Angst und olle Kamellen

9.9.2016, 20:44 Uhr

200.000 Flüchtlinge im Jahr will die Partei noch nach Deutschland lassen und das auch nur, wenn die Menschen vorzugsweise aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis kommen.  Angesichts dieser Abschottungsfantasien fragt man sich, was aus der stolzen, in sich selbst ruhenden und auf bayerische Traditionen vertrauenden Christlich-Sozialen Union geworden ist? Aus dem Grundsatzprogramm, das sie heute und morgen beschließen will, trieft die Angst vor der AfD, deren Forderungen fast wörtlich übernommen werden. Souveräner Umgang mit dem Fremden sieht anders aus, die auch von der CSU gerne beschworene „Liberalitas Bavariae“ — Weltoffenheit, Toleranz und Großzügigkeit — muss man in diesem Programm mit der Lupe suchen.

Integration funktioniert

Natürlich muss Integration gut gemanagt werden. Einfach alle kommen lassen und alle nach ihrer Fasson glücklich werden lassen, funktioniert nicht. Aber das fordert niemand und es passiert auch nicht: Denn im Gegensatz zu den markigen Worten, welche die CSU gerne zu diesem Thema bemüht, wird in Bayern für die Integration schon relativ viel getan und sie klappt auch in vielen Fällen ganz gut.

Doch statt Bayern zum Vorreiter bei dieser Herkulesaufgabe zu machen, schürt die CSU mal wieder Überfremdungsängste und holt dafür die olle Kamelle von der deutschen Leitkultur hervor. Was das sein soll? Die Frage kann nicht mal die CSU befriedigend beantworten, spricht vage vom „gelebten Grundkonsens“, von „Anerkennung der Werteordnung und Prägung des Landes“. Die Worthülse von der Leitkultur wird einfach durch drei weitere Worthülsen ersetzt — klarer wird dadurch nichts.

Dabei haben wir längst eine Leitkultur, sie ist seit über 60 Jahren in den ersten 19 Artikeln des Grundgesetzes unmissverständlich beschrieben: Die Würde des Menschen ist unantastbar, es herrschen Rede-, Versammlungs- und Religionsfreiheit. Ein wundervoller Text, der alle Zutaten für ein friedliches Zusammenleben beinhaltet. Doch die CSU tut so, als gäbe es ihn nicht, mehr noch, sie unterstellt Zuwanderern pauschal, diese Werte zu ignorieren.

An das Leid gewöhnt

Dabei sind der Skandal nicht die paar Frauen, die in einer Burka durch Deutschland laufen, oder die große humanitäre Geste, mit der Kanzlerin Merkel vor einem Jahr syrische Flüchtlinge aus Ungarn hierher holte. Der Skandal ist, dass uns ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer nicht mehr interessieren und wir das Problem schon wieder möglichst weit von uns wegschieben. Nach Griechenland, Italien, in die Türkei oder nach Libyen — aus den Augen, aus dem Sinn.

Deswegen ist der Verweis der CSU auf das Christentum auch so befremdlich: Notleidenden zu helfen, ist doch eine der zentralen christlichen Tugenden. Obergrenzen für Flüchtlinge, die auch dann noch Not leiden, wenn der 200 001. zu uns kommt, und Transitzonen an den Grenzen vertragen sich damit wirklich nicht.

Die CSU tritt mit dem Programm nicht nur humanistische Werte mit Füßen, sie dürfte auch politisches Porzellan zerschlagen. Denn die Kanzlerin wird sich niemals auf diese Forderungen einlassen. Diesen Gesichtsverlust kann sie nicht riskieren. Also wird die CSU, die ohne Merkel keine Machtoption in Berlin hat, irgendwann kleinlaut zurückrudern. Und die Bürger werden, wenn sie merken, dass die CSU mal wieder nur Schaum geschlagen hat, möglicherweise erst recht die AfD wählen.

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