Ein Ginkgo überlebte die Atomkatastrophe

8.8.2011, 16:19 Uhr
Ein Ginkgo überlebte die Atomkatastrophe

© dpa

Einige Sänger, die sich auf den Besuch in Franken gefreut hatten, fehlten jedoch. Manche waren betroffen vom Erdbeben im März. Andere waren Opfer der Unfälle im Kernkraftwerk Fukushima. Sie hatten ihre Wohnungen verlassen müssen. Sie trauten sich nicht, auf Reisen zu gehen.

Trotzdem wurde wenig über die Ereignisse in Japan gesprochen, als man nach dem Konzert in der Peterskirche beim asiatischen Buffet zusammen saß. Die Deutschen hielten direkte Fragen für unhöflich. Die Japaner wahrten jene Diskretion, die sie auch nach den größten Katastrophen gern als Schutzschild benutzen. Solche Katastrophen waren auch die Bombeneinschläge in Hiroshima und Nagasaki.

Von Hiroshima nach Fukushima

Hiroshima und Nagasaki sind bisher die einzigen Städte, die durch Atomwaffen zerstört wurden. Am 6. August 1945 warf die US-Airforce die erste Bombe auf Hiroshima. Heute vor 66 Jahren explodierte die zweite über Nagasaki. Inzwischen sind Städte hinzugekommen, die durch atomare Energieerzeuger vernichtet wurden. Tschernobyl ist das große Menetekel. Seit März steht auch Fukushima für das Zerstörungspotential des Atoms.

Deswegen haben die Gedenkveranstaltungen anlässlich der Jahrestage der ersten Atombombenblitze eine neue Qualität bekommen. Japan – ausgerechnet Japan, das von diesen Bomben getroffen wurde, das die schrecklichen Ereignisse diskret in der Geschichte zurückgelassen hat und für seine Energieversorgung trotz der Katastrophen-Erfahrungen von 1945 auf die Atomkraft vertraute, ist durch die Kernschmelze im Kraftwerk von Fukushima noch einmal zu einem erschütterten Land geworden. Wer beide Ereignisse zusammen denkt, weiß, dass die Beherrschung des Atoms eine Anmaßung des Menschen ist.

Gedenkplatz vor der Südkaserne

In Nürnberg fand die zentrale Gedenkveranstaltung zu Hiroshima am 6. August vor der Lorenzkirche statt. Dabei gibt es seit 1995 einen Hiroshimaplatz in der Stadt – was viele gar nicht wissen. Es ist eine abgelegene Brache gegenüber der alten Südkaserne, höchstens bekannt durch die mobilen Pizzerias, die dort von Autos angefahren werden. Was die Atomkatastrophen betrifft, tendiert offensichtlich auch die Noris zu japanischer Diskretion.

An der Lorenzkirche lagen jedenfalls Unterschriftenlisten aus Japan aus. Listen, um Solidarität mit den Betroffenen von Fukushima zu bekunden und um den Kampf der japanischen Kernkraftgegner zu unterstützen. In diese Listen konnte man sich auch am Abend zuvor im Friedensmuseum Nürnberg (Kaulbachstr. 2) eintragen. Dort wurden Ausschnitte aus „Hiroshima“ gezeigt, einem sehr frühen Film über den Bombenabwurf und seine Folgen. Einem Film, der wohl nie in Deutschland gelaufen ist. Er ist erst kürzlich von Studenten der Universität von Kyoto mit englischen Untertiteln ausgestattet und bei einer Konferenz der Friedensmuseen in Barcelona in Umlauf gebracht worden.

1998 hat Siegfried Winter vom Nürnberger Friedensmuseum anlässlich einer solchen Konferenz in Japan selbst Hiroshima besucht. Er war erstaunt über den sehr sachlichen Umgang der Japaner mit der Katastrophe: „Sie informieren beinahe klinisch über Fakten und enthalten sich vollkommen jeder Schuldzuweisung. Das heißt, über eine Verantwortung der USA für die vielen Tausend Toten und Verstrahlten wird kaum diskutiert.“

Winter erinnerte nochmals an die Geschichte des Nürnberger Museums. Seine Wurzeln liegen in den Ostermärschen der 1950er Jahre. Sein eigentlicher Nährboden war aber die Friedensbewegung der Achtziger in der Folge des sogenannten Nachrüstungsbeschlusses. 1995 hat sich ein Verein zur Gründung des Museums zusammen getan. 1998 wurden die engen Räume in der Kaulbachstraße eröffnet. Seitdem werden dort vor allem Nürnberger, aber auch auswärtige Friedensaktivitäten mit Ausstellungen und Veranstaltungen dokumentiert. Und seit drei Jahren gibt die Stadt sogar einen kleinen Zuschuss für die Arbeit (schließlich bekommt das Garnisonsmuseum in der Zweibrückener Straße auch einen).

Als die Welt eine andere wurde

Der Film „Hiroshima“, der am 5. August vorgestellt wurde, ist in vielfacher Hinsicht interessant. 1953 gedreht, ist er tatsächlich erst der zweite Spielfilm über die einschneidenden Ereignisse des Augusts 1945. Seitdem ist die Welt tatsächlich eine andere geworden, denn diese Ereignisse haben der Menschheit ihre Fähigkeit zur Selbstzerstörung als Gattung vor Augen geführt.

Doch das sollte gar nicht so bewusst werden. Dafür sorgte zunächst die Kinozensur der amerikanischen Besatzungsmacht in Japan. Sie hatte 1945 sofort eine Wochenschau über die Ereignisse mit allen Kopien konfisziert und bis 1952 dafür gesorgt, dass das Thema eben sehr diskret behandelt wurde. Sofort nach dem Ende der amerikanischen Zensurgewalt entstand 1952 der erste Spielfilm „Die Kinder von Hiroshima“ unter der Regie von Kaneto Shindo.

Der Film handelt davon, dass man die Leiden der Stadt hinter sich lassen und zu neuen Ufern aufbrechen soll. Diese Haltung – sehr typisch für den Umgang der Japaner mit der Katastrophe – wird an der Geschichte eines Kindes gezeigt. Kein Wunder, dass Japans liebster und wirksamster Atombombenfilm alle Schrecken an der Symbolik des Urweltdrachens Godzilla vorführte.

„Godzilla“ entstand 1954, ein Jahr nach „Hiroshima“ von Hideo Sekigawa, der Ausgrabung des Friedensmuseums. Sekigawa war ein so genanntes „Radieschen“, ein Filmemacher, der von amerikanischen und japanischen Behörden als Kommunist verdächtigt wurde. Mit geringen finanziellen Mitteln ist ihm eine zwar theatralische, trotzdem gefühlsstarke Bearbeitung des Stoffes gelungen.

Die Filmhandlung setzt im Entstehungsjahr ein. 1953 leiden japanische Schüler an Leukämie als Folge der radioaktiven Strahlung. Die Entstehung dieser Strahlung wird in ausführlichen Rückblenden anhand der Biografie eines Mädchens erzählt. Hiroshima vor und nach dem Abwurf der Atombombe. Menschen in brennenden Ruinen. Allegorische Bilder von Verwirrung, Verzweiflung, verzagender Solidarität. Und diesmal keine Diskretion in Sachen Schuldzuweisung. Die Verantwortung der Amerikaner wird deutlich benannt. Und auch die historische Herausforderung der Japaner wird gezeigt, die trotz aller Wunden und Erinnerungen mit der Besatzungsmacht nicht nur kooperieren müssen sondern auch Freundschaft schließen wollen.

Zur Filmvorführung waren Atsuko und Kunihiko Kato nach Nürnberg gekommen. Das japanische Künstlerpaar aus Aichiken in der Mitte Japans wirkt seit vielen Jahren in Franken und ist unermüdlich mit der Erinnerungsarbeit an Hiroshima und Nagasaki befasst. Ins Friedensmuseum kamen sie unmittelbar von der Fürther Gedenkveranstaltung im Stadtpark. Dort steht das Hiroshima-Mahnmal, das Kunihiko Kato geschaffen hat. Und dort waren gerade auch die Ergebnisse von Geldsammlungen und Kunstversteigerungen zugunsten der Opfer von Fukushima übergeben worden.

„Wir haben Verwandte in der Gegend“, sagte Atsuko Kato. „Die sind ständig steigender Radioaktivität ausgesetzt. Derzeit liegen die Werte zehnfach über dem Zulässigen. Und die Lebensmittel werden immer stärker kontaminiert. Man muss doch etwas tun gegen die Verseuchung, die noch in vielen Generationen andauern wird.“ In Deutschland haben die Katos kürzlich Kommilitonen aus ihrer Studienzeit an der Nürnberger Kunstakademie getroffen. Sie waren aus den verseuchten Gebieten um Fukushima in ein vertrautes Land geflohen.

Wegen Dürer in die Noris gekommen

In diesem Zusammenhang erinnerte sich Atsuko Kato an die „gute alte Zeit“: „Wir sind 1976 nach Nürnberg gekommen. Ich hatte schon von der Kleinkinderzeit großes Interesse für deutsche Kunst und Kultur. Mein erster Zeichenlehrer in Japan war ein großer Verehrer von Dürers Werken – und deshalb wollte ich in Deutschland gern die Originale anschauen und in Nürnberg selbst wohnen und Kunst studieren und die Menschen in Dürers Stadt kennen lernen.“

Seit den Achtziger Jahren haben die Katos ihr Atelier in Fürth. Und seit dieser Zeit hat sich Atsuko Kato vor allem einem Thema gewidmet: dem Ginkgo als Baum, als Blatt – und als Symbol der Hoffnung und des Lebens in der Atomkatastrophe. Denn es wird berichtet, dass ein Ginkgobaum nahe eines Tempels in Hiroshima die Bombenexplosion überstanden hat. In ihrem Atelier züchtet Atsuko Kato Ginkgos in Blumentöpfen. Ein ganzes Buch hat sie der Pflanze gewidmet – in allen nur denkbaren Stilformen und surrealen wie spirituellen Variationen.

Auch in der Chirurgie des Nürnberger Klinikums kann man Katos zweiflügelige Blätter finden. Sie begründet: „Der Ginkgo ist der älteste Baum und war ursprünglich auf der ganzen Welt verbreitet. Man findet auch hier im Fränkischen Jura Versteinerungen. Und dann hat der Ginkgo die Atomkatastrophe überlebt, zwar mit Brandnarben am Baumstamm – aber im Sommer zeigte er saftige Blätter. So ist er weltweit zu einem Symbol für den Weltfrieden geworden.“

Als im März die Nachrichten von Erdbeben, Tsunami und Kernschmelze aus Japan kamen, hat Atsuko Kato ihr Lieblingsmotiv ein weiteres Mal variiert: Auf einem Gemälde lässt sie die Blätterkrone in die Wellen der Meeresflut übergehen – die aber genauso Zeichen für die Unaufhaltsamkeit der radioaktiven Strahlung sein können.

Der künstlerische Kampf geht weiter. Das Engagement in der Friedensarbeit auch. In einigen Wochen werden die Katos nach Japan fliegen und sich vor Ort umsehen. Doch für die gelassene Dauer der Natur zitieren sie ein Haiku:

„Ferner Silbermond

und fallendes Ginkgoblatt

und einer Hand Ton.“

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