Oikocredit: Wo Anleger mit wenig Geld viel bewirken

30.5.2020, 10:52 Uhr
Oikocredit: Wo Anleger mit wenig Geld viel bewirken

© Opmeer Reports, NN

Jeden Morgen um sechs Uhr öffnet Martha Bautizta Innocente ihr kleines Restaurant in San Juan de Miraflores, einem Stadtteil der peruanischen Hauptstadt Lima. Bis Mittag verköstigt die kräftige Gastwirtin dann all die Hungrigen, die bei ihr Platz nehmen: draußen auf der Straße. Oder an einem der fünf Tische drinnen. Auf die ist sie besonders stolz. Denn der Gastraum dokumentiert das Wachstum ihres Betriebs. Gestartet hat die Peruanerin ihr Lokal als reinen Straßenverkauf. Für mehr fehlte das Geld. Doch von Anfang an schätzen die Gäste ihre Spezialität: Gerichte mit Schweinefleisch. Sie ordern die herzhaften Mahlzeiten schon zum Frühstück. Und so wollte die Kleinunternehmerin expandieren. Mit einem Kredit der Mikrofinanzinstitution Finca Peru ist ihr die Erweiterung geglückt.

Finca Peru wiederum ist Partner der Mikrokreditgenossenschaft Oikocredit mit Hauptsitz in den Niederlanden - und deren Geschäftsführer in Bayern, Joachim Pietzcker, berichtet noch heute gerne von seiner Begegnung mit der Gastwirtin Innocente, die er Ende 2018 in der Andenrepublik persönlich kennengelernt hatte. Die Leidenschaft der Peruanerin sei beeindruckend gewesen. Zugleich sei sie ein gutes Beispiel für das, was Oikocredit bezwecken will: wirtschaftlich benachteiligten Menschen in die Lage versetzen, ihre Lebensumstände zu verbessern. Auch Anleger in Bayern können dabei helfen. Das von ihnen eingesammelte Geld stellt Oikocredit für die Existenzgründung bereit. Und zwar auch jenen, die bei herkömmlichen Banken schwer an einen Kredit kommen. Menschen also, die wenig Sicherheiten bieten können. Oder gesellschaftlich einen schweren Stand haben, so wie Frauen in Peru. Die Wirtschaft des Landes sei in den vergangenen Jahren zwar stets gewachsen, die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen sei dort aber alles andere als eine Selbstverständlichkeit, berichtet Pietzcker. Das trifft auch für zahlreiche andere Staaten zu. Und so zählen weltweit viele Kleinunternehmerinnen zu den Endkunden der Genossenschaft.

Oikocredit wurde 1975 gegründet und war Vorreiter auf dem Gebiet des „Impact Investing“. Bei dieser Form der Anlage geht es darum, mit privatem Kapital positive soziale Veränderungen zu bewirken. Oikocredit arbeitet dabei mit über 600 Partnerorganisationen zusammen. Diese kümmern sich in ihrer jeweiligen Region um die Finanzierung von Geschäftsvorhaben. Aber das Geld ist nur ein Aspekt. Darüberhinaus geht es auch darum, die Kreditnehmer zu beraten und zu schulen.

Zuwachs in Bayern

Das Konzept findet auch in Bayern immer mehr Anhänger. Im vergangenen Jahr kletterte die Zahl der Oikocredit-Investoren im Freistaat auf 4141. Zusammen brachten die Anleger eine Summe in Höhe von 83,7 Millionen Euro auf die Waagschale. Und auch in den ersten Monaten 2020 kamen 70 neue Kunden dazu, freut sich der bayerische Geschäftsführer Pietzcker.

Doch wie funktioniert die Geldanlage bei Oikocredit genau?

Die niederländische Genossenschaft hat in Bayern genau ein Mitglied. Das ist der Oikocredit Förderkreis Bayern, der seinen Sitz am Nürnberger Hallplatz hat. Wer an der Geldanlage bei Oikocredit interessiert ist, muss als erstes einmal Mitglied in diesem Verein werden. Für alle unter 25 Jahren ist das frei, danach kostet die Mitgliedschaft 20 Euro im Jahr. Dafür gibt es zweimal im Jahr die Vereinszeitschrift, in der Projekte vorgestellt werden, die dank dem Geld der Mitglieder florieren. Mitglieder können zudem an Veranstaltungen teilnehmen oder auch selbst in der Bildungs- und Informationsarbeit zur Entwicklungspolitik aktiv werden, wirbt Pietzcker.

Motiv: Gutes bewirken

Im nächsten Schritt können Anleger über den Verein indirekt Anteile an der Genossenschaft zeichnen. Dazu führt der Förderkreis für jedes Mitglied ein Anlagekonto. Dorthin überweist der Investor das Geld, ab 200 Euro - das ist der Wert eines Genossenschaftsanteils - ist jede Summe möglich. Im Durchschnitt liegen 20.000 Euro auf einem Konto, die höchste Einzelsumme einer Privatperson beträgt 800.000 Euro. Ein institutioneller Anleger hat sogar 1,5 Millionen Euro investiert. Zu den Mitgliedern zählen neben Privatpersonen (85 Prozent) auch Kirchengemeinden, Weltläden, Stiftungen und Diakonievereine. Sie alle werden von der Absicht getrieben, mit ihrem Kapital Gutes zu bewirken.

Genau diese Motivation wird für die Anlage bei Oikocredit aktuell besonders bedeutend. In den vergangenen Jahren hat die Genossenschaft auf jeden Anteilsschein eine Dividende von einem Prozent gezahlt. Verglichen mit den Mini- und Nullzinsen auf einem herkömmlichen Spar- oder Tagesgeldkonto ist das eine solide Rendite. Einen Teil seines Geldes Oikocredit anzuvertrauen, konnte damit für ethisch orientierte Menschen durchaus attraktiv sein. Und auch in diesem Jahr sollte die Generalversammlung im Juni wieder eine einprozentige Ausschüttung für 2019 beschließen. Anfang Mai haben Vorstand und Aufsichtsrat einen entsprechenden Vorschlag aber zurückgezogen. Stattdessen plädieren sie dafür, auf die Dividende komplett zu verzichten.

"Beispiellose Situation"

Damit reagiert Oikocredit auf „die beispiellose Situation, die das Coronavirus für uns alle geschaffen hat“, sagt Thos Gieskes, Geschäftsführer der Genossenschaft: „Angesichts der zunehmende wirtschaftlichen Unsicherheit, mit der unsere Partnerorganisationen - und damit auch Oikocredit - konfrontiert sind, erachten wir es als vernünftig, unsere Reserven zu stärken, um so gut wie möglich auf etwaige negative Entwicklungen vorbereitet zu sein.“

Mit der Entscheidung vollziehe die Genossenschaft im Prinzip das, was die EU-Finanzaufsicht auch den Banken nahegelegt hat, meint der bayerische Geschäftsführer Pietzcker: nämlich Dividendenzahlungen an die Aktionäre zu stoppen. Nach einem „phantastischen ersten Quartal“ registriert auch er die Folgen der Corona-Pandemie. Die Zahl der neuen Mitglieder ist im April deutlich gesunken. Aber immerhin gab es sie noch. Und er ist zuversichtlich, dass die Mitglieder Verständnis für den Verzicht auf die Dividende haben. Schließlich sei es gerade jetzt wichtig, die Menschen im globalen Süden zu unterstützen, so Pietzcker. Denn dort, wo weder das Gesundheits- noch das Sozialsystem so stabil sei wie bei uns, sei noch nicht absehbar, was die Coronakrise anrichten wird. Aber die Tendenz zeichne sich schon ab - und lasse nichts Gutes erahnen. Denn wegen der oft rigiden Ausgangsbeschränkungen könnten viele ihr Geschäft nicht ausführen und in Folge ihre Kredite nicht bedienen. Deshalb gehe es jetzt auch darum, Fristen zu strecken, erläutert Pietzcker, der vor seiner Tätigkeit bei Oikocredit kaufmännischer Werksleiter beim Automobilzulieferer Bosch gewesen ist.

Bei der Bewältigung der Krise kann sich Oikocredit auf ein starkes Jahr 2019 stützen. Der Jahresüberschuss stieg - auch wegen der Veräußerung von Beteiligungen - auf 14,3 Millionen Euro. Die Bilanzsumme lag bei 1,3 Milliarden Euro. Die Kapitaleinlagen stammen von insgesamt 59.000 Anlegern. Das meiste Geld sammelte Oikocredit in Deutschland ein, gefolgt von den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Frankreich.

Konzentration auf Afrika

Durch die beschlossene Fokussierung auf 33 Länder will die Genossenschaft effektiver arbeiten. In Osteuropa beispielsweise ist Oikocredit künftig nicht mehr aktiv. Stattdessen konzentriert sich die Organisation auf wenige Staaten in Asien sowie auf das subsaharische Afrika und Lateinamerika. Die meisten Mittel fließen in das sogenannte inklusive Finanzwesen, also zum Beispiel Mikrofinanzinstitute, gefolgt von Landwirtshaft und erneuerbaren Energien. Das Ziel bleibt, „die Lebensumstände einkommensschwacher Menschen zu verbessern“, heißt es.

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