Literaturtage

Wortwelten in Schwabach: Erlesener Auftakt zur 25. "LesArt"

8.11.2021, 06:04 Uhr
Leslie Malton und die Klezmer-Gruppe „Ensemble Noisten“ verabschieden sich nach der Lesung im Markgrafensaal vom Schwabacher Publikum.  

© Robert Schmitt Leslie Malton und die Klezmer-Gruppe „Ensemble Noisten“ verabschieden sich nach der Lesung im Markgrafensaal vom Schwabacher Publikum.  

Zum Auftakt ging der Blick allerdings zurück. Mit einer Brücke zum Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ zeigte der LesArt-Beginn, wie wichtig jüdische Künstlerinnen und Künstler für die deutsche Kultur waren.

Die Schauspielerin Leslie Malton erfüllte mit einer Auswahl an Gedichten, Briefen und Prosatexten der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler deren spektakuläre Wortwelten mit Leben, leitete das Publikum auf eine literarische Reise durch ihr Leben. Von der Geburt 1869 in der Nähe Wuppertals über ihre Zeit in Berlin bis zum Tod 1945 in Jerusalem.

So zurückhaltend wie ausdrucksstark: Leslie Malton.  

So zurückhaltend wie ausdrucksstark: Leslie Malton.   © Robert Schmitt, NN

Else Lasker-Schüler gilt als herausragende Vertreterin der avantgardistischen Moderne und als Vorreiterin des Expressionismus in der Literatur. Leslie Malton macht die Ausrichtung erlebbar; aus der umfangreichen Lyrik der deutsch-jüdischen Autorin zitiert sie allerdings nur spärlich. Immerhin gehören die Gedichtbände „Styx“ und „Der siebente Tag“ zu ihren einflussreichsten Werken. Doch die Stilmerkmale werden deutlich: Eindrucksvolle sprachliche Bilder reihen sich an Wortneuschöpfungen und erkennbare Übertreibungen.

Der Expressionismus beschreibt nicht, er verleiht Gefühlen und dem eigenen Innenleben Ausdruck. Das bestimmt Lasker-Schülers Dichtkunst, für die das Liebesgedicht „Ein alter Tibetteppich“ ein hervorragendes Beispiel gibt. „Deine Seele, die die meine liebet/ist verwirkt im Teppichtibet./ Strahl in Strahl, verliebte Farben,/Sterne, die sich himmellang umwarben“, lauten dessen erste Zeilen.

„Rasend verliebt“

Als Höhepunkt des Abends kann man aber ohne Zweifel zwei Brief-Texte bezeichnen. In einem beschreibt sie ihren Schriftsteller-Kollegen Gottfried Benn, dem sie 1912 begegnete und in den sie sich „rasend verliebt“. „Sein Lanzenspeer hat mitten in mein Herz getroffen“, stellt sie fest und beschreibt Benn als „Wildtiersturm mit Habichtnase und Leopardenherz“.

Global Klezmer“, exzellent dargeboten vom Ensemble Noisten.

Global Klezmer“, exzellent dargeboten vom Ensemble Noisten. © Robert Schmitt, NN

Im zweiten Text beschreibt der Arzt sie. Er scheint auch hingerissen. Benn gibt ihrer auffälligen Erscheinung einen Namen. Er sieht sie als „Schwarzen Schwan mit pechschwarzen Haaren und rabenschwarzen Augen“. Ihre Dichtung nennt er „exhibitionistisch“ und schildert ihre Lebensumstände. „Sie war immer arm“, schreibt Benn, „und hat in Kammern voller Krimskrams“ gelebt.

Viele Jahre hatte sie in der Tat keine eigene Wohnung. Auch während ihrer Zeit in Israel von 1939 bis zum Tode ist sie hauptsächlich von Freunden unterstützt worden. Benn bezeichnete sie 1952 als „größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“. Als „üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch“ beschrieb er ihre Sprache.

Umfangreiches lyrisches Werk

Else Lasker-Schüler hat ein umfangreiches lyrisches Werk, drei Dramen, als Prosawerke kürzere Skizzen und Erzählungen sowie Briefe, Dokumente und viele Zeichnungen hinterlassen. Sie war zwei Mal verheiratet und hatte enorme Schicksalsschläge zu verkraften.

Lasker-Schüler verlor ihren Lieblingsbruder, mit 21, die Mutter sowie den eigenen Sohn an Tuberkulose, als er 28 Jahre alt war. In Berlin lebte sie als Schriftstellerin und verkehrte in Künstlerkreisen. Alfred Döblin und Franz Marc gehörten zu ihren engen Freunden.

Von Ende 1912 bis zum Sommer 1914 kam es zu einem regen Briefwechsel mit dem „lieben Blauen Reiter“, wie sie Marc ansprach. Dem Maler vertraute sie sich offenbar tief an. Sie klagt über den Verlust der Liebe Benns, beschreibt ihre Verfassung als „lebensmüde“ und erklärt, „abenteuerlich sterben“ zu wollen. „Ich habe alles satt, ich wollte, jemand schenkte mir einen Stern, der mich sichtbar machen könnte“, wünscht sie sich

Zurückhaltend und ausdrucksstark

Leslie Malton las zurückhaltend, aber doch so ausdrucksstark und gemessen, dass jedes literarische Bild, jede Gefühlsregung und jede Erkenntnis der Autorin in den Saal flatterte, umherschwirrte und leise, aber nachdrücklich um Aufnahme bat. Das Publikum folgte der erfahrenen Schauspielerin.

Nicht weniger exzellent präsentierten sich die vier Partner Maltons auf der Bühne. Das „Ensemble Noisten“ spielte herausragenden „Global Klezmer“, wie das Quartett selbst seine Darbietung nennt, bei dem abwechselnd Klarinette und Bassklarinette dominieren. Elemente der Klassik, des Flamenco, des Jazz sowie türkische und tamilische Einflüsse schaffen einen weiteren Brückenschlag zwischen den Kulturen. Sowohl Literatur als auch Musik lassen Welten entstehen, die in ihrer kreativen Kraft Grenzen überwinden

Ein erlesener Abend auf höchstem Niveau und ein mehr als angemessener LesArt-Einstieg, der wesentlich mehr Publikum verdient gehabt hätte, aber Lust auf mehr macht.

Am Montag, 8. November, liest Lena Gorelik im Markgrafensaal ab 19.30 Uhr aus ihrem Buch „Wer wir sind“.

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