Die Gasse aus der Kindheit wird wieder lebendig

2.2.2011, 13:00 Uhr
Die Gasse aus der Kindheit wird wieder lebendig

© Winckler

Da ist mal ein literarisches Werk, das in einer Stadt der Region spielt und nicht als Kriminal-Story daherkommt; durch das kein spreiz-fränkisch parlierender Kommissar geistert, der den exakt ins Buch übertragenen Stadtplan nach Übeltätern absucht, von denen es in Nürnberg, Fürth und Erlangen seit ein paar Jahren anscheinend wimmelt.

Nein, hier ist die Gasse ganz einfach Gasse wie sie einmal war und irgendwie heimlich sogar noch ist; hier sind die Menschen echt und ohne Mordgelüste, haben gelebt und sich als mehr oder weniger schrullige Nachbarn eingeprägt; hier ist der Stadtplan nicht nur Folie für spannende Täter-Jagden, sondern wird zur Kulisse für wirkliche Schicksale und alltägliche Dramen.

Der in Erlangen und auf einer Nordseeinsel lebende Autor Marius Prévot hat sich in der Erinnerung noch einmal in die Straße seiner Kindheit in den 50er Jahren begeben, auf die Spurensuche in einem gut überschaubaren Areal, das in seiner Alltäglichkeit vordergründig so gar nichts Spektakuläres und Nervenaufreibendes zu bieten hatte.

Aber gerade aus dieser Normalität kristallisiert Prévot ein feines Sittenbild einer noch halbwegs konfusen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg heraus, die sich die Augen wischt, sich sammelt, aufrappelt und versucht, das Leben noch einmal in die Hand zu nehmen.

Es ist die Hirschenstraße in Fürth (auch wenn sie nie im Buch genannt wird, was ihm somit eine wunderbare Allgemeingültigkeit gibt), in der sich das Kind zwischen Hinterhöfen, Dachböden, spärlich eingerichteten Wohnungen und in Hauseingängen bewegt wie ein Abenteurer, wo es staunend auf die Erwachsenenwelt trifft: da geht man seinen Geschäften nach in kleinen Läden, dampft das anstrengende Leben in Kneipen aus, zieht sich zurück in die muffige Gemütlichkeit kleinbürgerlicher Solidität. Typen fallen Prévot wieder ein, die an Ecken herumlungerten, die seltsame Dinge verkauften, die scheinbar niemand wirklich brauchte. An fleißige Nachbarn erinnert er sich, die tagein tagaus mühsam ihrem nur wenig einträglichen Gewerbe nachgingen; Geräusche kommen ihm in den Sinn am Übergang von uralten zu modernen Zeiten – alles war „bescheidener, intimer, weniger großkotzig, liebevoll provinziell eben.“
 

Für Überraschungen gut

Prévot hat die sprachliche Gabe, in diesen Erinnerungen zu kramen wie in einer großen Spielzeugkiste, die stets für Überraschungen gut ist. Er staunt in seinen oft chaotisch sich verzweigenden Sätzen und Gedanken und fördert eine Atmosphäre zutage, die vergangen ist und doch auf einmal wieder präsent wird.

„Sich an eine Straße erinnern,“ schreibt Marius Prévot über sein Alter ego, „ist für ihn mehr, als nur den sie schützenden Nebel der Vergangenheit beiseite zu schieben und sie dabei – wie er sich selbst eingestehen muss – in gewisser Weise zu verklären, weil er mit der heutigen Situation dort nicht zurecht kommt; es sind die in seiner Erinnerung noch gegenwärtigen, jahreszeitlich bedingten, sehr unterschiedlichen Gerüche, das stets wiederkehrende, wenn auch in Nuancen unterschiedliche Grau der Straße, das Trommeln prasselnden Schlagregens auf Fensterbleche und längst verrostete Blechdächer in den Hinterhöfen, das Rattern eisenbereifter Holzspeichenräder über klappriges Kopfsteinpflaster, das Hufgeklapper der Pferde, der dumpf-knatternde Ton der Motorräder, was in ihm längst vergessen geglaubte Bilder zurückruft.“

Marius Prévot: Eine Straße in Franken. Kristina Probst Verlag, Erlangen. 165 Seiten, 17,80 Euro.

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