31. Oktober 1967: Paris so leicht gewählt wie Fürth

31.10.2017, 07:00 Uhr
31. Oktober 1967: Paris so leicht gewählt wie Fürth

© Gerardi

Bundespostminister Dr. Werner Dollinger wählte gestern an einem goldenen Telephon im Nürnberger Fernmeldeamt 1 die Nummer 0043 222 571155 und unterhielt sich sogleich mit dem österreichischen Verkehrsminister Dr. Weiß in Wien. Damit war für den Bezirk der Oberpostdirektion Nürnberg der Selbstwähldienst in zehn europäische Länder eröffnet. Ohne "Fräulein vom Amt" können die Nordbayern von nun an Bekannte in Norwegen oder Italien,Holland oder Österreich, mit ihrem Apparat daheim an die Strippe bekommen.

Noch nicht genug des Fortschritts: die "Auskunft", die bisher in dicken Wälzern nach der gewünschten Rufnummer suchen mußte, hat das Telephonbuch der ganzen Bundesrepublik auf 390 Mikrofilmen buchstäblich vor Augen.

31. Oktober 1967: Paris so leicht gewählt wie Fürth

© Gerardi

Mit dem Minister feierten Abgeordnete und Präsidenten, Offiziere und Geistliche das Wunderwerk, das sich Auslandsvermittlungsstelle nennt und in den letzten elf Monaten für 1,4 Millionen Mark eingerichtet worden ist. Die Standard Elektrik Lorenz AG mußte dazu 50 Kilometer Kabel und Leitungen in Gestellreihen verlegen, die 90 Meter lang sind. Nürnberg besitzt damit als letzte der sieben Zentralvermittlungen in der Bundesrepublik einen direkten Draht von Haus zu Haus in Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Holland, Norwegen, Österreich und der Schweiz.

"Die Klagen über lange Wartezeiten bei Auslandsgesprächen und über verzögerte Auskünfte, die sogar im Bundestag zur Sprache gekommen sind, werden nun ein Ende haben", erklärte der Bundespostminister in seiner Rede über die wachsende Telephonier-Leidenschaft der Deutschen. Sind im Jahre 1951 nur 2,3 Millionen Gespräche ins Ausland geführt worden, so werden es heuer 30 Millionen (zwölfmal soviel) sein.

Mit der neuen Nürnberger Vermittlung können 80 v. H. dieser Anrufe künftig selbst gewählt werden, 15 v. H. gehen über den sogenannten halbautomatischen Dienst, bei dem das "Fräulein vom Amt" in einer Zentrale die Verbindung mit Städten in Jugoslawien, Kanada, Schweden, Spanien, der Tschechoslowakei, der UdSSR und den Vereinigten Staaten sofort herstellt. Im Inland gehen 98 v. H. aller Gespräche vollautomatisch vor sich. "Mit technischen Mitteln ist es der Bundespost seit 1950 auf diese Weise gelungen, 35.000 Arbeitsplätze einzusparen und 70.000 "Fräulein vom Amt" gar nicht mehr einzustellen", betonte Dr. Dollinger.

Der Minister konnte mit weiteren imponierenden Zahlen aufwarten. Von Ende 1949 bis Ende 1966 hat sich die Zahl der Telephonhauptanschlüsse von knapp 1,3 Millionen auf fast 6 Millionen erhöht. In diesem Jahr kommen 567.000 neue Anschlüsse hinzu. 1968 sogar 600.000. Trotzdem warten noch immer 28.000 von ihnen länger als zwei Jahre, im schlimmsten Fall acht Jahre. "Ich halte diese Zahl im höchsten Maße für unbefriedigend", versicherte Dr. Dollinger, der ein Sonderprogramm ankündigte, damit die Warteliste bald zusammengestrichen werden kann.

Das große Zahlenspiel des Ministers endete mit dem freudigen Ausruf: "Nun will ich mal versuchen, die Auslandsverbindungsstelle Nürnberg in Betrieb zu setzen!" Der ganze Saal erlebte es mit, wie künftig halb Europa an die Strippe zu bekommen ist. Das Rezept: man wähle die internationale Zugangszahl (von Deutschland aus 00), die Landeskennzahl (im Falle Österreich 43), die Ortskennzahl (Wien beispielsweise 222) und die Rufnummer des gewünschten Teilnehmers. Der Minister machte alles richtig, denn er verhinderte Wahlpausen, wartete die Hörtöne bis zu 30 oder mehr Sekunden ab – und da meldete sich sein österreichischer Kollege Dr. Weiß mit dem lupenreinen Dialekt des Nachbarlandes. Es herrschte eitel Freude über diesen Einstand in ein neues Zeitalter des Telephonierens.

"Mit diesem neuen Verfahren sparen wir Zeit und Raum", erklärte Oberpostrat Dipl. Ing. H. Klimpel, der Leiter des Fernmeldeamtes Nürnberg 1. Ein weiterer Vorteil liegt darin, daß statt der bisher nötigen 15.000 Berichtigungen in der Woche nur noch Mikrofilme ausgewechselt werden müssen, die obendrein stets auf dem allerneuesten Stand sind. Da staunte der Fachmann und der Laie wunderte sich. Wer von nun an wissen will, welchen Speisezettel die englische Post vorschlägt, der wähle Birmingham unter der Nummer 0044 212 758071.

Dort wurde gestern Hähnchen in Cherry-Soße empfohlen. Präsident Dr. Hans Pausch hat mit seiner Behauptung sicher recht: "Die Deutsche Bundespost liegt mit ihrer vollautomatischen Auslandwahl an der Spitze gleich großer und größerer Länder in der Welt!"

Verwandte Themen


1 Kommentar