er selbstsicher: «Unser Werk wird auch in 20 Jahren noch existieren.«