Die Medizin kommt ohne Tierversuche nicht aus

10.10.2010, 20:00 Uhr
Die Medizin kommt ohne Tierversuche nicht aus

© André DeGeare

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Vor fünf Jahren ist das 26 Millionen Euro teure Zentrum an der Palmsanlage bezogen worden. Es sollte die bis dato dezentralen Tierhaltungen unter einem Dach vereinen und bietet seit 2005 auf 2300 Quadratmetern Platz für Versuchstiere, für Labore, Untersuchungs- und OP-Räume. Genehmigungen hat das Zentrum lediglich für die Haltung von vier Arten — Mäusen, Ratten, Laborschweinen und Schafen. Im vergangenen April — diese Zahlen legt der derzeitige technische Leiter der Einrichtung, Prof. Stephan von Hörsten, offen auf den Tisch — hielt man 10.275 Mäuse, 576 Ratten, 33 Kaninchen, zehn Schweine und vier Schafe.

Die Medizin kommt ohne Tierversuche nicht aus

Betrieben wird überwiegend medizinische Grundlagenforschung, und zwar von wissenschaftlich tätigen Medizinern aus den Uni-Kliniken. Um die Aussagekraft der Versuche so hoch wie möglich anzusetzen, werden — etwa bei den Mäusen — ausschließlich eigens gezüchtete, genetisch veränderte Nager bevorzugt. Diese transgenen Tiere stammen aus der Dependance des Penzoldt-Zentrums im Südgelände der Universität, dem Biologisch-Technologischen Entwicklungslabor an der Rommel-Straße.

Strikte Hygiene-Vorgaben

Hat die Regierung von Mittelfranken als zuständige Behörde den Versuch eines Wissenschaftlers genehmigt, können seine Tiere auch im Penzoldt-Zentrum unter strikten Hygiene-Vorgaben gehalten werden. Mäuse, die in Versuchen mit Abstand am häufigsten eingesetzten Tiere, werden dabei in kleinen, speziellen Kunststoff-Käfigen gehalten, in denen sie mit eigens gefilterter Luft und desinfiziertem Futter versorgt werden. Selbst die Tierpfleger arbeiten ausschließlich in Schutzkleidung und in weitgehend keimfreien Räumen, um Ergebnisse nicht zu verfälschen.

Für Tierschützer, auch die in Erlangen vertretenen „Ärzte gegen Tierversuche“, leisten Einrichtungen wie das Penzoldt-Zentrum „wissenschaftlich unsinnige Arbeit“, die nicht dem medizinischen Fortschritt diene: „Die künstlich geschädigten Tiere haben nichts mit der komplexen Situation beim menschlichen Patienten zu tun“, so Corina Gericke, Mitarbeiterin des Vereins. Als Alternativen lässt auch ihr Verein nur die tierversuchsfreie Forschung zu, beispielsweise an Zell- und Gewebekulturen oder über Computer-Simulationen.

Entsprechend enttäuscht reagierte man auf die novellierte EU-Tierversuchsrichtlinie. Sie muss innerhalb der nächsten beiden Jahre umgesetzt werden und gibt europaweit strengere Auflagen für die medizinische Forschung vor: Versuche sind nur noch erlaubt, wenn es keine anerkannten alternativen Testmethoden gibt. Die Anzahl der Tiere ist zu verringern, ihr Einsatz zu verbessern oder gänzlich zu vermeiden. Menschenaffen dürfen nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Die Tiere, für die künftig Belastungsstufen gelten, müssen von ausgebildetem Personal betreut werden; Versuche werden künftig auch rückwirkend bewertet.

Stress und Schmerzen auf Mindestmaß reduzieren

Prof. Stephan von Hörsten dagegen sieht die neue Richtlinie in Deutschland, im Gegensatz zu vielen osteuropäischen Ländern, längst umgesetzt. Auch im Penzoldt-Zentrum führe man Tierversuche schon seit langem nur dann durch, wenn In-vitro-Tests nicht möglich oder Computermodelle nicht verfügbar seien. Ebenso sei man immer bestrebt, die Anzahl der Tiere, ihren Stress und ihre Schmerzen auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

„Wir sind uns der Verantwortung für die Tiere bewusst“, betont von Hörsten. Dennoch sei die medizinische Grundlagenforschung an ihnen nicht völlig verzichtbar. „Tiermodelle haben bei menschlichen Erkrankungen einen hohen Vorhersagewert“, unterstreicht von Hörsten, der in Erlangen die Professur für experimentelle Biomedizin inne hat. Um menschliches Leid zu lindern, nehme auch er die Verpflichtung auf sich, Tiere leiden zu lassen. Als nicht ersetzbar würden Tierversuche deshalb u. a. in der Krebs- oder Alzheimer-Forschung gelten, bei Multipler Sklerose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder rheumatoider Arthritis.

Allein in Deutschland wird jährlich mit etwa 2,7 Millionen Tieren experimentiert, EU-weit sind es etwa zwölf Millionen. Dabei gilt Deutschland in Europa als Vorzeige-Staat: Es hat in den vergangenen Jahren zahllose Projekte für Ersatzmethoden finanziert und dafür hohe zweistellige Millionenbeträge zur Verfügung gestellt.

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