"Wohnen ist ein Grundrecht und muss für alle bezahlbar werden"

23.2.2021, 13:19 Uhr
In Deutschland wird viel gebaut - allerdings zu wenig Wohnungen für Einkommensschwächere.

© Soeren Stache/dpa In Deutschland wird viel gebaut - allerdings zu wenig Wohnungen für Einkommensschwächere.

Stephan Doll, DGB-Geschäftsführer in Mittelfranken: Der DGB war 2018 als Partner im Bündnis für bezahlbares Wohnen Teilnehmer am sogenannten Wohngipfel im Bundeskanzleramt. Die dort beschlossene Wohnraumoffensive hat leider ihre Ziele komplett verfehlt. Die Miet- und Kaufpreise steigen weiterhin auch in der Region stark an. Die wichtigste Säule für bezahlbares Wohnen ist geförderter, sozialer Wohnungsbau. In Nürnberg werden nur circa sechs Prozent der Wohnungen von der Stadt gefördert. Hier muss endlich mehr passieren. Wir fordern mehr Geld für geförderten Wohnungsbau. In Deutschland sind 2019 mit 64.000 Wohnungen über doppelt so viele Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen wie neu gebaut wurden. Dies ist eine wohnungspolitische Bankrotterklärung. Politik muss sich auch an das Bodenrecht herantrauen. Das begrenzte Bauland darf nicht Spekulationsobjekt bleiben. Der DGB unterstützt aus den genannten Gründen auch das Aktionsbündnis „Mietenstopp“. Wohnen ist ein Grundrecht und muss für alle bezahlbar werden.

Hannes Zapf, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau und Sprecher der Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“ in Bayern: Ja, zunächst hat die Regierung vieles, was im Regierungsprogramm steht, abgearbeitet und mehr getan als die Vorgängerregierungen, auch wenn sich das noch nicht in der Fertigstellungszahlen niederschlägt: Baukindergeld, degressive Abschreibung für kostengünstiges Bauen von Wohnungen, Mietpreisbremse, Anhebung des Wohngeldes, neue Vergaberichtlinien für Grundstücke der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Entwurf einer einheitlichen Bauordnung. Das selbstgesetzte Ziel der mindestens 350.000 neuen Wohnungen pro Jahr in der Legislaturperiode bis 2021 wurde aber klar verfehlt. Vor allem die Zahl der Sozialwohnungen ist sogar weiter rückläufig. Statt immer mehr Wohngeld für Sozialmieter an Vermieter am freien Wohnungsmarkt zu bezahlen, sollte der Staat (Bund und Länder) endlich dieses Geld direkt in den Neubau von Sozialwohnungen durch die Kommunen stecken.


Gunther Geiler, Geschäftsführer des Mieterbundes Nürnberg und Umgebung: Die Bundesregierung hat viel versprochen, wenig getan und noch weniger Erfolge. Der Wohnungsneubau ist unzureichend. Als Ziel waren 1,5 Millionen Wohnungen in vier Jahren ausgegeben. In den beiden Jahren 2018 und 2019 blieb der Wohnungsneubau hinter diesem Ziel um rund ein Viertel zurück. Die Sonderabschreibungen im Mietwohnungsbau sind wirkungslos. Steuerliche Verbesserungen für Investoren führen nicht automatisch zu niedrigeren Mieten. Solange es keine Mietobergrenzen gibt, werden Wohnungsanbieter die hohen Marktmieten fordern. Bund und Land versagen beim Vorhaben, eigene Wohnungen zu bauen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben wollte allein bis Ende 2024 3000 neue Wohnungen bauen – 50 sind es bislang. In Bayern ist es nicht besser: Als Ersatz für die 30.000 verscherbelten GBW-Wohnungen wollte Bayern mit der neuen Gesellschaft "Bayernheim“ 10.000 Wohnungen bis 2025 bauen. Von den 2000 Wohnungen, die bis Ende 2020 fertig sein sollten, existierten im vergangenen Dezember gerade 71. Auf dem Wohngipfel 2018 wurde das ohnehin unambitionierte Ziel ausgegeben, in dieser Legislatur 100.000 Sozialwohnungen zu errichten. Während 2019 genau 25.565 Sozialwohnungen – 5,5 Prozent weniger als 2018 – entstanden, sind 64.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen.


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Hannes B. Erhardt, Geschäftsführer des Evangelischen Siedlungswerks (ESW) und Vorsitzender der Vereinigung der Wohnungsunternehmen in Mittelfranken e.V.: Beim bezahlbaren Bauen und Wohnen in Deutschland ist auch zwei Jahre nach dem Wohngipfel noch sehr viel Luft nach oben, die Ziele sind nicht erreicht worden. Die sozial orientierten Wohnungsunternehmen sehen weiterhin enormen Handlungsbedarf auf allen staatlichen Ebenen. Zwar sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessert worden, aber vor allem bei der Beschränkung der Baukostensteigerungen sowie der verbilligten Abgabe von öffentlichen Liegenschaften für bezahlbares Wohnen hat sich nichts verbessert. Wir wünschen uns eine marktgerechtere und weniger bürokratische Ausgestaltung der Konditionen der Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Bauland sollte verbilligt und bevorzugt für preisgünstiges Bauen und Wohnen zur Verfügung gestellt und die Auflagen- und Gutachtenflut in Baugenehmigungsverfahren reduziert werden.


Gerhard Frieser, Chef des Eigentümerverbandes Haus&Grund Nürnberg: Seit dem letzten Wohnungsgipfel haben die Bundesregierung und auch die Länder ihre vollmundigen Ankündigungen nur unzureichend bis gar nicht umgesetzt. Halbherzige Änderungen am Baurecht, auch bei der Bayerischen Bauordnung, um das Bauen zu vereinfachen und zu beschleunigen, oder Maßnahmen wie das Überfluten mit Fördermitteln werden lange brauchen, damit sie sich am Markt auswirken. Konterkariert werden solche Bemühungen durch weitere Verschärfungen bei einer ineffektiven Mietpreisbremse oder durch Pläne, die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zu verhindern. Der Erwerb einer Eigentumswohnung ist für viele die einzige Möglichkeit, an bezahlbaren Wohnraum zu kommen. Zudem werden hierdurch Wohnungen zur Vermietung freigemacht. Auch das Ansinnen der Bundesregierung, die Umlagefähigkeit des CO2-Preises zu beschränken, ist für Millionen privater Eigentümer und Kleinvermieter eine Bedrohung ihrer Solvenz.

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