4. Februar 1967: Chic, Humor und viele Strapazen

4.2.2017, 07:00 Uhr
Stürmisch und schwungvoll zieht hier Faschingsprinz Rudi I. in den festlichen Saal. Seine Garde steht indes "Gewehr bei Fuß".

© Gerardi Stürmisch und schwungvoll zieht hier Faschingsprinz Rudi I. in den festlichen Saal. Seine Garde steht indes "Gewehr bei Fuß".

Unbarmherzig rückt das Ende der feuchtfröhlichen Zeit näher, in der die vierfarbbunten Streiter sowieso ein Mini-Regiment führen und heuer sogar auf den Karnevalszug verzichten müssen. Die Wogen des Frohsinns werden in den nächsten Stunden bestimmt hohe Wellen schlagen und den Übergang in den normalen Alltag erschweren.

Das gilt vor allem für ein gefeiertes Paar: Prinz Rudi I. und Prinzessin Lydia I. von Narrnberg. Seit drei Wochen sind sie ständig auf Achse, hetzen von einem Ball zum anderen, besuchen Prunksitzungen, Altersheime, Betriebe, Vereine, Behörden und versuchen, immer die gleiche Ware zu verkaufen: Witz, Charme und Humor. Eine lange Nacht lang haben wir uns einmal an ihre Fersen geheftet und die "adligen" Anführer in dem 24 Tage dauernden turbulenten Geschehen auf Schritt und Tritt verfolgt – mit Photoapparat und Notizbuch.

4. Februar 1967: Chic, Humor und viele Strapazen

© Gerardi

Es ist kurz nach 19 Uhr. Im "Walfisch", der Residenz der Tollitäten, geht es zu wie in einem Taubenschlag. Die Helfer des organisierten Narrenspaßes legen letzte Hand an den Terminplan. Aufgeregt springen die elf Gardistinnen herum, greifen zu Kamm und Schminke und werfen ihre hübschen Beine in die Höhe. Festausschuß-Vorsitzender Hans Bernhard, Hofmarschall Willi Wild und seine Vize Gustl Teufel bestimmen die Marschroute, die Hofdamen Monika Fried und Uschi Mittelstaedt begutachten Lydias Make-up. Page Erika Regelein bestückt ein blaues Samtkissen mit Orden, die beiden Adjutanten Herbert Groß und Kurt Rohmann rücken ihre goldbetreßten Uniformen zurecht. Derweil steht Rudi I. in seinem Prinzenzimmer und wählt zwischen Smoking und Frack. Der Raum mißt nur ganze fünf Quadratmeter – aber Platz genug, um nach strapaziösen Faschingstouren ein wenig auszuruhen.

Der Hofmarschall mahnt zur Eile. Er weiß warum: neun Auftritte liegen am Abend vor dem Prinzenpaar und seinem Gefolge. In einem Charter-Bus rollt der närrische Staat der Schlacht entgegen. Proviant ist auch an Bord: Brötchen zur Stärkung, alkoholfreie Getränke zur Neutralisation des vielen Sekts, der bei jedem Besuch in reichen Maße angeboten wird. Apropos pro mille: in dieser Beziehung werden an die Kondition der Truppe große Anforderungen gestellt. Und nicht nur das. Der Einmarsch des Prinzenpaares ist überall als Höhepunkt fest einkalkuliert. Man begnügt sich nicht damit, die Tollitäten zu sehen. Man will sie auch hören. Mit humorvollen Reden, originellen Einfällen und Initialzündungen für eine lang anhaltende gute Stimmung. Fast ein bißchen zu viel auf einmal.

4. Februar 1967: Chic, Humor und viele Strapazen

© Gerardi

Bei jedem Auftritt ähneln sich die Bilder. Stürmischer Einzug der Gladiatoren im närrischen Gewand, lauter Trommelwirbel der Kapellen und vielstimmige Ahaa-Rufe. Mit Schwung und Routine, die sich zwangsläufig schnell einstellen, gehen Rudi und Lydia an ihre Aufgabe heran. Neunmal an diesem Abend begrüßen sie die Untertanen recht herzlich, wünschen ihnen frohe und vergnügte Stunden, zünden Stimmungs-Raketen und bedauern aufrichtig, nur ganz kurz "bei Euch" bleiben zu können.

Am meisten muß der Prinz in Aktion treten. Sein Repertoire an Witzen kann sich schon sehen lassen. Aber oft kommt er mit vier oder fünf bei einer Nacht-Tour aus. "Wenn ich merke", so gibt er offen zu, "daß einer zieht, erzähle ich ihn überall. Am nächsten Tag muß ich mir dann etwas anderes einfallen lassen". Seine strohblonde Begleiterin hat es da einfacher. Bereitwillig ertönt aus Hunderten von Kehlen der lokale Schlachtruf, zu dem sie stets die Massen auffordert.

Das glitzernde Zeremoniell gleicht sich überall: mit geschwellter Brust umschwärmen die Veranstalter die Tollitäten, die Prinzengarde legt einen feurigen Tanz auf das Parkett und auf die Ehrengäste prasselt der Ordenssegen nieder. Und das Prinzenpaar läßt sich in dieser Beziehung nicht lumpen. Jeder, der sich irgendwie verdient gemacht hat, erhält einen umgehängt. Manche sind auf die funkelnden Andenken scharf wie eine Rasierklinge. Nicht nur wegen seines symbolischen Werkes, sondern weil sie ein Küßchen obendrein kriegen. Einige begnügen sich nicht nur mit der Prinzessin, sondern schreiten gleich die ganze Front der strammen Gardistinnen ab.

Orden für Schönheit

Heuer sind die Orden des Prinzenpaares aus Gips. Nicht weil die Materialkosten niedriger sind, sondern weil Rudi im Privatberuf Werbefachmann in einem Gipswerk in Iphofen ist. Die Revanche der Veranstalter bleibt nicht aus. Stolz verteilen sie an die Regenten und deren Karneval-Spähtrupp ihre Gesellschafts-"Abzeichen". Mit fast vierzig Orden hat Lydia ihren Prinzgemahl klar distanziert. Schönheit fordert eben ihren Preis.

Und das zeigt sich auch in anderer Hinsicht. Die Bilanz des turbulenten Abends: 36 Küßchen für die Prinzessin, nur 27 für Rudi I. In puncto Sekt bringt es der Prinz auf 15 Glas, sein weiblicher Antipode nur auf sieben. Aber man bedenke: 24 Tage und Nächte dauert diesmal die kurze Kampagne. Meint der 29jährige Prinz: "Es wird einem viel abverlangt." Nach dem perlenden Willkommenstrunk freut er sich auf ein kühles Helles und später auf sein Bett. Trotz der Strapazen geht sein Gewicht "komischer Weise in die Höhe".

Der gefeierte Narrenfürst, dem sein Amt runde 5000 Mark kostet, kann den Grad seiner Popularität nicht nur in der Begeisterung seiner unmittelbaren Untertanen ablesen. Zahlreiche Teenager schreiben ihm und wünschen sich ein Bild von "ihrem" Prinzen. "Ich erfülle natürlich das jugendliche Verlangen", bestätigt Rudi, bei dem bisher noch keine Heiratsanträge eingegangen sind. Seine charmante Frau Christa hätte da auch etwas dagegen. Sie sieht ihren Mann sowieso kaum noch.

Mehr Zeit für den Fasching hat Ihre Lieblichkeit Lydia I. "Sie kann immer ausschlafen", bestätigen ihre Eltern Frieda und Georg Schwarz, die in ihrem Weinlokal in der Künhoferstraße bis zum Aschermittwoch auf ihre Tochter kaum rechnen können. "Es ist eine schöne Zeit", findet die schöne Lydia (19). Seit sie in das Narrenschiff geklettert ist, schnellt ihr Verbrauch an Lippenstift und Make-up sprunghaft in die Höhe.

Um 20 Uhr sind Prinzenpaar und Gefolge zu ihrer Abendtournee gestartet. Eine knappe Stunde nach Mitternacht ist der Terminplan durch. Die Stimmung ist trotz der Strapazen gut. Hofmarschall Willi Wild muß jetzt mit Argusaugen darauf achten, daß er seine Garde vollzählig nach Hause bringt. Die kessen Damen sind begehrt und umschwärmt. "Mit dem Nachwuchs haben wir oft Sorgen", bekennt er, "je hübscher die Mädchen sind, um so schneller rückt der Marsch zum Traualtar näher". Schon jetzt deuten einige vielsagend an: "Ich mache Schluß!".

Am Aschermittwoch stehen sie nicht mehr auf der glitzernden Bühne. Für die meisten wird es aber nur ein Abschied auf Zeit sein. Der Prinz ist dann wieder ganz ein Werbefachmann, seine Prinzessin eine hilfreiche Stütze im elterlichen Lokal, die strammen Gardemädchen schlichte Verkäuferinnen oder Büroangestellte. Eigentlich schade…

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