„Polen hat mehr zu bieten als günstige Arbeiter“

13.6.2012, 00:00 Uhr
„Polen hat mehr zu bieten als günstige Arbeiter“

© Eduard Weigert

Nicht aufregen solle sie sich, hat ihr Mann gesagt. Auf ihren Zustand Rücksicht nehmen, nicht diskutieren und die Koffer packen. Als sie dann hochschwanger und starr vor Angst auf dem Rücksitz unter einem Haufen von Mänteln lag, hätte sie ihrem Gatten am liebsten den Marsch geblasen ob seines verrückten Plans, dem kommunistischen Regime Polens gerade jetzt zu entfliehen. Doch die Panik lähmte sie — die vor den Zöllnern, die vor dem fremden Land.

Wenn Maria Jajte heute erzählt, wie sie in den 80er Jahren nach Deutschland gekommen ist, lacht sie. Und ihre Kameraden vom Verein Polnische Unternehmer in Nürnberg, die spontan zum Gespräch im polnischen Restaurant von Ulla Strawa in der Nürnberger Altstadt zusammengekommen sind, lachen mit. Nach dem Handschlag zücken sie Visitenkarten, sind Ingenieure, Finanzmakler oder Ladeninhaber, längst angekommen und integriert in der neuen Heimat. Doch sie alle erinnern sich gut, wie sie teils Eltern und Freunde hinter sich ließen und mit nichts als einem Koffer voller Kleider in das Land aufbrachen, in dem alles besser werden sollte.

Perspektive für die Kinder

„Milch und Honig haben wir nicht erwartet, aber eine Perspektive für unsere Kinder wollten wir“, sagt die gelernte Geografin Magdalena Tejwan-Bopp. Wie Jajte hat sie nach ihrer Ankunft keine Anstellung in ihrem Beruf gefunden, heute führen die beiden Frauen ein polnisches Reisebüro im Krakauer Haus. Sie bereuen den Schritt in den Westen nicht. Denn anders als in Polen zur Zeit ihres Aufbruchs, als die Gewerkschaft Solidarno´s´c gegen das Regime anschrie, Lebensmittel teils unerschwinglich waren und Freiheit kaum mehr war als ein Wort, hätten sie in Deutschland eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben.

Als Bittsteller behandelt

Doch die musste man sich in der Regel hart erkämpfen. Ewa Hey, heute Besitzerin eines Wolle-Ladens in der Südstadt, erinnert sich gut an die erste Zeit, als sie sich und ihre Kinder durchbringen musste. Sehr, sehr hart sei das gewesen, zum Glück mangelte es in dem kleinen Dorf in der Rhön, in dem sie die ersten Jahre lebte, nicht an hilfsbereiten Nachbarn, die nach ihren Mädchen schauten, während die Mutter arbeitete.

Heute gehören Hey, Jajte, Strawa und die anderen Vereinsmitglieder zu den rund 500 Polen, die sich in Nürnberg selbstständig gemacht haben. Viele von ihnen haben Zeiten erlebt, in denen sie von den Behörden wie Bittsteller behandelt wurden; jetzt erfahren sie, wie Fachkräfte aus ihrer Heimat umgarnt werden.

Allerdings kommt der Sinneswandel und mit ihm die Arbeitnehmerfreizügigkeit laut Maria Zmenda zu spät. Die Geschäftsfrau kam einst mit ihrem Mann nach Deutschland. Er arbeitet bei Siemens, sie vermittelt polnische Ingenieure. Dass Deutschland vielen als gelobtes Land erscheint, sei längst eine Mär, sagt sie. Denn Österreich oder die Schweiz lassen sich die begehrten Fachkräfte oft mehr kosten. Dennoch habe sich insbesondere bei der Wertschätzung viel zum Positiven entwickelt. Sprüche wie „Wenn ich schon einen Polen nehme, will ich ihn wenigstens billiger“, bekomme sie zum Glück nur noch selten zu hören.

Auch der Finanz- und Versicherungsmakler Leszek A. Wzorek spürt, dass er immer weniger nach seiner Nationalität, als vielmehr nach seiner Leistung beurteilt wird. Er hat in Nürnberg eine neue Heimat gefunden, seine alte ist ihm zum lieben Urlaubsziel geworden. Denn auch wenn sich dort viel entwickelt hat und man heute mehr erreichen kann als damals – einer der 38,5 Millionen Einwohner Polens will er nicht mehr sein. Denn jenen, deren Kräfte schwinden, greife der Staat kaum unter die Arme, sagt er. Befreundete Rentner, die heimgekehrt sind, lobten heute in höchsten Tönen das deutsche Gesundheitswesen, erzählt er.

Fußball als Chance

Und selbst für Webdesigner Arthur Rogoz, dem seine Mutter einst den Pass versteckte, um den Heimwehgeplagten im damals so ungeliebten Deutschland zu halten, ist Polen aufgrund des schlechten Sozialsystems kaum mehr eine Alternative. Dennoch liebt er sein Land, mit seinen Bergen und Seen, dem deftigen Essen und der Herzlichkeit seiner Bewohner. „Ich hoffe sehr, dass die EM in unserem Land dazu beiträgt, dass die Welt unsere Schätze erkennt. Denn wir haben viel mehr zu bieten als gute und günstige Arbeiter.“

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