Diese Hecke weiß genau, was die Uhr geschlagen hat

12.6.2014, 17:31 Uhr
Diese Hecke weiß genau, was die Uhr geschlagen hat

© Clemens Helldörfer

Beginnen Sie Ihren Spaziergang am „Riesenschritt“. Der Name wird auf eine alte volkstümliche Bezeichnung zurückgeführt. Vermutlich ist es eine boshafte Bezeichnung für eine besonders kurze Straße, die eben nicht länger als ein Riesenschritt ist. Eine gleichnamige Straße gibt es an keinem anderen Ort in Deutschland.

Diese Hecke weiß genau, was die Uhr geschlagen hat

© Clemens Helldörfer

Im Jahr 1209 übertrug Kaiser Otto IV. (1198 –1218) dem Deutschen Orden den Königshof mitsamt der zugehörigen Jakobskirche vor den Mauern der damaligen Lorenzer Stadtseite. Damit entstand eine der bedeutendsten Niederlassungen des Deutschen Ordens in Franken. Außerdem betreute die Deutschordenskommende mit dem Elisabethspital auch eines der größten Deutschordensspitäler im Reich und spätestens ab 1234 zudem den Siechkobel St. Johannis, der zur Keimzelle der ehemaligen Vorstadt im Nordwesten der Altstadt wurde. Mit dem Sebastianspital und dem Heilig-Kreuz-Pilgerspital wies Johannis zwei weitere Einrichtungen der reichsstädtischen Sozialfürsorge auf.

Jahrhundertelang war die Vorstadt Johannis durch Gärten geprägt. Von diesen im Zuge der Industrialisierung weitgehend verschwundenen Hesperidengärten haben sich zwischen Johannisstraße und Hallerwiese nur wenige Reste – teils mit großem Aufwand rekonstruiert – erhalten.

Vom Riesenschritt gelangen Sie durch ein Tor in die Gartenanlagen Johannisstraße 43–47. Gehen Sie rechts zu unserer zweiten Station in der Nähe der Sonnenuhr.

Gleich einem Gürtel legten sich seit dem 14. Jh. Gartenanlagen rund um die Mauern der Reichsstadt Nürnberg. Nicht nur wohlhabende Bürger und Patrizier, sondern auch Handwerker nannten ein kleines Fleckchen Boden ihr Eigen, auf dem sie Obst und Gemüse zogen. Der zweite Markgrafenkrieg legte das Paradies in Schutt und Asche, denn der Rat der Stadt Nürnberg ließ alle Bäume fällen, dazu alle Gebäude niederbrennen und niederreißen. Nachdem die Gefahr vorüber war, entstanden Gärten und Gebäude in neuer Pracht. Die höchste Blüte erreichte die Gartenkultur etwa von 1670 bis 1770. Sie wurde durch das Erfolgsbuch „Nürnbergische Hesperiden" (1708) des Autors Johann Christoph Volckamer (1644– 1720) überregional bekannt.

Diese Hecke weiß genau, was die Uhr geschlagen hat

© Clemens Helldörfer

Eigentlich sollten in den 1970er Jahren die historischen zweigeschossigen Häuser abgerissen werden, um für mehrstöckige Wohnblocks Platz zu schaffen. Auf Drängen des Bürgervereins St. Johannis wurde schließlich ein Bebauungsplan zur Wiedererrichtung einiger barocker Hesperidengärten aufgestellt. Mit einer Stimme Mehrheit stellte 1981 der Stadtrat Mittel zur Verfügung, sodass 1985 der Garten Johannisstraße 47 der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. Die Gebäude wurden unter Denkmalschutz gestellt und nach und nach restauriert. Drei unterschiedlich gestaltete Gartenparzellen haben die barocke Gartenkultur wieder zum Leben erweckt. Zier- und Nutzpflanzen wechseln einander ab, Zitronenbäumchen stehen an den Wegen, Springbrunnen plätschern leise – eine Oase mitten in der Stadt.

Da bei Ihrem Spaziergang sicherlich die Sonne scheint, können Sie die Uhrzeit an der Bodensonnenuhr aus Buchsbaum ablesen. Ihr Aufbau folgt einer Darstellung im Volckamerschen Hesperidenbuch und ist in Europa wohl einzigartig.

Empfehlenswert ist das Faltblatt „Hesperidengärten“, herausgegeben vom Bürgerverein St. Johannis, das nahezu alle Figuren beschreibt.

Begeben Sie sich nun auf die Hauptachse in Nr. 47. Zwei der Figuren der „Vier Erdteile“, Amerika und Asien aus dem verfallenen Garten Hallerwiese 4, wurden von den Altstadtfreunden gekauft und restauriert.

Diese Hecke weiß genau, was die Uhr geschlagen hat

© Repro: Altstadtfreunde

Vor dem prächtigen barocken Tor machen wir Halt. Es stammt aus städtischen Bergungsbeständen und wurde ebenfalls auf Initiative der Altstadtfreunde restauriert und eingebaut. Die Kosten wurden durch eine Spende der Sparkasse getragen. Von hier aus fällt es leicht, sich nun den ursprünglichen Zustand der Gartenanlagen vorzustellen. In der Regel waren die Grundstücke schmal und lang. Zur Straße stand das zweigeschossige Wohnhaus mit einer beheizbaren Winterwohnung im Erdgeschoss und der Sommerwohnung mit den wertvoll ausgestatteten „Lusträumen" im Obergeschoss. In den Seitenflügeln zum Garten waren Gärtnerwohnung, Remisen und Ställe sowie die Räume für die Aufbewahrung der frostempfindlichen Kübelpflanzen im Winter untergebracht. Diese hufeisenförmige Anlage wurde mit einem schmiedeeisernen Tor oder einer Balustrade vom Garten abgetrennt. Kreuzförmig angelegte Wege teilten den Garten in rechteckige und quadratische Pflanzbeete auf, die von niedrigen Hecken umzäunt waren. Im Anschluss an das Haus waren die Beete mit Zierpflanzen und ornamentalen Buchsarabesken gestaltet, dahinter wuchsen Nutzpflanzen. Parallel zu den Hecken standen auf Steinsockeln Zitronen- und Orangenbäumchen, aber auch Granatapfelgehölz in Terrakottakübeln. Reiche Gärten waren zudem noch mit barock geschwungenen Wasserbecken und Springbrunnen, Steinskulpturen und Laubengängen ausgestattet. Den Garten schloss am Ende des axial angelegten Hauptweges ein Pavillon oder Gartenhaus ab. Das Gestaltungskonzept entsprach dem Stil der italienischen Renaissance- und Barockgärten. Die Skulpturen stellten in der Regel Götter oder allegorische Figuren der antiken Geisteswelt dar.

Nun hinaus auf die Johannisstraße. Gehen Sie nach rechts, vorbei an den Vordergebäuden der ehemaligen Gartenanwesen bis zum Altenheim.

Ein Blick hinüber auf die Johannisstraße 32 a. Hier steht das „Orpheum“. Es wurde im Jahr 1910 als Kino gebaut und ist heute eines der wenigen verbliebenen Baudenkmäler im Stil der Neuen Sachlichkeit. Das zerstörte Gebäude wurde nach dem Zweiten Weltkrieg originalgetreu rekonstruiert und diente bis zu Beginn der 1960er Jahre wieder als Kino. Zwischenzeitlich Supermarkt, steht es derzeit leer. Es wurde von den Anwohnern einst liebevoll „Orphala“ genannt.

Diese Hecke weiß genau, was die Uhr geschlagen hat

© NZ-Infografik

Auf der Nordseite der Straße steht eine der Kreuzwegstationen (Nr. 5, Kreuztragung), die sich auf der Wegstrecke vom Pilatushaus am Tiergärtnertor zum Johannisfriedhof befinden. Sie bestehen aus sieben ursprünglich freistehenden Renaissancereliefs, dem Kalvarienberg neben dem Friedhofstor und der Grablegung in der Holzschuherkapelle. Sie gehen auf eine Stiftung zurück, die Ausführung erfolgte durch Adam Kraft 1505/08. Die Originale der Reliefs befinden sich im Germanischen Nationalmuseum. Gehen Sie die Burgschmietstraße entlang bis zur 4. Station (Schweißtuch der Veronika). Diese Station wurde 1948 zertrümmert geborgen und als Kopie 1986 wieder aufgestellt, gemeinsam finanziert von den Altstadtfreunden und dem Bürgerverein.

Gehen Sie kurz zurück und biegen Sie in die St.-Johannis-Mühlgasse ein. Hier liegt links das ehemalige Gelände der Hallerschen Stiftungen mit dem Wohnkomplex des Evangelischen Siedlungswerks. Im Garagenhof stehen Sie unversehens vor den kümmerlichen Resten der Heilig-Kreuz-Kirche von 1352/53. Sie gehörte zum Pilgerspital, das als Herberge für fremde „Pilger, Wallfahrer, arme Priester, Studenten und Schüler“ diente. Das Spital wurde 1808 aufgelöst und die Gebäude zusammen mit der Kirche 1943/45 zerstört. Heute pilgert kaum noch jemand zu diesem verborgenen Ort der Erinnerung an eine großherzige Stiftung.

 

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