Schönes Leder, schlimmer Gestank - Gerberei in Nürnberg

22.2.2010, 00:00 Uhr
Schönes Leder, schlimmer Gestank - Gerberei in Nürnberg

© Gerullis

Anderthalb Jahre beschäftigte die Grabung bis zu 24 Mitarbeiter; zwei weitere Jahre dauerte die Auswertung der Funde. Finanziert wurde das Projekt von den Altstadtfreunden. Das Ergebnis ist ein nahezu lückenloses Bild von der Geschichte des Grundstücks. «Wir haben die Grundstücksgeschichte in mehrere Phasen aufgeteilt», erläutert Dr. Marcus Beck, ein verantwortlicher Archäologe. «Wir können sie bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen.»

Die Fundstücke aus der ersten Phase lagen am tiefsten in den Grabungslöchern. Die Phase beginnt mit den ersten Siedlern um 1200. Da die Menschen damals wahrscheinlich in Holzhäusern lebten, sind aus dieser Zeit nur ein paar Gruben und Hinweise auf Holzpfosten vorhanden. Die nächste Phase beginnt im 14. Jahrhundert mit dem Zuzug der Gerber. «Die Gerberei war mit viel Schmutz und Gestank verbunden und wurde deshalb außerhalb der Stadt angesiedelt», erklärt Archäologin Sandra Münzel, die sich an Grabung und Auswertung beteiligt hat.

Laut Münzel kann man sich das Handwerk der Gerber folgendermaßen vorstellen: Die Gerber kauften frische Rinderhäute, an denen noch die Köpfe hingen. Sie säuberten diese sogenannten «grünen Häute» von Fleischresten und sie legten sie in ein Bad aus Wasser und Kalk. Mit Hilfe eines Schabeisens entfernten sie dann die gelösten Haare und sie weichten das Rohleder in einem Wasserbad mit Eichen- oder Fichtenrinde ein. Nachdem die Häute monatelang darin lagen, wurden sie ausgewaschen, zum Trocknen aufgehängt und schließlich gepresst, gefettet, geschnitten und verkauft.

Im Schutt lag eine archäologische Sensation

Aus der Zeit bis ins 17. Jahrhundert hat die Grabung aufwändige Einbauten freigelegt: Gruben mit hölzernen Bottichen, eine Latrine, ein Brunnen und eine Zisterne. In diesem Zeitraum standen zwei Gerberhäuser auf dem Grundstück mit jeweils eigenen Arbeitsstrukturen.

1645 zerstörte ein Großbrand die Häuser, was eine dicke schwarze Erdschicht bezeugt. Nach Angaben der Archäologen hat der Boden das Feuer über 350 Jahre konserviert: Der Schutt riecht immer noch. In den Überresten fanden die Archäologen auch ein gut erhaltenes Schabeisen. «Das älteste in Süddeutschland, wahrscheinlich sogar in ganz Europa», sagt John Zeitler, der Leiter der Ausgrabungen. «Bei Schabeisen gab es einen großen Verschleiß. Eine Gerberei verarbeitete im Jahr um die 250 Häute, ein Eisen wurde immer wieder geschliffen und nach fünf bis acht Jahren war es nicht mehr vorhanden.»

Aus der Zeit um den Brand haben die Archäologen jedoch nicht nur Werkzeug aus dem Boden gepult. Sie fanden auch bunte Steinmurmeln und Spielfigürchen. Anstelle der beiden abgebrannten kleinen Gerbereien wurde 1696 ein großes Haus auf das Grundstück gebaut. Die neuen Besitzer schütteten die alten Gruben zu und sie errichteten neue darüber.

Der Wind trieb den Geruch in die Stadt

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in der Hinteren Ledergasse 43 in großem Stil Leder produziert. Dann verlor im Zuge der Industrialisierung die traditionelle Gerberei ihre Bedeutung: Die Chromgerbung vernichtete einerseits einen ganzen Handwerkszweig. Andererseits wurde die Luft in Nürnberg etwas frischer. «Die Lage der Nürnberger Gerber war nicht ideal», bestätigt John Zeitler. «Die Gerbereien lagen zwar am Stadtrand, aber die Hauptwindrichtung hat den Gestank in die Stadt getrieben.»

Das Haus in der Ledergasse wurde verkauft und bis in den Zweiten Weltkrieg von Handwerkern und von einem Geflügelhändler genutzt. Bei dem heutigen Haus handelt es sich bis auf ein paar bauliche Änderungen um das Haus von 1696. Als es 2002 wegen Einsturzgefahr geräumt werden musste, erwarben es die Altstadtfreunde.

Nach der erfolgreichen Grabung hofft John Zeitler nun schon bald auf weitere Erkenntnisse: Er möchte die Untersuchungen auf andere alte Häuser in der Hinteren und in der Vorderen Ledergasse ausdehnen.

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