6. Oktober 1968: Fänger fahnden nach Federvieh

6.10.2018, 07:00 Uhr
6. Oktober 1968: Fänger fahnden nach Federvieh

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Im Frühjahr und Sommer können sich die Tiere eines fast ungestörten Daseins erfreuen, weil ihnen während der Brutzeit niemand etwas anhaben darf.Aus diesem Grunde werden die Netze zwischen Oktober und April ausgelegt, in denen sich in der Vergangenheit Jahr für Jahr 6.000 bis 7.000 Tauben gefangen haben. Die Stadt, so manchen Sturm von Tierfreunden im "Taubenkrieg" gewöhnt, betont aber ausdrücklich, daß dabei behutsam und "human" vorgegangen wird.

Das ganze Sinnen und Trachten der Stadtverwaltung geht dahin, die Schar der Tauben nicht ins Uferlose wachsen zu lassen. Diese Gefahr ist besonders groß, weil die Tiere zum einen im Häusermeer keine natürlichen Feinde haben, zum andern sogar noch verhätschelt werden. Während auf dem flachen Land beispielsweise Bussarde und Sperber für eine Auslese sorgen, finden sich in Nürnberg immer wieder Menschen, die mit milder Hand so viel Futter auswerfen, daß manche Taube alsbald rund und fett wie ein Gockel herumstolziert.

Solche Tierfreunde machen sogar den amtlichen Fängern das Leben sauer, die – sechs bis acht Mann hoch – ständig mit offizieller Elaubnis den (oft peinlich sichtbaren) Spuren der verwilderten Haustauben folgen. Manche beschimpfen die Männer, die für Ordnung im gefiederten Volk sorgen wollen; andere gehen in ihrem Fanatismus sogar soweit, in die Hände zu klatschen, um Tiere vor einem ausgelegten Netz zu warnen. Die Tauben wiederum sind schlau genug, sich nicht mehr "anfüttern" zu lassen, wenn sie einen Fänger erst einmal erkannt haben.

Eine solche Haltung erscheint der Stadtverwaltung um so unverständlicher, als sie der Taubenplage mit Fachleuten Herr zu werden versucht. Sie hat frühere Brieftaubenzüchter gefunden, die als Fänger ausschwärmen. Diese Männer erhalten 50 Pfennig für das Tier, 25 Pfennig für ein Ei. Bei ihrer Arbeit sind sie streng an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden, die vorschreiben, daß Tauben "weder geschossen, noch vergiftet, noch in einer quälerischen Weise gefangen" werden dürfen. Offizielle Stellen des Tierschutzes haben daher gar nichts dagegen einzuwenden, daß einem fortgesetzten Anwachsen der Taubenzahl mit vernünftigen Mitteln Einhalt geboten wird.

Schmerzloser Weg

Ein schmerzloser Weg zu diesem Ziel führt über Eier, die angestochen werden. Diese Methode bietet den Vorteil, daß die Taube zunächst weiterbrütet und nicht gleich wieder von neuem zu brüten beginnt. Auf diese Weise wird die fragliche Zeit überbrückt, ohne daß sich Nachwuchs einstellt. Eine solche Geburtenkontrolle ist nötig, weil Tauben mindestens fünfmal im Jahr brüten und jeweils zwei Junge in die Welt setzen. Es läßt sich errechnen, wie sprunghaft sich das Federvieh vermehren könnte, würde der Kreislauf nicht unterbrochen.

Obwohl die Fänger nicht müßig, wenn auch den Tieren durchaus wohlgesonnen sind, leben schätzungsweise 20.000 Tauben in der Stadt. Und sie leben gar nicht schlecht, ohne selbst etwas dazu tun zu müssen. So kennen die Fänger beispielsweise eine Frau, die Tag für Tag in einer großen Limousine an einer Anlage vorfährt und zwei bis drei Pfund des besten Futters ausstreut. Die Tauben aber fressen nicht nur, sondern ... Viele Häuser und historische Bauwerke legen davon ein bekleckertes Zeugnis ab.

Die Stadtverwaltung ist daher der Ansicht, daß ein Mittelmaß zwischen übertriebener Liebe und bösartiger Ausrottung den richtigen Weg darstellt. Einer ihrer Sprecher versichert Freund wie Feind: "Wir wollen keinen Taubenkrieg!"

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