Ab 1. Oktober

Zwölf Euro Mindestlohn: Wer davon profitiert - und wer leer ausgeht

Katja Kiesel

Volontärin

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7.3.2022, 15:16 Uhr
Der Beruf des Floristen oder der Floristin gehört zu den 50 Stellen, die am meisten von der Anhebung des Mindestlohnes profitieren.

© Sebastian Gollnow Der Beruf des Floristen oder der Floristin gehört zu den 50 Stellen, die am meisten von der Anhebung des Mindestlohnes profitieren.

Seit einer Woche ist die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro ab Oktober 2022 beschlossene Sache - doch Unmut bleibt: Die Erhöhung der Lohnuntergrenze obliegt normalerweise der Mindestlohnkommission – über sie hat sich die Bundesregierung mit ihrem Beschluss hinweggesetzt. In dem Gremium sind Gewerkschaften, Arbeitgeber und Wissenschaftler organisiert, die die Lohnuntergrenze regelmäßig entlang der Tariflohnentwicklung anpassen. Eigentlich.

Gespaltene Meinung

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spricht von einem "notwendigen Schritt", die Arbeitgeberseite kritisiert die Umsetzung scharf. So wertet Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgebervereinigung (BDA), die Umgehung der Kommission als "Angriff auf die Grundprinzipien unserer Wirtschafts- und Arbeitsordnung".

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer interessiert vor allem eine Frage: Wer profitiert vom höheren Mindestlohn? Laut Gesetzentwurf erhalten 6,2 Millionen Menschen einen Stundenlohn, der niedriger als zwölf Euro liegt. Rund 111 000 sind demnach sogar trotz einer Vollzeitbeschäftigung auf Grundsicherung angewiesen – ihre Zahl soll durch die Erhöhung reduziert und so die Sozialsicherungssysteme entlastet werden.

Vor allem Frauen profitieren

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung geht von einer breiten Wirkung des erhöhten Mindestlohnes auch jenseits von Branchen mit traditionell vielen Niedriglohnbeschäftigten – wie dem Gastgewerbe oder dem Einzelhandel – aus. So könnte sich die Anhebung auch auf den Abrechnungen von Beschäftigten in Arztpraxen oder Anwaltskanzleien auswirken.

Nach Auswertung der Gehaltsangaben von rund 200.000 Beschäftigten aus der WSI-Lohnspiegel-Datenbank kommt das Institut zu dem Ergebnis, dass zu den Hauptbegünstigten vor allem Frauen - besonders wenn sie in Teilzeit angestellt sind oder ein befristetes Arbeitsverhältnis haben - und Beschäftigte in Betrieben ohne Tarifbindung zählen. Regional würde ein höherer Mindestlohn vor allem Menschen im Osten und Norden Deutschlands erreichen.

Immer weniger Tarifbindung

Zu den 50 Berufen, die am häufigsten von der Anhebung profitieren würden, gehören der der Friseurin, des Bäckereifachverkäufers und des Floristen. Aber auch in anderen beliebten Ausbildungsberufen wie Kauffrau im Einzelhandel, Rechtsanwaltsfachangestellter oder Kfz-Mechatronikerin bestehe ein erhöhtes Risiko, weniger als zwölf Euro zu verdienen. Ein Grund ist laut der WSI-Studie die gesunkene Tarifbindung in Deutschland: Zur Jahrtausendwende lag die bei 68 Prozent, 2020 waren es noch 51 Prozent.

Es gibt aber auch Gruppen, die eine Erhöhung des Mindestlohnes nicht erreicht: Dazu gehören Auszubildende, Pflichtpraktikantinnen und -praktikanten, Freiberuflerinnen und Freiberufler, Selbstständige und Langzeitarbeitslose innerhalb der ersten sechs Monate nach Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Auch Jugendlichen unter 18 Jahren muss kein Mindestlohn gezahlt werden.

Eine Frage des Respekts?

Die Bundesregierung rechtfertigt die Erhöhung mit dem im europäischen Vergleich geringen deutschen Mindestlohn und steigenden Lebensunterhalts- und Wohnkosten. Arbeitsminister Heil wertet einen armutsfesten Mindestlohn als Frage des Respekts vor ehrlicher Arbeit: "Die Anhebung kommt insbesondere den Leuten zugute, die in der Pandemie dieses Land am Laufen gehalten haben."

Während Gewerkschaften eine Stärkung der Kaufkraft erwarten, befürchtet das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) einen Abbau von Beschäftigung im Niedriglohnbereich. Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, teilt die Sorgen nicht: Die Anhebung des Mindestlohnes treffe auf eine gute Arbeitsmarktlage. Er ist sicher, dass die Kommission die nächsten Erhöhungen wieder selbst durchführt: "Nach meinem Eindruck ist das eine einmalige politische Entscheidung, die sich sicherlich nicht wiederholt." Die Kommission entscheidet erstmals im Juni 2023 wieder über eine Erhöhung des Mindestlohns.

Lesen Sie hier den Kommentar: Die Erhöhung des Mindestlohns ist richtig - und doch heikel.

Dieser Artikel wurde am 7. März aktualisiert.

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