Gänsehaut im Burggraben

16.10.2014, 18:24 Uhr
Gänsehaut im Burggraben

© Foto: Stefan Hippel

Wir beginnen unsere Tour beim Tiergärtnertor (1). Nach einer Sage wollte hier ein Bäckerjunge im Jahre 1514 nach Einbruch der Dunkelheit einen Krug Wasser vom Brunnen holen. Dabei verschwand der Pudel seines Meisters im nur angelehnten Tor, das nach dem Abendläuten verschlossen hätte sein müssen.

Das Erstaunen war groß, als der Lehrling den Ratsherrn und Losunger Anton Tetzel im Durchgang entdeckte, einen der vornehmsten und geachtetsten Bürger der Stadt. Dieser gab nach Androhung der Folter zu, dass er das Tor geöffnet hatte, um den Markgrafen, den Erzfeind der Nürnberger, mit seiner Mannschaft hereinzulassen.

Der Losunger wurde für sein schändliches Verhalten in den Turm geworfen. Dort ist er nach drei Jahren gestorben. Während die Haftstrafe des Losungers historisch verbürgt ist, gehört die Geschichte mit dem Bäckerjungen in den Bereich der Sage.

Wir durchschreiten den Tunnel der Bastion und gehen rechts die Treppe in den Graben hinunter. Leicht ansteigend führt der Weg an den dreizehn Gärten der Schnepperschützen vorbei.

Sobald wir die letzte der Fazuni-
Bastionen umrundet haben, taucht das Ensemble von Fünfeckturm, Kaiserstallung und Luginsland auf. Zu jeder Tageszeit, jedoch besonders
im Abendlicht oder bei nächtlicher Beleuchtung ein grandioser Anblick! (2)

Geständnisse wurden unter Folter erpresst

Gänsehaut im Burggraben

Bevor wir die Pfeiler der Vestnertorbrücke durchschreiten, erkennen wir links oben das Hexenhäusle (3). Anlass, sich der Opfer der Hexenverfolgung zu erinnern. Im 17. Jahrhundert erreichte sie ihren Höhepunkt. Als Beispiel sei hier Margaretha Mauterin genannt, die unter der
Folter eine Vielzahl von typischen Hexenverbrechen zugab: Neben dem Geschlechtsverkehr mit dem Teufel gestand sie unter anderem, zweimal die Hostie beim Abendmahl aus dem Mund genommen und sie dem Teufel überreicht zu haben. Das Urteil lautete Tod durch Verbrennen, wobei sie aus Gnade vorher an einem Pfahl erwürgt wurde.

Aber auch Männer wurden bezichtigt, mit dem Teufel im Bunde zu
stehen, so im Fall des gerade einmal zwanzigjährigen Nagelschmieds Hans Hees.

Ihm wurde zum Verhängnis, dass er so viel arbeiten konnte wie sonst nur drei Leute zusammen. Das konnte doch nur mit Hilfe des Teufels geschehen! Im Verhör gab er zu, sich dem Satan ergeben zu haben. Beide aßen und tranken häufig zusammen. Genug an Freveltaten, um ihn mit dem Schwert zu enthaupten. Der Zufall will es, dass Sie sein Haus noch besuchen können. Das Anwesen Kühnertsgasse 22, heute Teil des Museums
der Altstadtfreunde, gehörte seinem Vater Georg Hees.

Eppeleins unrühmliches Ende

Rechts türmt sich die Mauer des Eppeleinsprungs auf (4). Jeder kennt die Geschichte von dem Raubritter und seinem kühnen Satz über den Graben. Wie aber wurde er schließlich doch noch seiner gerechten Strafe zugeführt? Nachdem er im Jahre 1381 wieder einige dreiste Räuberstücke durchgeführt hatte, wurde er in Postbauer von Bauern erkannt, mit seinen Kumpanen überwältigt und nach Neumarkt gebracht. Das Urteil zum Tode durch das Rad vollstreckte der Scharfrichter von Burgthann am 15. Mai 1381.

Beim anschließenden Fünfeckturm (5) ist bemerkenswert, dass sich darin vor dem Krieg eine Sammlung von grauenerregenden Folterwerkzeugen befand, ein Muss für jeden Touristen und jede Schulklasse! Was allerdings verschwiegen wurde, war die Tatsache, dass die allermeisten der gezeigten Instrumente Fantasiegebilde zur puren Befriedigung sensationeller Schaulust waren.

Das gilt auch für das Prunkstück der Sammlung, die Eiserne Jungfrau, die sich gewissermaßen zu einer Art Wahrzeichen der Stadt aufschwang. Der Journalist Georg Gärtner beschreibt sie 1925 so: „Im dämmerigen Halbdunkel des alten Turmgemachs, das schon für sich allein imstande ist, die nötige Gänsehaut-
Stimmung zu erzeugen, steht eine große weibliche Figur in altertümlicher Tracht.

Das Ganze aus Eisen. In dem hohlen Innern sind überall lange eiserne Spitzen angebracht, und nun hören wir eine schaudererregende Erklärung, wie das Ding gehandhabt wurde: Der Mensch, der dazu verdammt worden war, in den Armen der eisernen
Jungfrau zu sterben, wurde in die geöffnete Jungfrau gestellt, diese dann geschlossen. Zwei der oberen Spitzen sind so angebracht, dass sie sich gerade in die Augen bohren mussten, andere trafen das Herz.“

Natürlich war die Jungfrau so nie in Gebrauch. Untersuchungen ergaben, dass die vielleicht um 1600 in Böhmen entstandene Figur als Schandmantel hergestellt wurde. Es gab auch nicht nur eine einzige Eiserne Jungfrau. Ein Exemplar wurde 1889 nach Amerika verkauft. Die in Nürnberg verbliebene Version, die so viele Besucher faszinierte, verbrannte 1945 zusammen mit der „kriminalistisch-kulturhistorischen Sammlung“ im Turm.

Der im Winter 1377 in höchster
Eile während der Abwesenheit des Burggrafen errichtete Luginsland (6) diente eigentlich dazu, „dass man in des markgrafen purk möchte gesehen“.

Nach dem Verkauf der Burggrafenburg an die Stadt im Jahre 1427 verlor der Turm seine Funktion und diente als Gefängnis und „Narrenhäuslein“. Zu den berühmtesten Gefangenen gehörte der Patrizier Hans Stromer. Er war ein großer Bratwurstliebhaber, und so hat man ihm „alle Mahlzeit neben anderer Speis auch eine Bratwurst aufsetzen müssen“. Nach 38 Jahren im Gefängnis starb er im Turm. Ein Chronist hat ausgerechnet, dass er in dieser Zeit 28 000 Bratwürste verzehrt hat!

Die Eiserne Jungfrau inspirierte den Dracula-Autor

Gänsehaut im Burggraben

Auf der Höhe des Spielplatzes (7) könnte sich die Geschichte zugetragen haben, die der Autor von Dracula erzählt. In den Jahren 1885 und 1893 besuchte der irische Schriftsteller Bram Stoker Nürnberg, wo er auch die Eiserne Jungfrau sah. Nach seinem zweiten Aufenthalt veröffentlichte er die Erzählung „The Squaw“ und trug damit wesentlich zur Popularität des angeblichen Folterinstruments
im angloamerikanischen Bereich bei. Stoker erzählt von seiner Reise nach Nürnberg, begleitet von seinem Freund Hutcheson. Dabei wollen sie natürlich die berühmte Eiserne Jungfrau sehen. Auf dem Weg zur Burg entdecken sie im Graben ein Kätzchen, das mit seiner Mutter spielt. Um das Spiel anzuregen, wirft Hutcheson einen Stein hinunter und trifft unbeabsichtigt das Katzenjunge tödlich am Kopf. Den Blick der Katzenmutter konnte Stoker nie vergessen. Sie erinnerte ihn an eine Apachensquaw, die den Entführer ihres Kindes mit unerbittlichem Hass verfolgt hatte.

Den Besuch in der Folterkammer beschreibt Stoker in allen schrecklichen Details, wobei er sich auf die Eiserne Jungfrau konzentriert. Sein Begleiter ist von dem Gerät so fasziniert, dass er sich in die Jungfrau zwängt und den Wärter bittet, den Mantel ein Stück zu schließen. In diesem Moment taucht die Katze auf und springt dem Wärter ins Gesicht. Dieser lässt entsetzt das Seil los, worauf sich der Mantel krachend schließt und Hutcheson mit seinen Stacheln durchbohrt. Am Ende leckt die schwarze Katze laut schnurrend das Blut auf, das aus seinen durchstoßenen Augenhöhlen tropft.

Nachdem wir die Treppen hochgestiegen sind, erreichen wir das Maxtor (8), eine Bresche, die in den 1870er Jahren in die Stadtmauer geschlagen wurde. Hier stand der mächtige, 1877 abgebrochene Fröschturm. Darin hatte der Antiquar Georg Friedrich Geuder in den 1860er Jahren eine Sammlung von Folterinstrumenten zusammengetragen. Dabei tauchte erstmals die Eiserne Jungfrau auf. Nach Abbruch des Turms wurde die Sammlung in den Fünfeckturm verlegt.

Wenn wir hier am Ende des Spaziergangs darüber sinnieren, dass wir
heute einen Schritt weiter sind und das Zurschaustellen menschlichen Leids auf der Burg in der „Stadt der Menschenrechte“ undenkbar ist, dann dürfen wir nicht vergessen, dass genau dies in den Lochgefängnissen als Hauptattraktion des Rathauses tagtäglich geschieht. Eigentlich ein unmöglicher Zustand!

 

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