5. Februar 1969: Protest gegen die Vorbeugehaft

5.2.2019, 07:00 Uhr
5. Februar 1969: Protest gegen die Vorbeugehaft

© Ulrich

Die „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“ hatte zu dieser Kundgebung gegen die geplante Vorbeugehaft eingeladen und Beate Klarsfeld als prominente Rednerin aufgeboten.

Die Demonstration verlief ohne Zwischenfälle. Erst nach dem Ende der Veranstaltung mußte die Polizei die Königstraße vor der Lorenzkirche für den Verkehr frei machen. Als die Beamten die Menge zurückdrängten, gab es zwei Verletzte. Ein 20jähriges Mädchen stürzte zu Boden und wurde mit Verdacht auf innere Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Ein Polizeibeamter wurde von einem Feuerwerkskörper am Auge verletzt und kam ebenfalls ins Krankenhaus.

Beate Klarsfeld, die Frau, die Bundeskanzler Kiesinger ohrfeigte, hatte zu Beginn der Kundgebung bedauert, daß „Schreibtischtäter“, zu denen sie auch den Bundeskanzler zählt, noch immer ihr Unwesen trieben. Sie machte sich zur Sprecherin der jungen Generation, die verhindern müsse, daß solche Leute nicht mehr durch demokratische Wahlen in Spitzenpositionen gelangen können.

Die französische Staatsbürgerin beklagte, daß die Bundesrepublik von „Vandalen“ regiert werde. Dem kapitalistischen Unternehmen Deutschland gehe es gut, aber es bewege sich in der falschen Richtung. Ein glaubwürdiger Sozialismus sei nicht der, den die SPD anstrebe.

Wenig Zustimmung fanden die Demonstranten bei der Bürgerschaft. Denn die Karolinenstraße wurde von 17.30 bis 18.40 Uhr von der Polizei für den gesamten Verkehr gesperrt. Diese Polizeimaßnahme löste bei zahllosen Arbeitern und Angestellten, die nach Geschäftsschluß durch die Sperrung gezwungen waren, von der Innenstadt zu den Straßenbahnhaltestellen Hauptbahnhof und Plärrer gehen zu müssen, helle Empörung aus. Vielfach wurde der Vorwurf laut, der Polizeipräsident habe mit der Sperrung der Karolinenstraße „seine Kompetenzen überschritten“. Das Recht einer „winzigen“ Minderheit auf Demonstrationsfreiheit dürfe nicht zu Lasten der Freiheit der überwiegenden Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung gehen.

In hitzigen Disputen am Rande der Straße wurde immer wieder die Frage gestellt: „Warum konnte die Polizei die Demonstration nicht auf die Breite Gasse beschränken?“ Denn jeder Kraftfahrer werde in der Karolinenstraße selbst für die kurzfristigste Verkehrsbehinderung von der Polizei empfindlich bestraft. „Hat die APO in Nürnberg mehr Rechte als die anderen Bürger?“

Im Kreuzverhör der Studenten

Eine ältere Frau tuschelte zu einer Nachbarin: „Früher war man stolz, wenn man einen Studenten in seiner Familie hatte. Aber heute – gerade schämen muß man sich!“ Doch nicht alle Demonstranten waren Studenten. Mit Ho-Tschi-Minh-Rufen bewegte sich der Zug vom Polizeipräsidium durch die Karolinenstraße zum Platz vor der Lorenzkirche. Doch „Watschen“-Beate Klarsfeld war nicht mehr dabei. Ein Zuschauer meinte: „Die hat kalte Füße bekommen.“ Zwei Stunden vor der Kundgebung nahmen Studenten der Pädagogischen Hochschule Nürnberg Beate Klarsfeld ins Kreuzverhör.

5. Februar 1969: Protest gegen die Vorbeugehaft

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Ihre Dokumentation über die politische Vergangenheit von Bundeskanzler Kiesinger fand bei der Mehrzahl der Zuhörer wenig Verständnis. Dies bezeugten Zwischenrufe wie „Zur Sache, Schätzchen“. Beate Klarsfeld bemühte sich, einen Kiesinger vorzustellen, der um die NS-Verbrechen wußte, Motor der Rundfunkpropaganda war und deshalb als Bundeskanzler untragbar sei. „Einen Mann mit Blut an den Händen will ich nicht vorführen“, erklärte sie.

Ein „moralisches Recht“

In der Diskussion hagelte es Fragen wie: „Warum schlagen Sie nicht Ulbricht, der 17 Millionen Deutsche einsperrt?“ „Was würden Sie tun, wenn der Kanzler Ihrer Wahl geschlagen würde?“ „Sind Ohrfeigen das wirksame Mittel im politischen Kampf?“ „Sie als Frau haben geschlagen, ein Mann hätte vielleicht die Pistole gezogen, was sagen Sie dazu?“ Beate Klarsfeld berief sich auf ihr „moralisches Recht“ und meinte, man dürfe aus der Sache „keine Eskalation machen“.

Die Studenten blieben hart: „Haben Sie nicht nach Entlastungsdokumenten für Kiesinger gesucht?“ Sie: „Ich warte darauf, daß er sie vorlegt.“ Im übrigen ist für Beate Klarsfeld das weltweite Echo, das die Ohrfeige als Hieb gegen die Vergangenheit des Kanzlers fand die beste Rechtfertigung. Trotzdem blieb ein Student hart: „Sie sind mir auch unsympathisch, aber ich gehe jetzt auch nicht hin und haue Ihnen eine runter.“

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