26. Dezember 1968: Von der Unerträglichkeit des Glücks

26.12.2018, 07:00 Uhr
26. Dezember 1968: Von der Unerträglichkeit des Glücks

© Ulrich

In Deutschlands jüngerer Theatergeschichte wurden zwei Ereignisse der "Othello"-Regie zu Objekten lebhafter Kunstgespräche: Felsensteins auch textliche Neugestaltung an der Ostberliner Komischen Oper und Wieland Wagners musiktheatralische Ausdeutung in Frankfurt. Nun ist Lehmann ja der autorisierte Vollstrecker des Wielandschen künstlerischen Testamentes.

Andererseits wählte er Felsensteins neue Übersetzung. Da lag die Gefahr nicht fern, daß sich ihm der Ostberliner "Othello"-Realismus mit der Frankfurter "Othello"-Symbolisierung zu einer von Haus aus unglücklichen Ehe verbinden könnte, daß also das an sich sturmgefährdete Schiff des düsteren Mohren mit der Schlagseite einer ideologischen Überfracht am Gestade der Nürnberger Oper landen würde.

Diese Gefahr hat Lehmann überlegen gebannt. Er schuf eine szenische Version, die selbstverständlich aus der Kenntnis der wichtigen Regiemodelle entstand und die wohl auch Einzelnes aufgriff. Aber er imitierte nicht und er vermied unmotivierte Vermischungen. In packender Geschlossenheit stellte er das Drama Othellos in den Mittelpunkt, nicht (wie Wieland Wagner) das Drama Jagos, des tragischen Intriganten, der sein Ziel erreicht und trotzdem sein böses Spiel verliert. Die Physiognomie Jagos belegte vielleicht am deutlichsten den modernen Zuschnitt der Lehmannschen Konzeption.

Der ehrgeizige Fähnrich erscheint (wie übrigens nicht nur bei Wieland Wagner, sondern auch bei Felsenstein) keineswegs als bieder dämonischer Theaterbösewicht. Er ist ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle, ein intellektuell durchtriebener Höfling, ein eiskalter Zyniker. Mit sadistischem Vergnügen lebt er sein (text-erneuertes) Credo aus: "Ich glaube, daß der Mensch nichts als ein Spiel des Bösen ist, vom ersten Keim des Lebens bis zu dem Wurm im Grabe." Bestürzend folgerichtig verkörperte Fabia Giongo diesen extremen Typus, im mimischen Ausdruck, in jeder Geste, im listigen oder hämischen Tonfall der Stimme: Vorbild eines speziell Verdischen Singschauspielertums, das die späte musikdramatische Erkenntnis des großen Italieners in der geschmeidigen, psychologisch differenzierten Melodie ausprägt.

Trotzdem blieb Othello im Zentrum des Spiels. Seine Tragödie – nach Felsenstein die Tragödie von der "Unerträglichkeit des Glücks" – wird von Jago in Bewegung gesetzt – begründet wird sie nur durch ihn selbst, durch seine soziologische Situation, durch sein Wesen, durch den Zweifel an seinem Glücksrecht, an dem Erfolg eines ehemaligen Sklaven. Wiederum gelang es Lehmann hervorragend, solche Psychologie des Tragischen unmißverständlich zu formulieren: in Karl-Heinz Thiemann, einer Gestalt der verklemmten Unabhängigkeit, die das Grenzenlose des Irrtums aus der Grenzenlosigkeit der Liebes- und Glaubensbereitschaft ableitet. Sympathisch empfand man Thiemanns Bemühung, die Schwere seines heldisch massiven Tenors elastisch zu modulieren.

Catarina Ligendza, in Nürnberg als "Catarina Beyron" nicht unbekannt, gab die Desdemona nicht nur als blonde Liebesmaid, sondern mit dem Stolz und der Leidenschaft der edlen Venezianerin. Ihr wunderschöner, warm timbrierter Sopran bewältigte mühelos alle Klippen des Belkanto. Vor allem im weichen Wohllaut der lyrischen Partien gefiel die aussichtsreiche, mit bemerkenswertem Bühnenverstand eingesetzte Stimme, die sich in der dramatischen Entfaltung noch zu metallischer Kraft entwickeln wird.

Peter Heyducks Bühnenbilder

Im Entwurf der Bühnenbilder rückte Peter Heyduck von Feldensteins Renaissance-Prunk völlig ab. Er schuf dem tragischen Spiel mit lastenden Steinquadern, mit einem eigenartig stilisierten Allzweck-Plafond und mit zuchtvoller Ausleuchtungstechnik Stimmungsräume, die trotz der Beschränkung auf Silber und Dunkelgrau starke malerische Akzente aufwiesen. Die wildnächtliche Küstenlandschaft ermöglichte eine der phantastischsten Gruppenszenen, die man je auf Nürnbergs Opernbühne sah: die Sturmszene, von grellen Blitzen und aufflackerndem Schein visionär gesteigert, von den Massen des Opern- und Extrachores mit fesselnd choreographierten Bewegungsbildern des Entsetzens und dann des Jubels durchpulst.

Exemplarische Sorgfalt

Schon in der Sturmszene wurde die exemplarische Sorgfalt spürbar, mit der die Aufführung auch musikalisch vorbereitet worden war. Hier schon bot auch Adam Rauhs Chor das Glanzstück seiner grandiosen Partie. Fülle und Einheit der Stimmen, rhythmischer Schwung und erstaunliches darstellerisches Vermögen brachten bannende Eindrücke, die von Margret Kaulbachs vielfältiger kostümlicher Ausstattung bedeutsam unterstützt wurden. Und großartig führten die Städtischen Philharmoniker unter Gierster den Rang weiter, durch den ihr letztes Konzert besonders auffiel. Gierster erreichte eine orchestrale Disziplin, die sich in der Ausgewogenheit der Klanggruppen so bestechend äußerte wie in der Eleganz des Zusammenspiels, in der technischen Zuverlässigkeit so überzeugend wie im plastischen Formbild und in der Pflege des instrumentalen Kolorits.

Die aufgewendete Mühe lohnte. Fraglos sind Aufführungen so unalltäglichen Ranges geeignet, dem künstlerischen Kredit der Nürnberger Oper zu nützen. Daß er ein wenig Aufwertung brauchen kann, verriet die erstaunliche Tatsache, daß bei dem Opernfest dieser "Othello"-Premiere immerhin ein paar Plätze unbesetzt blieben.

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