Nach Berliner Entscheid

Steigende Mieten: Wäre Enteignung auch in Nürnberg denkbar?

9.10.2021, 05:55 Uhr
"Deutsche Wohnen & Co. enteignen" nennt sich die Initiative, für deren Volksentscheid die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner votiert hat. Ihr Ziel: Die Vergesellschaftung tausender Wohnungen in der Hauptstadt.

© JOHN MACDOUGALL, AFP "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" nennt sich die Initiative, für deren Volksentscheid die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner votiert hat. Ihr Ziel: Die Vergesellschaftung tausender Wohnungen in der Hauptstadt.

Für Gunther Geiler, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Nürnberg und Umgebung, ist es ein "Paukenschlag", dessen Signalwirkung bis über die Berliner Landesgrenzen hinausgeht: Vor zwei Wochen haben die Berlinerinnen und Berliner in einem Volksentscheid für die Enteignung großer Immobilienkonzerne gestimmt. "Es ist eindeutig, dass die Menschen in Berlin deutlichen Handlungsdruck spüren. Das kann als Not- und Weckruf an die Politik verstanden werden, sich mit der Wohnungsthematik intensiver auseinanderzusetzen."

Berlin fordert die Vergesellschaftung

Die Bürgerinnen und Bürger in der Hauptstadt sehen eine der Ursachen für die Mietpreisexplosion in der Frage, wer Immobilien bewirtschaftet – der Staat oder die Privatwirtschaft. Das wurde am Ergebnis des Entscheids deutlich. Eine klare Mehrheit von 56,4 Prozent sprach sich in Berlin für die Enteignung großer, profitorientierter Wohnkonzerne aus, 39 Prozent stimmten dagegen.

Ziel der Initiative und des daraus folgenden Entscheids ist es, diejenigen privaten Immobiliengesellschaften gegen eine Entschädigung zu vergesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen. In Berlin beträfe das etwa zwölf Unternehmen, die insgesamt rund 240.000 Wohnungen verwalten. Diese Bestände sollen – geht es nach der Initiative – in Gemeineigentum überführt und von einer dafür zu schaffenden Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) "unter demokratischer Beteiligung von Stadtgesellschaft, Mieter:innen, Beschäftigten und Senat verwaltet" werden, wie es auf der Website der Initiative heißt.

Verfassungsrechtliche Prüfung nötig

Der Entscheid ist nicht bindend, weil nicht über einen konkreten Gesetzentwurf abgestimmt wurde, der durch einen erfolgreichen Entscheid direkt beschlossen wäre. Für den Berliner Senat und das neu gewählte Abgeordnetenhaus bedeutet der Erfolg der Abstimmung nun, dass jetzt ein entsprechender Gesetzentwurf für die Vergesellschaftung erarbeitet werden muss.

Ob es dann tatsächlich dazu kommt, ist noch offen: Zum einen muss noch geprüft werden, ob das geplante Vorgehen verfassungsrechtlich überhaupt zulässig wäre. Unklarheit herrscht außerdem darüber, wie hoch die Entschädigungssumme, die den Unternehmen im Falle einer Vergesellschaftung zusteht, sein müsste. Die Meinungen in den Berliner Parteien über das Votum sind skeptisch, nur die Linke befürwortet die Forderungen bislang explizit.

Ein deutliches Zeichen

Der Nürnberger Mietervertreter Geiler hofft, dass ganz unabhängig davon, ob es letztendlich tatsächlich zur geplanten Vergesellschaftung komme, dass der Entscheid "die großen Immobilienkonzerne zusammenzucken lässt: Er sendet die Botschaft, dass auf dem deutschen Immobilienmarkt keine Maximalgewinne auf Kosten der Mieterinnen und Mieter garantiert sind und mit mehr Verantwortung agiert werden muss."

Kein Investorenmangel erwartet

Der Entscheid offenbare den Wunsch der Mieterinnen und Mieter nach Mitbestimmung und mehr Kontrolle und sei eine klare Antwort der Bürger auf die Frage, wer der wünschenswerte Immobilienanbieter sei. "Das Wohnungsproblem lösen wir nicht von oben, sondern von unten: Wir brauchen mehr Anbieter, die Wohnungen im Sinne der Gemeinschaft anbieten." In Nordbayern ist die Lage etwas anders als in Berlin: Die großen Konzerne wie Vonovia sind zwar auch hier tätig, allerdings in geringerem Maße als etwa in der Hauptstadt. Ungleich mehr Wohnungen in Nürnberg sind in der Hand von Genossenschaften: Das Evangelische Siedlungswerk und die kommunale Wohnungsbaugesellschaft wbg beispielsweise gehören zu den größeren Anbietern in der Stadt.

Aber: "Auch hier herrscht in den Metropolen großer Druck und die Lage ist alles andere als zufriedenstellend", so der Geschäftsführer. Geiler beschwichtigt die Sorgen der Kritiker, dass im Zuge einer Vergesellschaftung Investoren abgeschreckt werden könnten: "Ich habe aktuell nicht den Eindruck, dass es einen Mangel an Investoren gibt. Und wenn in der Folge dieses Entscheids einige große Haie wegfallen, dann wäre vielleicht mehr Platz für solche, die Wohnungen im Sinne der Mieterinnen und Mieter gewährleisten."

Enteignungen könnten Investoren verschrecken

Kritischer sieht das Gerhard Frieser, Geschäftsführer des Grund- und Hausbesitzervereins Nürnberg und Umgebung. Zwar spricht auch er von einem Signal, allerdings von einem verheerenden – vor allem für die kleinen und privaten Vermieter, die zu häufig mit den Großen in einen Topf geworfen werden: "Es signalisiert eine fehlende Wertschätzung denjenigen gegenüber, die noch bezahlbaren Wohnraum gewähren. Es wird niemand mehr investieren, wenn man Angst haben muss, enteignet zu werden."

Er bemerkt vor allem in Beratungen eine ohnehin sinkende "Lust am Vermieten", die bereits durch ständige Verschärfungen im Mietrecht befeuert würden. Ebenso seien Enteignungen der falsche Weg, weil dadurch kein neuer Wohnraum geschaffen und damit das Angebot nicht erweitert werde.

Spezielle Förderung statt Gießkannenprinzip

Frieser weist darauf hin, dass Enteignungen mit dem damit einhergehenden Werteausgleich einen erheblichen Kapitaleinsatz seitens des Staates erfordern. "Besser investiert wäre dieses Geld in eine gezielte Subjektförderung – zum Beispiel in Form einer Wohngelderhöhung – oder einer Objektförderung in sehr spezifizierter und ausgewählter Form, die den Erfordernissen von bezahlbarem Wohnraum und den Bedürfnissen der Wohnungssuchenden gerecht wird."

Der Eigentümervertreter mahnt zudem an, die Investitionen in Bestandswohnungen nicht zu vernachlässigen und kleinen Vermietern entsprechende Förderung und Unterstützung zukommen zu lassen. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Bereitschaft, Wohnraum zu Verfügung zu stellen, auch hoch bleibe und die Lust am Vermieten wieder zunimmt.

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