4. März 1967: Die SPD muß allein regieren

4.3.2017, 07:00 Uhr
4. März 1967: Die SPD muß allein regieren

© Gerardi

Etwas betreten macht sich die SPD-Fraktion daran, die Stadt weitere fünf Jahre lang mit einer schwachen absoluten Mehrheit allein zu regieren. Die CSU muß erneut ihre Hoffnungen auf eine Mitarbeit in der Verwaltungsspitze begraben und sieht sich in ihre alte Oppositionsrolle gedrängt.

Mit einem Schlag sind alle Blütenträume von einem engen Zusammenwirken der zwei einflußreichsten Parteien hinweggefegt,an das von der Bevölkerung große Erwartungen geknüpft waren.

Der Parteiausschuß des SPD-Unterbezirks Nürnberg hat – wie bereits gestern ausführlich berichtet – der CSU mit 82 gegen 34 Stimmen in der Nacht zum Freitag eine unmißverständliche Absage erteilt. Die Funktionäre setzten sich damit über die Empfehlungen der Vorstände von Fraktion und Partei hinweg, die in „langen, sachlichen und ernsthaften Gesprächen“ mit der Spitze der CSU seit der Stadtratswahl vom März vorigen Jahres bereits ein Koalitionspapier erarbeitet hatten.

Das Ergebnis am Ende einer sechsstündigen Sitzung im Karl-Bröger-Keller überraschte selbst Bürgermeister Franz Haas, den Vorsitzenden des Unterbezirks, und Fraktionschef Willy Prölß, den Stellvertreter in der Parteispitze, die mit der sprichwörtlichen "Demokratie von unten" in der SPD schon so manche Erfahrung gemacht haben. Wenngleich sich auch die Stadtratsfraktion nur mit 15 gegen 11 Stimmen für eine Große Koalition ausgesprochen hatte, so konnte doch niemand eine derartig krasse Abstimmungsniederlage für die Befürworter einer Zusammenarbeit mit der CSU erwarten.

Wer spielt die Opposition?

Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter und Willy Prölß mochten sich noch so sehr anstrengen, den Wert einer "Politik auf breiterer Basis" für die Stadt aufzuzeigen, die folgenden 29 Diskussionsredner fegten ihre Argumente einfach vom Tisch. Die Funktionäre ließen sich, wie schon dargelegt, vor allem von drei Gründen gegen die Koalition beeindrucken: 1. "Die SPD hat von den Wählern im März 1966 einen klaren Führungsauftrag erhalten; sie darf der CSU nicht die Hintertür zum Sturm auf das rote Rathaus öffnen." 2. "Die CSU geht überall dort hemmungslos gegen die SPD vor, wo sie einen stärkeren Einfluß geltend machen kann." 3. "Der Nürnberger CSU-Fraktionschef Dr. Oscar Schneider wird für das Kesseltreiben gegen Oberbürgermeister Dr. Urschlechter in der Nebentätigkeits-Affäre verantwortlich gemacht."

Vordergründig beschäftigte sich der Parteiausschuß auch mit dem Problem, wer die Oppositionsrolle spielen, wer kontrollieren solle, wenn SPD und CSU zusammenarbeiten. Der "geschwächten FDP" traut man diesen Part nicht recht zu, wohl aber den drei Nationaldemokraten, die "im Stadtrat noch nicht recht Bescheid wissen", sich aber wohl nach einiger Zeit stärker nach vorne drängen werden.

Die Mehrheit der Delegierten entschied sich schließlich dafür, daß in Nürnberg das "gute demokratische Spiel von Regierung und Opposition zwischen den beiden großen Parteien" weiter geübt werden muß. Hintergründig freilich zeigte es sich, daß den SPD-Funktionären die Bonner Koalition noch schwer im Magen liegt, weil sie vor der Regierungsbildung nicht gefragt worden sind.

Ein demokratischer Beschluß

Die führenden Köpfe der Sozialdemokraten im Rathaus wurden von dem Beschluß ihres Parteiausschusses so überrascht, daß sie gestern nicht zu sagen wußten, wer in den nächsten Monaten und Jahren die freiwerdenden Referate (Recht, Wirtschaft und Kämmerei) übernehmen soll. Sie hatten offensichtlich fest damit gerechnet, daß – wie besprochen – der CSU das Wirtschaftsreferat (Professor Dr. Geer tritt im Mai 1968 ab), die Stadtkämmerei (Dr. Zitzmann scheidet 1970 aus) und ab 1972 auch ein Bürgermeisteramt zufallen werden. „Wir haben uns noch nicht einmal über den Nachfolger für Rechtsreferent Hans Thieme unterhalten, der Ende September in den Ruhestand geht; daher stehen wir vor einer neuen schwierigen Situation“, erklärte Fraktionschef Willy Prölß.

Bei einer Pressekonferenz im Rathaus versuchten die beiden Bürgermeister und der Fraktionsvorstand, jeden Anflug des Eindrucks zu verwischen, die Entscheidung des Parteiausschusses sei von persönlichen Rivalitäten bestimmt gewesen. Sie stellten sich nachdrücklich vor ihre Parteifreunde und versicherten immer wieder, daß „der demokratische Beschluß respektiert wird“.

Die CSU bedauert die Entscheidung

Am Ende ging der Fraktionschef sogar so weit, seinem eigenen Argument zu widersprechen, die CSU könne entscheidend zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt beitragen. „Die Staatsregierung darf Nürnberg nicht links liegen lassen, weil sich die Bevölkerung für eine SPD-Mehrheit entschieden hat“, meinte Willy Prölß.

Zwei Türen weiter auf der Beletage des Rathauses bedauerte hingegen der "lupenrein als Oppositionsführer" wiedererstandene CSU-Fraktionschef Dr. Oscar Schneider, daß "die schweren und harten Aufgaben in der Kommunalpolitik nicht mit vereinten Kräften angepackt werden können". Gefaßt und gelassen nahm er den Beschluß des SPD-Parteiausschusses hin, von dem er morgens durch die „Nürnberger Nachrichten“ und ein paar Stunden später von seinen "loyalen Gesprächspartnern" erfahren hatte. Dr. Schneider versicherte: "Die CSU-Stadtratsfraktion hat es in der Vergangenheit nicht an einer konstruktiven Mitarbeit und Mitverantwortung im Rathaus fehlen lassen und richtet sich auch für die Zukunft darauf ein!"

Den Gründen der Sozialdemokraten gegen eine Große Koalition hielt er entgegen:

1. "Die absolute Mehrheit (27 von 50 Sitzen) berechtigt die SPD nicht, einen absoluten und alleinigen Anspruch darauf abzuleiten, alle Spitzenpositionen zu besetzen."

2. "Wir stellen die Staatsregierung und besitzen maßgeblichen Einfluß in der Bundesregierung. Wenn wir an der Verwaltungsspitze beteiligt worden wären, hätten nicht von heute auf morgen paradiesische Zustände im Rathaus geherrscht, aber die Kraft der CSU wäre zum Vorteil Nürnbergs wirksam geworden."

3. "Ich könnte mich eindrucksvoll von den Vorwürfen des Kesseltreibens und der Unsachlichkeit im Oberbürgermeister-Wahlkampf 1963 befreien, wenn ich alles erzählte und andere Persönlichkeiten hineintauchte. Für mich ist der Wahlkampf längst ausgestanden."

Die CSU ist der Ansicht, daß eine Große Koalition im Rathaus von der Mehrheit der Bevölkerung begrüßt worden wäre. Sie hat in der jüngsten Vergangenheit schon manche Vorleistung auf eine künftige Zusammenarbeit gebracht; so stimmte sie vor einem Jahr zum ersten Male in der Nachkriegsgeschichte bei der Wahl nicht gegen Bürgermeister Franz Haas, sondern gab nur weiße Stimmzettel ab. "In einer Reihe von Fällen haben wir, so schmerzhaft es für die Opposition war, auf eine Schau verzichtet und uns in der Sachlichkeit zu Lasten der politischen Optik überboten", ergänzte Stadtrat Georg Holzbauer.

SPD lädt zu "Kontakten" ein

Wenn die Christlich-Soziale Union auch enttäuscht worden ist, so will sie künftig keineswegs eine "Opposition mit Zähnen und Klauen" machen. War sie ursprünglich bereit gewesen, in einer Koalition Verantwortung mitzutragen und in manchen sauren Apfel zu beißen, so will sie nun nach besten Kräften mitgestalten.

Dr. Schneider äußerte sich sehr befriedigt darüber, daß seine Verhandlungspartner von der SPD bis zuletzt ihrer Haltung treu geblieben sind, selbst noch im harten Ringen mit den eigenen Parteifreunden. "Das macht es der CSU leicht, im Rathaus gemeinsam mit diesen Persönlichkeiten zu sitzen!"

Der CSU-Fraktionschef schlug die Hand nicht aus, die ihm zuvor Bürgermeister Franz Haas mit dem Angebot zu weiteren Kontakten gereicht hatte. "Wir verschließen uns solchen Angeboten der SPD nicht, weil der Beschluß nichts am gemeinsamen Ziel geändert hat, im Interesse der Stadt Nürnberg zu arbeiten", sagte Schneider. Auch Oberbürgermeister Dr. Urschlechter hatte zuvor versichert, er werde alles tun, um die Fraktionen über die wichtigen Probleme zu unterrichten, um ihren Rat zu hören.

Trotz solcher schönen Versprechen macht sich in den Fraktionen der beiden großen Rathausparteien Enttäuschung breit. Nürnberg aber ist um eine Hoffnung ärmer geworden.

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