24. Dezember 1968: Festliches Geläut der Glocken

24.12.2018, 07:00 Uhr
24. Dezember 1968: Festliches Geläut der Glocken

© Ulrich

Weit über die Stadt hinaus stimmen die erzenen Rufer ihr jubelndes Lied an: St. Lorenzens und St. Sebalds Klänge gehören zum Festtagsgeläut für alle Welt, in die sie die Ätherwellen tragen.

Die größte und die kleinste Glocke, die eine dem Frieden geweiht, die andere auf "Silber" getauft, geben sich nichts nach, wenn es gilt, die Menschen zu mahnen, die Gläubigen zum Gottesdienst zu bitten, die freudigen und die traurigen Stunden anzuschlagen.

Schon die Vorweihnachtszeit bietet viele Anlässe, das Geläut der Innenstadtkirchen gleichzeitig schwingen zu lassen. Wenn das Christkind "die Herren und Frauen und die fremden Leut" zu seinem Markte lädt, wenn tausend Schulkinder ihre selbstgebastelten Laternchen zur Burg hinauftragen, wenn auf dem Ölberg unter der Walpurgiskapelle das Spiel um die Heilige Nacht jährlich neue Premiere erlebt, dann klingt es dumpf und hell, begeisternd und besinnlich von den Türmen der Innenstadtkirchen. Jeder Ton in dem vielstimmigen Konzert trägt dazu bei, Nürnberg zu verwandeln in ein Stück aus einem romantischen Märchenbuch in die deutscheste aller deutschen Städte der Vorweihnachtszeit.

24. Dezember 1968: Festliches Geläut der Glocken

© Ulrich

So alt wie die Kirchen der Stadt, so alt und vertraut ist ihr Geläut. Die Nürnberger von heute können noch die gleichen Töne vernehmen wie ihre Ahnen. Aber die Glocken haben viel von ihrem einstigen Glanz verloren, viel von ihrer früheren Bedeutung eingebüßt. Waren sie dazu auserwählt, dem Menschen ohne Armbanduhr und elektronischem Chronometer die Stunde anzusagen, ihn auf Mittagszeit und Feierabend aufmerksam zu machen, so sind sie heute beinahe nur noch eine Zutat im Alltag, die mit viel Lärm verbunden ist. Ihr Geläut wird an Sonn- und Feiertagen von den Großstadtbürgern meistens als störend empfunden, weil es mit Geräusch verbunden ist.

Niemand in Nürnberg kennt die Zahl, die Namen und die Inschriften aller Glocken. Die Protestanten vertrauen darauf, daß Kirchenrat Johannes G. Mehl in Appetshofen bei Gunzenhausen, der Sachverständige für ganz Bayern, eines Tages eine große Bilanz des Bestandes machen wird; die Katholiken wissen nur, daß im Erzbischöflichen Ordinariat in Bamberg alle Unterlagen über ihre Geläute gesammelt sind. Sicher aber ist mancher Superlativ, auf den die einzelnen Pfarrämter voller Stolz blicken.

Die evangelische Gemeinde von St. Johannis, die in ihrem Friedhof ein Kleinod besonderer Art besitzt und viele prominente Nürnberger in ihrer Erde ruhen weiß, verdankt es einem Zufall, daß sie die größte Glocke aller evangelischen Kirchen Bayerns, wenn nicht gar Süddeutschlands, ihr eigen nennen darf. Die Friedensglocke, vor 40 Jahren zur Weihe der Friedenskirche von Carl Geim aus Dankbarkeit über die Genesung von schweren Kriegswunden gestiftet, war schon dazu bestimmt, eingeschmolzen zu werden. Ein gütiges Schicksal mag es verhindert haben, daß sie bei der Eisenhütte Kali (Eifel) nicht den Weg in den Ofen ging, sondern auf dem Lagerplatz zurückblieb und alle Stürme überdauerte.

Der spätere Domkapitular Eichhorn, damals Pfarrherr von St. Michael, las in der Zeitung von der geretteten Glocke, verständigte seinen evangelischen Kollegen von seiner Entdeckung und die Verschollene konnte 1948 in ein zerstörtes Gotteshaus zurückkehren. Mit 175 Zentnern Gewicht – das sind fast neun Tonnen und einem Durchmesser von 228 Zentimetern gibt die Friedensglocke mit ihrer Inschrift „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ den dunkelsten Ton unter den Nürnberger Glocken an. An jedem Freitag um 9 Uhr erklingt sie neunmal und erinnert an die Gefallenen der beiden Weltkriege.

Im "Dritten Reich" schien es, als sei die Sterbestunde aller Glocken eingeläutet. Das Reichsinnenministerium befahl im November 1941 kurzerhand, daß die Kirchen ihre guten Stücke aus Bronze abliefern müssen. Auf den Türmen durften nur "alle historisch und künstlerisch besonders wertvollen Glocken" bleiben. Besaß eine Gemeinde solche Prachtexemplare nicht, so wurde ihr nur das kleinste aller läutefähigen Stücke zugestanden.

St. Lorenz besitzt das Gegenstück zum großen Friedensmahner von St. Johannis: die Silberglocke. Ihr Original, eine Stiftung der Freiherrn von Imhoff, findet sich im Germanischen Nationalmuseum, eine Nachbildung von nur 37 Kilogramm Gewicht in dem Türmchen, das von den beiden Giganten der Lorenzkirche umrahmt wird. Sie wird sogar noch von den Glocken der katholischen Kirchen übertroffen, die in Nürnberg meist jüngeren Datums und geringer Größe sind.

Ein Kuriosum zur Geschichte der Geläute steuert freilich St. Elisabeth bei. Diese Pfarrei verhielt sich schweigsam, solange es sie gibt, weil ihr im 19. Jahrhundert vom Magistrat der Stadt ein Turm versagt wurde. Sie kannte nicht das Problem, entsprechend viele Männer für schwere Glocken auftreiben zu müssen, denn allein für den Friedensrufer von St. Johannis waren 35 Mann an einem Strang nötig, bevor das Läuten elektrisch ausgelöst werden konnte. Heutzutage ist die Gemeinde noch anderer Sorgen enthoben, denn Dekan Paul Holzmann sagt: "Wir haben noch nie jemanden gestört!" Die Großstädter schätzen neuerdings offensichtlich ihren langen Sonntagsschlaf mehr als die Aufforderung zu Gebet und Gottesdienst.

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