Unter den Blicken der Ahnen

16.12.2008, 00:00 Uhr
Unter den Blicken der Ahnen

Als das Schlösschen erbaut wurde, damals im 14. Jahrhundert, passten durch diese Maueröffnung selbst stattliche Männer. Doch mit der Zeit schossen die Menschen in die Höhe, und nun muss Bertold Zeltner seine 1,93 Meter sorgfältig krümmen, damit er sich nicht täglich den Kopf anstößt. Geht er durch sein Heim, duckt und beugt er sich immer wieder, «das bin ich schon gewöhnt».

Auch andere Dinge lehrt einen die Kindheit in einem Gemäuer, das zum Eigentum der einstigen Patrizierfamilie Scheurl von Defersdorf gehörte. Zum Beispiel, dass der Winter entsetzlich kalt sein kann.

Denn die reichen Fernhändler, die vor rund 500 Jahren mit Gold- und Silberfäden, Zinn und Seidentuch ein Vermögen angehäuft hatten, errichteten sich mitten in Fischbach einen Herrensitz. Selbstverständlich, wie damals üblich, aus kühlendem Sandstein. Daher sinkt die Haustemperatur in den kalten Monaten auf frostige Null Grad Celsius, würden Zeltner und Ehefrau Ulrike Odenwald nicht dagegen anheizen.

Im Erdgeschoss aber ist es schier unmöglich, die Wärme zu halten. Hinter dem gebogenen, hölzernen Tor öffnet sich nämlich eine meterhohe Halle, in der einst Pferdefuhrwerke direkt im Schlösschen halten konnten. Nur ein einziges Mal, erinnern sich Zeltner und Odenwald, war es hier unten angenehm mollig: «Da haben wir eine Party mit 50, 60 Leuten gefeiert.»

Erst vor einiger Zeit ist das Paar auf das Land hinausgezogen, in die frühere Bleibe von Berthold Zeltners Großvater. Vorher lebten die Rechtsanwälte in der Nürnberger Innenstadt wie viele andere auch: in einer Wohnung, eingerichtet mit Tischen und Stühlen aus dem Möbelhaus. Seitdem sie das Schlösschen bewohnen, hat sich hier einiges verändert.

Küche und Bad etwa stammten aus den 50er Jahren, «die haben wir rausgeschmissen». Das Sofa im Wohnzimmer dagegen durfte bleiben, weil es noch «einigermaßen zeitgemäß» war. Doch auch ihre alte Einrichtung passte schlecht in die neue Umgebung. «Ikea-Regale aus der Studentenbude – das sieht doch nicht aus», erklärt die 30-jährige Odenwald.

Die Neuerungen sind behutsam, darauf haben Denkmalschutz und der Eigentümer des Schlosses, die Scheurl’sche Familienstiftung, ein Auge. Da ist ein dunkelfarbener Teppich gegen einen neuen, ebenfalls dunklen ausgewechselt worden. Um der Kälte zu wehren, die über die Holztreppe in den ersten Stock hochkriecht, hatte schon der Großvater eine Trennwand und eine Tür aus dezentem Glas einziehen lassen. In einem erdgeschossigen Raum hat Berthold Zeltner eine mächtige, knallrote Holzheizung aufgestellt. Die wärmt die Wohnbereiche im ersten und zweiten Stock für kleines Geld und ist damit der Stolz jedes modernen Schlossherrn.

Um solche Dinge haben sich Zeltners Vorgänger in früheren Jahrhunderten nicht geschert. Nicht nur die Scheurls lebten hier, die Nürnberger Patrizierfamilien gaben sich im Laufe der Zeit die Klinken in die Hand: ein Holzschuher, ein Behaim, ein Koberger, eine Haller von Hallerstein. Den Herrschaften war es egal, dass das Sandstein-Schloss im Winter eiskalt war – neigte sich der Sommer seinem Ende zu, verrammelten sie den Herrensitz und flohen nach Nürnberg, in ihre gemütlichen Stadthäuser.

Doch seit 1535 ist es fest in Scheurl’scher Hand. Der Humanist und Ratskonsulent Christoph II. Scheurl, der berühmteste Vertreter der Familie, kaufte es für eine Frau: die Witwe seines Bruders Albrecht, der ermordet worden war. Ein mannshohes Abbild des Gelehrten hängt im Erdgeschoss: streng und griesgrämig. «Dabei war er da erst 29», staunt Zeltner.

Auch beim Essen schauen ihm Vorfahren über die Schulter: die Urgroßeltern, gemalt in Öl, wachen am Tisch im Wohnzimmer. Im dunkel getäfelten «Stiftungszimmer» stehen Reihen von kleinen Gemälden auf dem Sims, die ernsten Blicke der Ahnen durchkreuzen den Raum. Für den haben Zeltner und Odenwald keine rechte Verwendung, das Schloss hat einfach zu viele Zimmerchen.

Zur Arbeit als Jurist fährt Berthold Zeltner in die Kanzlei nach Nürnberg, für sein zweites Standbein kann er in Fischbach bleiben: Der 32-Jährige vermarktet das Bier der Brauerei Zeltner. Vorfahren hatten sie 1806 gegründet: die Gebrüder Johannes und Johann Zeltner.

Obwohl das Wohnzimmer mit dem prächtigen Holztisch opulente Mahlzeiten verspricht, speisen er und seine Frau am liebsten im Erdgeschoss. Hier, in einem kleinen Raum unter der steinernen Treppe in den ersten Stock, ist eine einfache Küche eingerichtet.

Möchten die beiden mehrere Freunde verköstigen, müssen die Speisen über viele Stufen nach oben getragen werden. «Das hält fit», sagen beide übereinstimmend. Auch Berthold Zeltners Großeltern hätten das ihr Lebtag so gemacht – und seien bis zuletzt gut zu Fuß gewesen. Dem Schlösschen sei Dank.

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