"Schule muss sich als lernende Organisation begreifen"

15.11.2017, 07:59 Uhr

© Jo Seuß

Herr Jehle, PI oder IPSN — welches Kürzel ist schöner?

Bernhard Jehle: Ich finde den neuen Begriff besser, weil er die beiden Hauptfelder unserer Arbeit ausdrückt, Pädagogik und Schulpsychologie.

Wenn Sie zurückblicken, wie haben Sie die ersten Jahre des PI in Erinnerung?

Jehle: Als ich 1987 mit einer halben Stelle zum PI ins Schulhaus Insel Schütt kam, war das PI ziemlich bildungspolitisch ausgerichtet — im Gegensatz zum staatlichen Schulsystem.

Das PI galt seit den Anfängen in der Ära des Kultur- und Schulreferenten Hermann Glaser als Vorreiter.

Jehle: Eine Vorreiterrolle hatten wir beim Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus. Die erste Ausstellung wurde mit dem Titel "Faszination und Gewalt" im PI konzipiert und betreut, die Basis für das heutige Dokuzentrum.

Bei welchen pädagogischen Themen war das PI innovativ?

Jehle: Schuldemokratie, also Partizipation, spielte früh eine wichtige Rolle. Mitte der 90er kam die Pädagogische Schulentwicklung mit der Förderung eigenverantwortlichen Lernens und der Team-Entwicklung dazu, woran sich schulischen Qualitätsmanagement anschloss. Die interkulturelle Bildung, in den ersten Jahren Ausländerpädagogik genannt, zieht sich durch die letzten drei Jahrzehnte. Wir sind Partner des Projekts "Schule gegen Rassismus, Schule mit Courage". Auch in der Umweltpädagogik waren wir führend.

Das PI ist aber auch immer wieder angeeckt.

Jehle: Unsere Fortbildungsreihe "Schwule(s) und Schule" fanden in den 90ern manche im Stadtrat gar nicht gut. Heute wäre das kein Problem mehr. 1996 ging es uns in den Haushaltsberatungen beinahe an den Kragen. Von da an ging es bergauf. Damals hat auch die Kooperation des PI mit dem Kultusministerium begonnen, die im Laufe der Jahre intensiviert wurde.

Welche Themen fanden Sie am spannendsten?

Jehle: Neben der Pädagogischen Schulentwicklung die Reformpädagogik, die da gut dazupasst. Aktuell sind es die Themen Vielfalt, multiprofessionelle Teams und Inklusion.

Und gab es auch Nerviges?

Jehle: Genervt hat mich eigentlich nur die G8/G9-Thematik, weil es immer nur um eine Schulart ging und nicht um Inhalte.

Ist die Reformpädagogik heute noch ein zentrales Thema?

Jehle: Ja, das zeigen die Anmeldungen. Wir haben den Bereich mit dem Ziel aufgebaut, dass die öffentlichen von den reformpädagogischen Schulen lernen können — und umgekehrt.

Wenn man es auf den Punkt bringt: Worauf kommt es bei der Qualität der Schule an?

Jehle: Das lässt sich nicht in Kürze sagen. Doch der Kern ist ein guter Unterricht mit Methodenvielfalt statt einseitigem Frontalunterricht. Die Schule muss sich als lernende Organisation begreifen, die sich den aktuellen Herausforderungen stellt und nicht nur einen Lern-, sondern auch einen Lebensraum bildet.

An den Rahmenbedingungen für ein inklusives Schulsystem gibt es viel Kritik. Wie sehen Sie das?

Jehle: Mittlerweile ist Inklusion kein Fremdwort mehr. Unsere Rolle war es, früh Tagungen und Hospitationen dazu anzubieten. Derzeit sind wir mitten in einem Kurs, in dem sich Lehrkräfte quer durch alle Schularten qualifizieren. Ich habe das Gefühl, dass alle, die Verantwortung tragen, mittlerweile hinter der Inklusion stehen, die Schulen fühlen sich aber oft überfordert, weil die Ressourcen fehlen.

Alle reden von Digitalisierung und neuen Medien. Geht die Entwicklung irgendwann zum Lehrer-Coach im Internet?

Jehle: Neben der Inklusion halte ich dies für die größte Herausforderung der nächsten Zeit. Neben der technischen Ausstattung muss ein Konzept entwickelt werden, wie man Methodenvielfalt mit den digitalen Hilfsmitteln verbinden und die Lehrkräfte entsprechend qualifizieren kann. Dass Lehrerinnen und Lehrer überflüssig werden, glaube ich nicht. Im Gegenteil, sie werden künftig verstärkt als Lernbegleiter mit Erziehungsaufgaben für die Kinder und Jugendlichen gebraucht.

Das Burn-out-Syndrom ist unter Lehrern weit verbreitet. Was kann dagegen getan werden?

Jehle: Fortbildungen wie "Classroom-Management" und "Stabilisierende Gespräche in der Krise" können zur Burn-out-Prävention beitragen. Auch bieten wir Supervision an. Nicht nur bei Jugendlichen mit schwer erträglichen Verhaltensweisen sind multiprofessionelle Teams und runde Tische sinnvoll, so dass das "Einzelkämpfertum" reduziert und die Einzelnen entlastet werden.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Einrichtung?

Jehle: Sehr positiv! Wenn nächstes Jahr noch die Umweltstation im Wöhrder See gebaut wird, die wir mitkonzipiert haben, sind wir gut gerüstet für die Zukunft.

Und was haben Sie sich für den Ruhestand vorgenommen?

Jehle: Ich möchte weiter an einer inklusiven Stadtgesellschaft mitarbeiten und einen Beitrag dazu leisten, dass aus einer multikulturellen eine interkulturelle Gesellschaft wird. Außerdem will ich mich um den Haushalt kümmern. Der Unruhestand ist nicht mein Ziel.

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