Shahed und das Spiel des Lebens

15.2.2017, 20:07 Uhr
Shahed und das Spiel des Lebens

© Foto: Ralf Rödel

In alten Hosen und zerknittertem Hemd steht Rushdie Boubaki da, die Vergangenheit trägt er in der ausgebeulten Hosentasche. Der 52-Jährige zieht das Handy hervor und zeigt Fotos: seine Tochter, als sie zusammen mit anderen jungen Sportlern für ihre Leistungen ausgezeichnet wurde. Shahed spielt immer noch Basketball, so wie damals in Aleppo, aber nun sind sie in Nürnberg und Shahed ist in einem Verein, der sich "Post Es-Vau" nennt, und er steht hier auf der Tribüne der Paul-Moor-Halle in Schafhof bei einem Spiel der Bayernliga und feuert sie an.

Glücklich und traurig zugleich

Einige Stunden ist Shahed Boubaki immer unterwegs, wenn sie mit Zug und Bus aus Pommelsbrunn nach Nürnberg zum Training fährt. Montag und Mittwoch spielt sie mit den anderen Mädchen in einer Halle in Gostenhof, an den Wochenenden ist oft ein Turnier. Schule, Basketball, Sprachkurs – tröstliche Routine bestimmt ihr Leben. "Ich bin glücklich und traurig gleichzeitig", sagt Shahed auf Deutsch. Der Sprachkurs hat gerade erst angefangen, aber sie und ihr 17 Jahre alter Bruder lernen zu Hause die Sprache der neuen Heimat, seitdem sie hier angekommen sind.

Als Bootsflüchtling ist Rushdie Boubaki über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er zog weiter nach Nürnberg, im November holte er seine Frau Doha Mardom und die jüngsten Kinder nach. Zusammen leben sie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung auf 50 Quadratmetern. Rechtsanwalt war er früher, Doha lehrte an der Universität Architektur. Die älteste Tochter ist Zahnärztin, die mittlere studiert noch, beide blieben im Haus der Oma in Aleppo zurück. "Wir sind jetzt arme Leute", stellt Shahed nüchtern fest. Ihr Vater sagt: "Ich kann es nicht fassen, dass es passiert ist."

Damals, bevor der Bürgerkrieg sein bisheriges Leben pulverisierte, ließ Boubaki an das große Haus in Aleppo eine Halle anbauen. Damit Shahed jeden Tag Basketball spielen konnte. Außerdem schwamm sie, spielte Fußball. Sie ist sehr sportlich, seine Jüngste. Ob das viele Mädchen machen in Syrien? "Ja natürlich, es ist normal, Basketball zu spielen." Boubaki, freundlich lächelnd, versteht den Sinn der Frage zunächst nicht.

Michael Hertlein, der Trainer einer U 15-Mädchenmannschaft beim Post SV, stellte im November gerade ein neues Team zusammen, als ihm eine Bekannte erzählte: Da ist vielleicht jemand für deine Mannschaft. "Als die Shahed trainiert hat, habe ich gesehen, dass sie schon mal Basketball gespielt hat", untertreibt Hertlein. Das große, dunkelhaarige Mädchen ist so gut, dass es inzwischen in der Bayernliga spielt. Seitdem gibt ihr der Sport Raum und Halt, sie hat Freunde, der Verein ist ihr zweites Zuhause. "So muss Integration laufen", freut sich Michaela Fuhrmann. Sie leitet die Basketball-Mädchenabteilung beim Post SV mit zwölf Mannschaften. Ballett und Tanz, das seien die größten Konkurrenten für ihren Sport, sie ist froh über die Verstärkung aus Syrien.

Die Zukunft ist für Shahed vor allem die Entscheidung darüber, ob sie Ärztin oder Architektin werden möchte. Ein Leben in Aleppo, eine Rückkehr, gehören für Shahed nicht unbedingt dazu. Sie möchte ihre Geschwister wiedersehen, doch eine ausgezeichnete Ausbildung ist das Wichtigste. Die bleibt, selbst wenn man plötzlich ein Flüchtling ist, ein Asylbewerber, einer von mehreren Millionen, die das Heimatland hinter sich lassen. Wenn man ganz unten gelandet ist.

Der Post SV wird verlieren, er ist im Rückstand gegen den Favoriten TV Schwabach. Rushdie Boubaki ärgert sich oben auf der Tribüne, er ist ehrgeizig, der Ehrgeiz reicht auch für seine Kinder. Als Anwalt, weiß er, wird er hier in Deutschland nicht mehr arbeiten können. Aber vielleicht als Ingenieur, "ich habe auch noch einen Abschluss in Maschinenbau", sagt der 52-Jährige. Das Handy klingelt, er greift müde in die ausgebeulte Hosentasche. Für einen Moment sieht er wieder aus wie: irgendeiner von vielen Millionen Flüchtlingen.

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