Mutmaßlich gefährliches Tier in Oberbayern

Wolf darf getötet werden: Warum Fachleute dies für einen Fehler halten

18.1.2022, 05:55 Uhr
Wolf darf getötet werden: Warum Fachleute dies für einen Fehler halten

© Dominik Kindermann, imago images

Die Reaktionen auf die Pressemitteilung der Regierung von Oberbayern bezüglich der geplanten "Entnahme" des vermeintlichen Problemwolfs im Chiemgau ließen deshalb nicht lange auf sich warten. Für Norbert Schäffer, den Vorsitzenden des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), ist die Entscheidung "nicht nachvollziehbar"; die Begründung, durch das nun zum Abschuss freigegebene Tier mit dem genetischen Code GW2426m gehe "eine Gefährdung von Menschen" aus, sieht der LBV-Chef als nicht stichhaltig an.

"Bei 12 von 13 in den Landkreisen Berchtesgadener Land, Traunstein und Rosenheim kürzlich belegten Vorfällen mit Wölfen kam es nach Angaben der Expertenkommission zu keiner Interaktion Wolf-Mensch", erklärt Schäffer. Und in dem einen Fall sei der Wolf sofort geflüchtet. "Das ist nach Ansicht des LBV normales Wolfsverhalten und rechtfertigt keinen Abschuss."

BN wird "mit hoher Wahrscheinlichkeit" klagen

Auch der Bund Naturschutz in Bayern (BN) kritisiert die Entscheidung der Regierung von Oberbayern. "Wir werden uns den Bescheid anschauen und mit hoher Wahrscheinlichkeit dagegen klagen", kündigt BN-Wolfsexperte Uwe Friedel an. Dem Naturschutzverband nach hat sich der Wolf in Siedlungsnähe begeben, weil er dort Fressen in Form von ungeschützten Ziegen und Schafen fand. Die Schlussfolgerung, dass dieses Tier auch Menschen gefährlich werden könnte, hält der Fachmann für ziemlich gewagt.

Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU), die sich persönlich für die Tötung dieses Wolfs ausgesprochen hatte, verteidigt hingegen die Entscheidung der Regierung von Oberbayern. "Man muss ein Raubtier, das übergriffig geworden ist und ganz offensichtlich seine Scheu verloren hat, auch mal entnehmen", sagte Kaniber. Bei diesem Wolf, der immer näher an die Siedlungen herangekommen sei, sei das dringend notwendig. Der Wolf sei "ein Kulturfolger" und intelligent. "Wenn er lernt, dass es für ihn auf Almen, in Ställen und in Siedlungen Futter gibt, ohne dass er etwas zu befürchten hat, wird er immer dreister."

Kanibers Parteifreundin Marlene Mortler macht sich ebenfalls für eine gezielte "Entnahme" einzelner Wölfe in bestimmten Regionen stark. Die EU-Abgeordnete aus dem Nürnberger Land wirft dem Umweltausschuss des Europäischen Parlaments Tatenlosigkeit vor und unterstützt deshalb den Vorstoß des EU-Agrarausschusses, der die Zahl der Wölfe in manchen Landstrichen Europas reduzieren will.

Angst um die Weidetiere "allzeit präsent"

"Das sind wir unseren Bäuerinnen und Bauern schuldig, die unmittelbar vom Wolf betroffen sind", erklärt die CSU-Agrarpolitikerin. Die Angst vor einem Wolfsangriff auf Weidetiere sei allzeit präsent, und Herdenschutzzäune und Entschädigungszahlungen haben nach Mortlers Ansicht ihre Grenzen.
"Es geht nicht darum den Wolf auszumerzen, aber der günstige Erhaltungszustand ist in vielen Region Europas längst erreicht", erklärt das fränkische Mitglied des EU-Agrarausschusses. Wenn man nicht eingreife, dann wachse die Wolfspopulation jährlich um 30 Prozent.

Aktuell genießt der Wolf fast überall in der Europäischen Union den höchsten Schutzstatus. Festgeschrieben ist dies in der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die die Tötung von Canis Lupus auch außerhalb von ausgewiesenen Schutzgebieten unter Strafe stellt. Die Richtlinien sind auch deshalb so streng, weil dieses intelligente Raubtier extrem mobil ist und oft einen Aktionsradius von mehreren hundert Kilometern hat. Und so wäre das langfristige Überleben dieser Spezies nicht mehr gewährleistet, wenn der Schutz des Wolfs auf bestimmte Areale begrenzt werden würde.

Wenn sich die Wolfspopulationen in Deutschland weiter stabilisieren, dann könnte man auch nach Ansicht von Uwe Friedel mittelfristig über eine Einstufung des Wolfs in eine niedrigere Schutzkategorie diskutieren. „Aber das wird unserer Einschätzung nach noch einige Jahre dauern“, prophezeit der BN-Experte, für den der aktuelle Streit auch ein Stück weit eine Phantomdiskussion ist.

Besserer Herdenschutz nötig

„Die Befürworter solcher Entnahmen glauben, dass das einen konsequenten Herdenschutz ersetzen kann. Aber das ist ein Irrtum“, sagt Friedel. Zwischen der Zahl der Wölfe in einer Region und dem konkreten Ausmaß der Gefährdung für die dort gehaltenen Nutztiere bestehe kein direkter Zusammenhang. Der zur gezielten Tötung freigegebene Wolf im Chiemgau zum Beispiel könnte schon längst über alle Berge sein.

Norbert Schäffer verweist in diesem Zusammenhang auf den Aktionsplan Wolf des bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), nach dem ein Abschuss dann möglich sei, wenn ein Wolf wiederholt Herdenschutzmaßnahmen überwunden habe oder es zu Verlusten bei nicht schützbaren Herden gekommen sei. Bei dem Wolf im Chiemgau liegen sämtliche Orte, an denen Übergriffe stattfanden, innerhalb der sogenannten Förderkulisse Herdenschutz Wolf.

Nutztierhalter könnten Material- und Montagekosten für die Errichtung wolfssicherer Zäune zu 100 Prozent gefördert bekommen. Und gut gemachter Herdenschutz funktioniere, ist auch Uwe Friedel überzeugt.

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