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Volksfest: Bei Autoskooter Braun wird seit 60 Jahren geflirtet

14.04.2009, 00:00 Uhr
Volksfest: Bei Autoskooter Braun wird seit 60 Jahren geflirtet

© Niklas

Johannes Braun ist, im Wortsinne, der geborene Autoskooterbetreiber. Genau als er im Frühjahr 1949 zur Welt kam, schafften seine Eltern ihre erste Skooter-Bahn an. Im Krieg hatte es die Hochseilartisten aus dem Saargebiet nach Nürnberg verschlagen. Sie brauchten ein neues Geschäft. Seitdem hat Johannes Braun kein Volksfest ausgelassen.

Jetzt ist er 60, genauso alt wie der geerbte Betrieb und wie die Bundesrepublik der Autoliebhaber, und es gefällt ihm immer noch. «Bis zum bitteren Ende» will er in seinem Kassenhäuschen sitzen, die 28 Wägelchen und 10 000 Glühbirnen warten, sagt er. «Es wird doch nie langweilig.» Ehefrau Elisabeth, mit der er weitere Buden betreibt, sagt: «Wir könnten nichts anderes und wir wollten nichts anderes.» Auch sie ist ein Schaustellerkind. Beim Aufbau lernten sie einander 1968 auf dem Platz kennen.

Die Hits kamen aus der Konzertorgel

Der elektrifizierte Fuhrpark ist, seit er in den 1920er Jahren aufkam, ein Klassiker der Jahrmärkte. Nur Schiffschaukel und Riesenrad unterliegen noch weniger dem Modediktat. Auch im Hochgeschwindigkeitszeitalter begeistert ein 20 Stundenkilometer schnelles zweiminütiges Gekreisel in einem lächerlich kleinen Gefährt noch Kinder und Erwachsene. Der Chef erklärt sich das so: «Man kann halt, anders als sonst in Fahrgeschäften, selbst was machen.»

Mehrfach bauten die Brauns um, weil der technische Fortschritt die Arbeit erleichterte. Anfangs erzeugte nämlich ein Generator den Strom für die Autos – dafür musste ein Mann auf einem Traktor das Gas dauerdrücken. Dazu wurden Schlager aus einer Konzertorgel gespielt. Wenn der Junge Johannes diese leidigen Arbeiten vollführte, war sein Lohn die gigantische Beliebtheit bei den Schulkameraden. Sie trugen ihn bei einem Klassenausflug auf Händen heim, nachdem er ihnen Freifahrten versprochen hatte. Die waren 50 Pfennig wert.

Mit den Jahrzehnten sind die Autos schneller geworden und sicherer dank Luftpolsterung. «Früher konnten sich Kinder die Zähne an den Stangen ausschlagen», sagt Braun, «obwohl sanfter gerempelt wurde». «Zusammenstoßen verboten!» steht auf Warntafeln am Autoskooter. Das schreibt der TÜV so vor. In Wirklichkeit ist es Unsinn. Andere Wagen zu touchieren, ist genau der Zweck des Skooterfahrens. Die Rempelei kann ein netter Gruß sein, aber auch eine kokette Anmache.

Denn nicht zufällig ist ein Autoskooter wie eine Discotanzfläche gebaut. Als Kontaktbörse sind die zwölf mal 24 Meter vor allem übersichtlicher als ein Bierzelt. Wenn die Familien heimgegangen sind, kommen die Teenager zum Flirten und Schaulaufen. Wer hat die güldenste Goldkette, wer die weißesten Turnschuhe und die höchste Bürstenfrisur? Mädchencliquen beobachten das Angebot einen ganzen Abend lang von den Lümmelstützen aus, wie die Sitzstangen im Jargon heißen. Coole Jungs verbrauchen 20 Chips beim Training dafür, möglichst unlangweilig zu sitzen und Wirbel zu fahren. Dieses Posieren – es lief schon immer so, sagt Familie Braun. «An jeder Ecke wird geschmust.»

Nur der Zündstoff dafür, die Musik, hat sich so radikal gewandelt, dass Johannes Braun abwinkt: «Seit 20 Jahren ist das nix mehr für mich.» Sein 28-jähriger Sohn Johannes junior, der sich ebenfalls mit einer Schaustellerfrau liiert hat und den Betrieb einmal übernehmen soll, programmiert den Computer mit HipHop, Techno und jüngsten Discohits. Nostalgisch denkt der Senior an die 60er Jahre, als er für jede Runde eine Twist- oder Soul-Single auflegte. «Bei mir war immer die Hölle los.»

Dem modernen Gebalze sieht er trotzdem gerne zu. Er fühle sich ja selbst noch jung, sagt er. In der bunt lackierten Bande ist in den Symbolen amerikanischer Fernstraßenfreiheit Elvis Presley zu erkennen. Johannes Braun schaut hinaus auf die Tanzfläche, und irgendwann macht er vielleicht die Durchsage: «Schaut mal her, die Blondine in der Nummer 17 – die will angerempelt werden.»

Das Land, das so alt ist wie Braun, steckt in der Krise, und die spürt auch die Jahrmarktbranche. Die Energiekosten steigen, aber die Fahrpreise sollen erschwinglich bleiben. «Wir hoffen halt darauf, dass die Leute wieder mehr Urlaub zu Hause machen.» «Braun Autoskooter – Treffpunkt der Jugend» steht auf einem Schild über den Stufen wie ein Glaubensspruch.

Heute von 14 bis 23 Uhr kostet die Jubiläumsfahrt bei Braun 60 Cent.

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