"Ich hatte vorher wirklich nie gemalt"

11.2.2020, 17:15 Uhr

© Foto: Johannes Kersting

Der damit verbundene Aufenthalt der Stipendiatin in Nürnberg begann am 1. September 2019 und endet in wenigen Tagen am 15. Februar. Wie Lily Wittenburg diese Zeit genutzt hat, zeigt jetzt ihre Abschluss-Ausstellung im Galeriehaus Defet.

Anfänglich sei sie vor allem reichlich verunsichert gewesen, erzählt sie. Da saß sie plötzlich als "angehende Malerin" und Gast einer Künstlerpinsel-Fabrik in einem kleinen Wohnatelier in einem unwirtlichen Industrie-Gebiet einer ihr völlig fremden Stadt. Ihr Rückblick klingt angemessen gruselig: "Ich hatte vorher wirklich nie gemalt, ich hatte förmlich Angst vor den Pinseln, mit denen ich nicht umgehen konnte, und in dem nachts menschenleeren Atelierhaus, in dem ich untergebracht war, fühlte ich mich zeitweilig wie eine Laborratte im Käfig."

Die Ruhe der Zierfische

Dem Stress-Abbau diente zunächst die Erkundung der näheren Umgebung ihres kühlen Domizils. Sie entdeckte dabei unter anderem ein exotisch dekoriertes Café mit Vogelgezwitscher vom Band, in dem ein bescheidenes Frühstück weniger als vier Euro kostet, sowie eine Zoo-Handlung, in der sie beliebig lange und stets ungestört die ausgestellten Zierfische betrachten konnte. "Sehr beruhigend", wie sie versichert. Später hat sie sich selbstverständlich auch die Nürnberger Innenstadt angeschaut. Kommentar: "Angenehm nüchtern und banal." Die Gespenster der Vergangenheit seien glücklicherweise weit weniger präsent als sie es erwartet habe.

Die Gleichzeitigkeit von Banalität und Schrecken, von Poesie und Härte – damit kann die 1984 geborene Lily Wittenburg "eigentlich ganz gut" umgehen, das ist ihr seit ihren Kindertagen vertraut. Ihr Geburtsort ist schließlich Dannenberg an der Elbe, das Atommüll-Lager Gorleben lag sozusagen direkt vor der Tür des uralten Bauernhauses, in dem sie aufgewachsen ist.

Eine bei näherer Betrachtung sehr fragile Idylle erlebte sie auch an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, an der sie bereits als 17-Jährige zu studieren begann. Ihr dortiger Professor war Franz Erhard Walther, ein älterer Herr, bürgerlich etabliert und selbstzufrieden, der nach Lily Wittenburgs heutigem Zeugnis gern über "Schweinebraten-Rezepte" sprach. Seine materialbezogene, prozesshafte und konzeptuelle Kunstauffassung könnte sie langfristig aber durchaus beeinflusst haben, wie sie anmerkt.

Bei ihrem Nürnberg-"Abenteuer" hat sie sich jedenfalls annähernd im Sinne ihres ehemaligen Lehrers auf die Erprobung und Erforschung diverser gestalterischer Werkzeuge und Materialien eingelassen. Das Atelier- und Galeriehaus Defet in der Gustav-Adolf-Straße wurde von ihr zum "Elfenbeinturm" erkoren. Sie akzep-tierte für geraume Zeit eine Form klösterlicher Abgeschiedenheit, obwohl ihr dabei permanent bewusst war, dass ihr zweijähriger Sohn und ihr Freund im fernen Berlin sie gerade schmerzlich vermissen. Die nicht zuletzt ungemein humorvolle Lily Wittenburg wollte eben ernsthaft etwas aus dem Stipendium machen. Deshalb beschäftigte sie sich in Nürn-berg hartnäckig mit allerlei Dingen und künstlerischen Verfahrensweisen, die ihr vorher fremd und teilweise sogar zuwider waren.

So bearbeitete sie zum Beispiel mit Pinsel und Farben "chromatogra-phisches" Papier. Dieses spezielle Fil-terpapier hat die Eigenschaft, die derart aufgetragenen Substanzen zerfallen und zerfließen zu lassen. Dieses Material widersetzt sich also konsequent dem künstlerischen Gestaltungswillen, es geht extrem eigene Wege. Mit stets auch für die "Malerin" überraschenden Ergebnissen.

Zwischen Bild und Fleck

"Was dabei herauskommt, liegt immer irgendwo zwischen Bild und Fleck", erklärt sie, "leider aber ist der für mich letztlich entscheidende Entstehungsprozess in meiner aktuellen Nürnberger Ausstellung nicht wirklich zu dokumentieren." Die Präsentation erscheint ihr daher insgesamt "viel zu konventionell", viel zu "normal" und "harmlos". Von dem in die gezeigten "Malereien" eingeflossenen Wagnis und von der beim Machen von der Künstlerin geleisteten Selbstüberwindung sollen daher verschiedene Foto-Schnappschüsse und literarische Texte ("Gedichte") zeugen. Die Bilanz von Lily Wittenburg: "Ich hoffe trotz alledem, die Besucherinnen und Besucher nicht zu enttäuschen.

InfoInstitut für moderne Kunst im Galeriehaus Defet: "Lily Wittenburg – Den Kern der Täuschung verfehlen". Bis 29. März, Sa./So. 13–17 Uhr und nach Vereinbarung unter Tel: 09 11/ 240 21 20.

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