29. März 1969: Das Rathaus wird oft zum Gasthaus

29.3.2019, 07:00 Uhr
29. März 1969: Das Rathaus wird oft zum Gasthaus

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Vielen von ihnen bereitet der Oberbürgermeister einen Empfang – als einfache aber bestimmt nicht schlechte Form der Gastlichkeit im Rathaus selbst, besonders festlich im Rittersaal der Kaiserburg, in dem sich bei Kerzenschein die Menschen die Hände schütteln. Dazwischen lädt die Stadt Ihre Gäste in die Teestube des Plärrer-Hochhauses oder läßt für sie bei renommierten Gastronomen Tische reservieren; stets bemüht, sich von der besten Seite zu zeigen und dennoch mit dem Geld auszukommen, das für solche Zwecke im Haushalt bereitgestellt Ist. Im vergangenen Jahr – so rechnet Oberamtmann Richard Back als städtischer "Zeremonienmeister" aus – gab es 144 solcher Veranstaltungen, für die rund 170.000 Mark ausgegeben wurden. Heuer stehen 180.000 Mark bereit, damit die Fremden nicht hungrig von dannen ziehen müssen und böse Beschwerdebriefe verfassen.

29. März 1969: Das Rathaus wird oft zum Gasthaus

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Es kommt nicht alle Tage vor, daß wie im Sommer 1960 mit König Bhumibol und Königin Sirikit aus Thailand gekrönte Häupter zur Visite kommen. Politische Prominenz von Bund und Land läßt sich dagegen häufiger sehen. Sowohl Professor Theodor Heuss wie sein Nachfolger Dr. Heinrich Lübke weilten als Bundespräsidenten in Nürnberg und trugen sich in das "Goldene Buch" ein, eine der Ehrungen, die die Stadt für hohe Besucher bereithält. Eine ganze Reihe bekannter Namen stehen darin verzeichnet.

Erinnerungen an Großvaters Jugendtage weckt das Autogramm seiner Majestät Kaiser Wilhelms II. neben dem Schriftzug der Kaiserin Viktoria. An glanzvolle sportliche Ereignisse denkt, wer auf die Unterschriften des Eiskunstlaufpaares Maxie und Ernst Baier stößt, das sich im Olympiajahr 1936 eingetragen hat, oder auf den Namen Maxl Morlock, der nach seinem großen Triumph mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften 1954 den Füllhalter zückte.

Nobelpreisträger und Ehrenbürger

29. März 1969: Das Rathaus wird oft zum Gasthaus

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Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, wie der Nobelpreisträger Professor Dr. Gerhard Domagk (1951) stehen einträchtig vereint mit solchen aus Kunst und Literatur wie der Schriftsteller Victor Gollancz. Größen aus der Bundespolitik wie Professor Carlo Schmid verewigten sich im "Goldenen Buch" ebenso wie die Einheimischen: Bundesminister Käte Stobel, Sprengmeister Richard Hesse oder Ehrenbürger August Meier, der im Stadtrat viele Jahre lang die Geschicke Nürnbergs mitbestimmt hat.

Mit den Gastgeschenken und ähnlichen Aufmerksamkeiten – Lebkuchen spielen da in Nürnberg eine nicht unbedeutende Rolle – bildet das „Goldene Buch“ nur eine Seite der städtischen Gastlichkeit. Wer würde schon solche Reverenzen mit hungrigem Magen und durstiger Kehle gern entgegennehmen. Deshalb übernimmt die Stadt häufig die Rolle des Wirts und bittet zum Mahle. 90 Empfänge waren es 1968, bei denen kleinere und größere Essen serviert wurden. Zwölfmal davon trafen sich die Spitzen der Stadt mit den Besuchern im Rittersaal: mit Politikern und Ärzten, mit Professoren beim Fakultätentag oder – einst im Mai! – mit der Clubelf nach der deutschen Meisterschaft.

Kaltes Büfett – das ist die Regel im Rittersaal, weil dort die Küche fehlt. Ein Hühnerbein, ein Stück vom Rehrücken und Forelle, delikat angerichteter Schinken sind nur einige Happen aus dem Gebotenen. Bier aus heimischen Braustätten, Wein von Mosel, Rhein und Main sind die Getränke, bei denen sich die beiden Seiten schnell näherkommen. Bei den Stehempfängen am Sitz der Stadtverwaltung gibt es am Vormittag Bratwürstchen, dazu ein Bierchen, Fruchtsaft oder Sprudel. Nachmittags läßt die Stadt Wein servieren und Käsestangen zum Knabbern. Gewöhnlich aber heißt die Stadt ihre Gäste in der Teestube des Plärrer-Hochhauses willkommen, von der sich ein herrlicher Blick über die Stadt hinweg zur Burg öffnet. In dieser Atmosphäre fühlen sich die Besucher wohl, zumal sich die Hochhaus-Küche sehen lassen darf. Nicht, daß es bei den Essen üppig zugehen würde, aber dort hat es sich noch jeder – auch die Prominenz beim SPD-Parteitag 1968 – munden lassen: Süppchen, Hauptgang und Nachtisch.

Neujahrsempfang lädt zum Plaudern ein

Die Liste aber wäre nicht vollständig ohne ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis, ohne den Neujahrsempfang der Stadt in der Meistersingerhalle, bei dem in den ersten Januartagen rund 700 Persönlichkeiten aus Bund, Land und Nachbargemeinden, aus Wirtschaft und Wissenschaft, aus Politik und Kunst zusammengekommen und bei kleinen Happen und einem Glas Wein über alle möglichen Dinge plaudern.

Damit alles wie am Schnürchen klappt, gibt es bei der Stadt ein "Amt für Veranstaltungen und Ehrungen," das dem Oberbürgermeister untersteht. Oberamtmann Richard Back, Oberinspektor Ottmar Schaller mit ihren Mitarbeitern sind schon gewohnt, an alles zu denken. Mit sicherer Hand organisieren sie – vom Verschicken der Einladungskarten bis zum Aufstellen der Tischordnung, was oft einiges Kopfzerbrechen bereitet.

Dabei müssen sie mit einem Etat auskommen, der – gemessen an den Ausgaben mancher anderer Stadt – wahrlich keine großen Sprünge erlaubt. Denn auch die Glückwünsche für die ältesten Mitbürger oder beispielsweise für die „eisernen“ und „kupfernen“ Ehejubilare werden aus diesem Fonds bestritten. Aber sie sind trotz knapper Kasse beide bestrebt, jedem Gast etwas zu bieten. Die Briefe, in denen sich die Besucher für die freundliche Aufnahme in Nürnberg bedanken, beweisen, daß sie dabei Erfolg haben und zugleich der Oberbürgermeister einen „guten Geschmack“ besitzt: er wählt die Menüs höchstpersönlich aus.

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