Als das Abendland mit der Antike verschmolz

21.4.2016, 17:33 Uhr
Als das Abendland mit der Antike verschmolz

© Foto: Kowatsch/Congress- und Tourismuszentrale

Zunächst wäre zu klären: Was verstehen wir eigentlich unter Renaissance? Die alleinige Antwort „Wiedergeburt der Antike“ wird ihrem Inhalt nur unzureichend gerecht. Vielmehr bedeutet Renaissance ein neues Zeitalter, das unter Vorantritt Italiens heraufgezogen ist mit der Befreiung der Persönlichkeit von mittelalterlichem Gedankengut im Sinne des Humanismus. Renaissance ist somit ein neues Welt- und Lebensgefühl! Hierbei nähert sich die abendländische Kunst wie noch nie zuvor der Antike. In Italien umfasst die Renaissance den Zeitraum von Anfang des 15. bis zur Hälfte des 16. Jh., bei uns den Zeitraum von Anfang des 16. bis Mitte des 17. Jh., somit ca. 100 Jahre zeitverzögert. Albrecht Dürer schuf hierbei einen ureigenen Stil, den man am treffendsten
mit „deutsch-italienisch“ bezeichnen kann. Mit ihm begann die Renaissance nördlich der Alpen!

Kein völliger Bruch mit der vorausgegangenen Gotik

Im Bereich der Architektur besitzen wir aus dieser Zeit in Nürnberg leider nur sehr weniges, und das Wenige ist durch Kriegszerstörungen zum Teil auch nicht mehr original. Anders als in vielen deutschen Gegenden gab es hier keinen völligen Bruch mit der vorausgegangenen Gotik. Man übernahm lediglich einzelne Motive der Renaissance und entwickelte daraus eine ganz eigene Formensprache.

Beginnen wir unseren Spaziergang vor der Westfassade des Rathauses. Der von Jacob Wolff d. J. 1616 – 22 ausgeführte Bau vertritt den Typus eines italienischen Stadtpalastes der Hochrenaissance: das Sandsteingebäude streng horizontal gelagert, ein sockelhaftes Erdgeschoss, dicht gereihte Fensterachsen mit Segment- bzw. Dreiecksgiebeln im 2. Obergeschoss und Eckrustika = Buckelquader. Aber auch hier keine bloße Imitation des „Italienischen“, sondern als typisches Nürnberger „Extra“ die Betonung der Senkrechten mittels der drei Pavillonaufbauten in Anlehnung an französische Schlossarchitektur und die heimischen Dacherker.

Als das Abendland mit der Antike verschmolz

© Foto: Weigert

Die Gestaltung der drei Portale mit ihren gesprengten Giebeln weist bereits auf den Barock hin (sog. manieristischer Zwischenstil): Das Hauptportal mit den allegorischen Figuren der Weisheit (Spiegel), der Gerechtigkeit (Waage), dem Reichsadler und dem seine Jungen mit seinem Herzblut fütternden Pelikan als Sinnbild der Aufopferung. Das Ganze unter dem Motto P.L.E.G. (mit Weisheit, Gesetzen und Güte – übersetzt aus dem Lateinischen) als Leitspruch für die damaligen (und auch heutigen?!) Stadtoberen.

Das nördliche Seitenportal mit den Allegorien des babylonischen (Ninus mit Löwe) und des persischen Weltreiches (Cyrus mit dem Bären), bekrönt vom „großen“ Stadtwappen, dem Königskopf – hier wohl besser Frauenkopfadler.

Das südliche Portal mit den Allegorien des römischen Weltreiches (Cäsar mit dem zehnhörnigen Wolf) und des alexandrinischen Reiches (Alexander d. Gr. mit dem vier-flügeligen und vierköpfigen Leoparden), bekrönt vom „kleinen“ Stadtwappen.

Begeben wir uns nun durch das Hauptportal in den großen Rathaushof. Mit seiner nach schwersten Zerstörungen wiederaufgebauten Westfassade zeigt er entsprechend der Außenfassade ebenfalls ein sockelhaft geschlossenes Erdgeschoss mit Rundbogenportalen. Die Obergeschosse sind über schweren Balustraden in Pfeilerarkaden mit vorgeblendeten toskanischen Pilastern gegliedert. Alles typische Elemente der Hochrenaissance.

Fast verloren im Geviert des Hofes wirkt der noch originale, von Pankraz Labenwolf 1557 gegossene „Puttenbrunnen“, dessen architektonischer Aufbau und die zierlich feine Durchbildung der Motive für die deutsche Renaissance von seltener Geklärtheit ist: Auf einem flachen, muschelförmigen Becken umgeben acht wasserspeiende Delphine eine am Sockel reichverzierte, kannelierte Säule. Sie trägt an der Spitze einen Putto, die Figur eines pausbäckigen, nackten Knäbleins mit Schild und Fähnlein.

Parallelen zu kastilischen Innenhöfen

Als das Abendland mit der Antike verschmolz

© Foto: Clemens Helldörfer

Der zu den Ämteröffnungszeiten frei zugängliche „Welserhof“ in der Theresienstr. 7 ist unser nächstes Ziel. Das im Auftrag des Großkaufmannes Jacob Welser von Hans Beheim d. Ä. 1509 –12 errichtete Prachthaus wurde 1945 teilzerstört und 1961– 63 zum Teil modern wiederaufgebaut. In alter Form erhalten sind die Erdgeschosshalle und bis auf den Ostflügel der Arkadenhof als Mischung von Handelshaus und Stadtpalast am Übergang der Spätgotik zur Renaissance. Die segmentbogigen Arkaden mit den überreichen Maßwerkbrüstungen jedoch als „italienisches Moment“ zu bezeichnen wäre unrichtig. Am ehesten finden sich Parallelen zu kastilischen Innenhöfen, wobei die Übernahme derer Formensprache durch die historischen Handelsbeziehungen der Welser zu Spanien plausibel erscheint. Der offene Treppenturm war ursprünglich die einzige Verbindung zu den Obergeschossen des Hauses. Am nördlichen Hofflügel findet sich ein ornamental aufgefasstes steinernes Renaissancechörlein von um 1550 mit dem Welser’schen Wappen an der Brüstung. Zeitgleich vor einer Rundbogennische ein Brunnentrog mit Volutenornamenten, wobei die Kopie einer Mauritiusfigur des Erzgießers Peter Vischer d. Ä. (Original von 1495 im GNM) sehnlichst auf ihr Wiedererscheinen wartet!

Als das Abendland mit der Antike verschmolz

© NZ-Info_Grafik

Wir gehen weiter zur Burgstr. 15, dem Stadtmuseum „Fembohaus“. Benannt nach der Familie Fembo, in deren Besitz es 1813 ging. Erbaut von 1591– 96 für den niederländischen Seidenhändler van Oyrl, unterscheidet es sich zunächst nur wenig von gotischen Bürgerhäusern. Renaissance und Italien zeigen sich erst beim Blick nach oben zum für Nürnberg ganz ungewöhnlichen Giebel: Er ist typisch für die Renaissance breit gelagert, durch Gesimse horizontal gegliedert und an den Giebelschrägen verziert mit Voluten (Schneckenformen) Kugeln, Obelisken, Pinienzapfen und Vasen. Die mittigen Giebelfenster werden von klassischen Säulenordnungen flankiert (von unten: ionisch, korinthisch, dorisch). An den Fensterbrüstungen finden sich allegorische Reliefs der vier Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde. Als Giebelbekrönung dient die Figur der Fortuna. Beim Blick von der Stöpselgasse auf das Hausdach mit seinem Ziererker zeigt sich die eingangs schon erwähnte Nürnberger Symbiose aus heimatlichen gotischen Formen und importierter Renaissance: die Brüstungsfelder mit gotischem Maßwerk, daneben zwei Rundbogenfenster, antikisierte Säulen, ein Gesims und abschließend wieder ein typisches fränkisches Spitzdach. Der Innenhof (bitte am Kassenschalter um Erlaubnis fragen!) ist wieder ganz im Sinne der Renaissance gestaltet: Über Sandsteinquadern des Mittelflügels sehen wir eine erstaunlich schlichte dreigeschossige Holzgalerie mit Dockenbalustern.

Eigentlich schon am Ende unseres heutigen Rundganges angelangt, sollten wir noch die wenigen Schritte hinauf zum Egidienplatz Nr. 23 gehen, dem ehemaligen „Pellerhaus“. Ein Ort, in dem sich seit 2008 eine wahre „Wiedergeburt“ ereignet, nämlich die Wiederherstellung eines der prächtigsten Arkadenhöfe der Renaissance deutschlandweit!

Aber keine Sorge, für heute ist unser Wissensdurst gestillt. Der Abstecher nach hier oben sollte nur dazu anregen, noch mehr hierüber zu erfahren. So bieten die Altstadtfreunde auch weiterhin regelmäßig, jeden Samstag um 15 Uhr, kostenlose Kurzführungen durch die Baustelle an. Denn bei all der großartigen Gotik, die uns in unserer altehrwürdigen Reichsstadt umgibt, gilt auch: „A weng Renaissance hammer scho aa!“

 

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