Zeitreise mit dem Musikzug

12.10.2010, 18:00 Uhr
Zeitreise mit  dem Musikzug



Als man mich vor zwei Jahren fragte, ob ich mir vorstellen könnte, zum 175-jährigen Jubiläum der ersten Zugfahrt in Deutschland ein Stück zu schreiben, zögerte ich mit einer Antwort wahrscheinlich unhöflich lange. Das lag daran, dass mein Verhältnis zur Eisenbahn kein ganz ungetrübtes ist. Zwar fand meine allererste größere Reise per Bahn statt, doch gab es damals noch Zollgrenzen in Europa und Höchsteinfuhrmengen von Wein, so dass es bei der Rückreise von Paris im Abteil zu unschönen Auseinandersetzungen zwischen mir – einem eben sechzehnjährigen, schwarz gekleideten Existenzialisten – und den Zöllnern gab.

Auch spätere Interrail-Touren quer durch Europa mit missgelaunten Schaffnerinnen in jedem einzelnen Land von Norwegen bis Spanien, die einen durchaus auch mal in einem gottverlassenen Provinzbahnhof in Frankreich an die Luft setzten, waren nicht geeignet, eine reine Liebe zwischen mir und der Eisenbahn wachsen zu lassen. Ein trauriger Höhepunkt war erreicht, als ich einmal von einer Lesung zurückreiste und der Zug bei Ansbach im Schneesturm stehen blieb und dann über Würzburg (!) nach Nürnberg umgeleitet werden sollte. Es war ein Uhr nachts und ich verließ fluchend den Zug, um mit dem Taxi nach Hause zu fahren, was sich als Fehler erwies, denn in Ansbach schlafen um ein Uhr alle Taxiunternehmer der Stadt. Es wurde keine schöne Nacht, aber Ansbach kenne ich jetzt ganz gut.

Deshalb zögerte ich also kurz, bevor ich eine erste Idee zu einem Musical über die Bahn hatte. Zu meinem Erstaunen lehnte die Intendanz meinen Plan, den „Adler“ ein musikalisches Rennen gegen den ICE fahren zu lassen und dazu die Schauspieler auf Rollschuhe zu stellen, rundweg ab. Das, meinte der Intendant, würde niemand sehen wollen. Ich musste mir also etwas anderes ausdenken, ging ins Verkehrsmuseum und blieb noch im Eingang stehen, denn dort stand, in Stein gehauen, die Inspiration als bärtige Büste auf einem Sockel im Treppenhaus.

„Wer ist Friedrich List?“, fragte ich einen der Wärter, aber der zuckte nur die Schultern, also setzte ich mich ins Museumscafé, las eine Broschüre über List und war glücklich, denn das Leben von Friedrich List war ein Theaterstück mit allen Höhen und Tiefen und ich brauchte es nur noch aufzuschreiben. Es ist eine Biografie, die auch für Shakespeare getaugt hätte: Ein ehrgeiziger junger Beamter, der wegen seiner Ideen mit dem König in Konflikt kommt, ins Gefängnis geht und danach ins Exil nach Amerika, zum Berater des Präsidenten aufsteigt und dann als amerikanischer Konsul nach Deutschland zurückkehrt.

Ein Mann, der das deutsche Eisenbahnnetz schon vor Augen hatte, als der Adler die ersten sechs Kilometer fuhr. Ein Mann, der seiner Zeit so weit voraus war, dass König LudwigI. sich mehr für seine schöne Tochter Elise als für seine Eisenbahnpläne begeisterte. Er wollte kein Bayern der rauchenden Schlöte... Als ich dann noch Thilo Wolf davon erzählte, kam die Musik für unser Musical, wie er sagte, von ganz allein. Aber, wie das so ist mit der Eisenbahn: Sie bringt einen von einem Ort zum anderen, und so ist dieses Stück eine musikalische Reise geworden: Von List aus dem 19. Jahrhundert bis in die zwanziger Jahre nach Nürnberg zum Ende der Ludwigseisenbahn in der Zeit von Revolution, Inflation und Jazz. Und jetzt, kurz vor der Premiere, muss ich dem Intendanten recht geben: Rollschuhe hätten in so ein Musical gar nicht gepasst.

Premiere ist am 15. Oktober, 19.30 Uhr, im Theater Fürth; weitere Vorstellungen 16., 17., 19., 22., 27. bis 30. Oktober. Kartentelefon: 0911/9742400.