Wo Engel das Baumaterial getragen haben sollen

8.2.2019, 17:23 Uhr
Wo Engel das Baumaterial getragen haben sollen

© Fotos: A. Rusam

Wo Engel das Baumaterial getragen haben sollen

© Fotos: A. Rusam

Wer vom Höhenrücken in Tauchersreuth (Kreis Nürnberger Land) aus seinen Blick nach Norden schweifen lässt, hat fast zu jeder Jahreszeit einen unvergleichlich schönen Weitblick vor sich. Gegenüber liegt der langgezogene Lindelberg mit seinen flachlagernden Juraschichten und östlich davon erhebt sich bei Gräfenberg (Kreis Forchheim) die Jurastufe bis auf über fünfhundert Meter Höhe. Alles Land dazwischen ist im Laufe von Jahrmillionen von einem eher unscheinbaren Flüsschen, der Erlanger Schwabach, abgetragen worden, ein Tatbestand, den wir uns eigentlich gar nicht so recht vorzustellen vermögen.

Blicken wir von unserem Standpunkt aus nach unten, so zieht eine wundervolle Baugruppe unsere Aufmerksamkeit auf sich. Sie besteht aus der St. Egidienkirche, dem 1734 neu errichteten Pfarrhaus, einem zweigeschossigen Barockbau aus gelblichem Eisensandstein mit Mansardendach, und dem früheren Schulhaus, das seit 1969 als Gemeindehaus dient. Die etwa 300 Meter östlich von Beerbach noch heute isoliert liegende Kirche hat nach Wilhelm Schwemmer "fast den Charakter einer Feldkirche".

Kaum 50 Meter nordöstlich der heutigen Kirche stand seit dem 13. Jahrhundert eine Turmburg der Reichsdienstmannen von Beerbach. Sie dürfte aber schon im Städtekrieg 1388 zerstört worden sein. Die letzten Reste dieser Burg beseitigte um 1880 ein Bauer, der für die Gewinnung neuen Ackerbodens sogar mit einem Diplom ausgezeichnet wurde.

Wo Engel das Baumaterial getragen haben sollen

Die Herren von Beerbach waren nach der Überlieferung die Stifter und Erbauer einer ersten Kapelle, die östlich der heutigen Kirche nahe der Nikolausquelle stand. Das Wasser
dieser Nikolausquelle wurde im Mittelalter hochverehrt. "Es wurde als
Weih- und Taufwasser verwendet, man reichte es Gebärenden und Kranken und begoss das Vieh damit" (Ewald Glücken). Als man nach der Zerstörung dieses Kirchleins dort einen Neubau errichteten wollte, trugen drei Mal, wie die Sage wissen will, Engel in der Nacht das Baumaterial an die Stelle, an der die neue Kirche heute steht. 1422 wurde sie erstmals als "Nikolauskapelle" erwähnt. Seit dem 16. Jahrhundert ist die Umbenennung in "St. Egidienkirche" belegt. Sie liegt idyllisch in die Landschaft eingebettet. Ein Fachgutachten des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege in München bezeichnete sie sogar als eine der "schönsten gotischen Hallenkirchen Mittelfrankens".

Die Kirche betritt man durch das Portal im Untergeschoss des 1685 erbauten Turms mit seinem markanten Spitzhelm. Stufen führen heute in das Langhaus hinunter, ist der Friedhof doch durch so genannten Kulturschutt im Laufe der Zeit deutlich erhöht worden. Vor allem in der Pestzeit, die in den Jahren seit 1625 etwa ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte, wurde der Friedhof wegen der vielen Toten immer wieder aufgeschüttet.

Wo Engel das Baumaterial getragen haben sollen

© F.: Stadtbibliothek Nürnberg

Sechs Rundpfeiler gliedern das Langhaus in drei annähernd gleiche Schiffe. Sie schaffen so den Innenraum einer Hallenkirche, wie er für fränkische Dorfkirchen eher ungewöhnlich ist. Die spätgotischen Kreuzrippengewölbe tragen auf den runden Schlusssteinen Allianzwappen von Angehörigen der Patrizierfamilie Welser, die von 1660 bis 1985 das Patronatsrecht in Beerbach ausübte. Auf der Empore hat sich der alte Herrschaftsstuhl der Welser erhalten. Er liegt auf der Südempore, der Kanzel gegenüber. Der Patronatsherr hatte so den besten Platz, um der Predigt des Pfarrers zu lauschen. Kennzeichnend für die evangelische Predigtkirche sind die Emporen, stand doch gemäß dem Wort Luthers "Das Wort tut’s", nicht die Messe, sondern die Wortverkündigung im Mittelpunkt des evangelischen Gottesdienstes.

Der Chor liegt im Osten und erinnert die Gemeinde daran, dass Christus alter Tradition nach in Richtung Osten in den Himmel aufgefahren
ist und von dort her am Jüngsten Tag wiederkommen wird. Der von einem Kreuzrippengewölbe überzogene Chorraum ist der älteste Teil der Kirche. Er war einst mit Fresken verziert, von denen heute nur noch Reste vorhanden sind. Unter dem Chorraum
liegen Grüfte, in denen Adelige verschiedener Familien beigesetzt sind. Im Chor hängen Totenschilde der Hetzelsdörfer zu Brand, der Koler, der Geuder und der Welser auf Neunhof. Die Totenschilde pflegte man bei der Trauerfeier vor den Sarg des Verstorbenen zu stellen. Nach der Beerdigung hängte man dann die Totenschilde zur Erinnerung an den Verstorbenen an der Kirchenwand auf und gab so dem Toten gleichsam die Möglichkeit einer immerwährenden Teilnahme am Gottesdienst. Bunte Glasbilder mit den Wappen Nürnberger Patriziergeschlechter zieren das südliche Chorfenster.

Ursprunglich waren es drei Altäre

Wie bei Dorfkirchen in katholischer Zeit üblich, standen auch in Beerbach ursprünglich drei Altäre. Die beiden Altäre beiderseits des Triumphbogens sind verschwunden. Erhalten hat sich aber der spätgotische Hochaltar aus der Zeit um 1505. Er stellt das weitaus bedeutendste Kunstwerk der Kirche dar. Neuere Forschungen bestätigen sogar, dass er in der Werkstatt von Michael Wolgemut, dem Lehrmeister Albrecht Dürers, entstanden ist.

Es ist ein Flügelaltar auf einem steinernen Altartisch, auf dem in katholischer Zeit die Messe abgehalten wurde. Die Predella darüber ist eine wundervolle Schnitzarbeit und stellt das Abendmahl mit dem segnenden Christus in der Mitte dar. Darüber erhebt sich der Schrein mit den drei vollplastischen Figuren der hl. Katharina mit Rad und Schwert, der Maria mit dem "Kleinen Herrgott von Beerbach" auf dem Arm, und rechts der hl. Barbara mit dem Kelch.

In früherer Zeit gab es, wie Pfarrer Michael Menzinger berichtet, den Brauch, dem "kleinen Herrgott von Beerbach" ein Mäntelchen zu stiften, damit er in der kalten Jahreszeit nicht frieren muss. War ein Kind krank, bat die Familie um den Beistand Gottes und gelobte bei Genesung, dem nackten Jesuskind in der Kirche ein Kleidungsstück zu spenden. Dieser noch aus katholischer Zeit stammende Brauch fand erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein Ende, obwohl sich Beerbach bereits 1521 als einer der ersten Orte Frankens der Reformation angeschlossen hatte.

Die beweglichen Seitenflügel zeigen Flachreliefs: Links Anna mit Tochter Maria und dem Jesuskind und dem hl. Joachim, rechts den hl. Sebastian mit dem hl. Georg. Auf der Rückseite sind Gemälde von hervorragender Qualität zu sehen: Mariä Heimsuchung und die Beschneidung Christi. Der ursprüngliche Altaraufsatz hat sich nicht erhalten. 1875 schuf man das jetzige Sprengwerk mit den neugotischen Büsten von Maria und Johannes. Das Kruzifix dazwischen stammt noch aus dem 17. Jahrhundert.

1959 erfolgte eine grundlegende Erneuerung des Gotteshauses durch den Architekten Georg Stolz, den späteren Stadtheimatpfleger von Nürnberg. Er ersetzte sehr einfühlsam die sechs früher rechteckigen Tragsäulen durch runde Säulen. Die Empore auf der Nordseite wurde entfernt, so dass ein freierer Raumeindruck entstand. Das Gestühl im Mittelschiff wurde vollständig erneuert, ebenso die Decke über dem Altarraum. Die Kirche erhielt auch eine neue Kanzel, die die Werke christlicher Barmherzigkeit versinnbildlicht. Freilich ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Kirchenbesucher das Gefühl nicht von sich weisen kann, ihre künstlerische Ausgestaltung störe doch etwas die Harmonie der so hübschen spätgotischen Kirche.

In der Kirche gibt es noch Vieles zu entdecken, was hier in dem kurzen Überblick nicht näher behandelt werden kann, so etwa die Orgel, der Kronleuchter, der spätgotische Taufstein, die Deckengemälde mit den vier Aposteln im Chor und anderes mehr. Wer nähere Informationen wünscht, sei deshalb auf den in der Kirche ausliegenden ausgezeichneten Kirchenführer von Ewald Glückert, dem früheren Stadtarchivar von Lauf, verwiesen.

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