5. März 1969: Altdeutsches in kühler Atmosphäre

5.3.2019, 07:09 Uhr
5. März 1969: Altdeutsches in kühler Atmosphäre

© Ulrich

Auf einer Fläche von fast dreitausend Quadratmetern werden jetzt diese umfangreichen und aus einem Zeitraum vom ausgehenden Mittelalter bis ins späte neunzehnte Jahrhundert stammenden Bestände einer unverfälschten Volkskunst präsentiert: in einem dreistöckigen großen lichten Bau im Südteil des Museums, den wiederum der Münchner Architekt Sep Ruf entworfen hat, in einer strengen, fast ein wenig kühlen Atmosphäre. Nach Norden hin eine riesige Fensterfront, während die Südfront durchgehend geschlossen ist.

5. März 1969: Altdeutsches in kühler Atmosphäre

© Ulrich

Früher herrschte die Tendenz vor, volkskundliche Sammlungen im Zusammenhang des Milieus zu zeigen und dabei eine möglichst heimelige Atmosphäre zu schaffen; denn die romantische Gesinnung, aus der die Beachtung volkstümlicher Kunst wie volkstümlichen Kunsthandwerks entsprang, schien diese romantisierende Atmosphäre zu verlangen. Im Sinne unseres sachlichen Zeitalters ist man – bei der Gestaltung des Neubaus von jener Auffassung nicht nur graduell, sondern grundsätzlich abgewichen. Von der heimeligen Bauern- und Bürgerstube nicht mehr ein Hauch; das Prinzip für diese Neuaufstellung war vielmehr allein der Gesichtspunkt der Materialien und ihrer Zweckbestimmungen.

Denn – wie es Bernward Deneke formuliert – man ging „von der Voraussetzung aus, daß jeder dieser Sachbereiche eine eigene Betrachtungsweise erfordert, die wesentlich vom Werkstoff, von dem diesen bereitenden Handwerk, von der Funktion bestimmt und getragen wird“. An den Betrachter, der es früher gewohnt war, sich von der Stimmung der mit naturalistischer Akribie arrangierten Stücke einfangen zu lassen, werden heute andere und entschieden größere Anforderungen gestellt: es wird weniger an sein Gefühl als an kunsthistorisches oder besser kulturhistorisches Verständnis und an sein Wissen appelliert; denn erst in der Zusammenschau, die der Betrachter allein zu vollziehen hat, ergeben, diese in neuen Zusammenhängen präsentierten Stücke wieder ein Ganzes.

Die Geschichte dieser bedeutenden Sammlungen von Trachten, Schmuck, Textilien, Hausrat, Möbeln, Kleingeräten, Korbwaren, Keramiken, von Glas, Masken und Zeugnissen des religiösen Volksglaubens geht in die Zeit um 1890 zurück. Das eigentliche Fundament des Bestandes besteht in der Schenkung des Frankfurters Oskar Kling (1851-1926), die etwa 15.000 Objekte verzeichnet. Kling selbst hat die Sammlung bis zu seinem Tode betreut. Ein weiterer wichtiger Bestandteil wurde die Sammlung Erwin Richter (1903-1960), die unter Steingräbers Ägide 1965 mit Hilfe der Stiftung Volkswagenwerk erworben wurde. Diese Sammlung umfaßt vornehmlich Dokumente des religiösen Volksglaubens, wozu die bedeutende Kollektion schöner Votivbilder gehört, die nur von der im Bayerischen Nationalmuseum München an Umfang und kulturhistorischem Rang übertroffen wird.

Hier kann keine wissenschaftliche Beschreibung dieser umfangreichen Sammlung erfolgen, man kann nur dem Betrachter, der diese Abteilung nicht als unwesentlichen Anhang der kulturhistorischen Bestände des Museums, sondern als ebenso berechtigten Teil wie die Sammlungen von Werken großer Kunst betrachten sollte, nur eine kleine Hilfe vermitteln, sich in ihnen und ihrer ungewohnt kühlen Atmosphäre zurechtzufinden. Denn ihre von wissenschaftlichem Geist diktierte Präsentation wird nicht jeden Besucher spontan ansprechen.

Es bedarf dabei eines Umdenkens und es bedarf hier für den Betrachter einer gewissen Zeit, daß er von dieser Welt sich gefangen sieht und über abstrakt kulturhistorisches Interesse hinaus jenen Zauber wahrnimmt der von den Objekten ausgehen, kann. Zur Deutschtümelei wird man hier am allerwenigsten animiert – und der alten romantisierenden Präsentation von Volkskunst hing immer ein Hauch von Deutschtümelei an –, sondern nur dazu, die Dinge in der eigentümlichen Schönheit dieser Objekte zu sehen und dem kulturhistorischen Bewußtsein die farbige Lebendigkeit der Anschauung zu geben. Mehr vermag eine Sammlung dieser Art heute nicht und mehr sollte sie nicht vermögen, aber das geschieht hier in optimaler Form.

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