Eine Legende muss Abschied nehmen

23.5.2011, 17:05 Uhr
Eine Legende muss Abschied nehmen

Dem 9-fachen Weltmeister, 8-fachen Europameister und 25-fachen Deutschen Meister droht das Aus seiner fast 45-jährigen Karriere, die er bei der Europameisterschaft im September in Nürnberg erfolgreich abschließen wollte.

„Bis zur EM wäre ich noch gerne mit Mario Vonhof gestartet, doch ich fürchte, dass ich überhaupt nicht mehr fahren kann“, sagt Dieter Durst sichtlich betrübt. Eine sehr schlechte Nachricht, für die treuen Steherfans der traditionsreichen Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller und für den gesamten Stehersport. Dieter Durst, der vier Jahrzehnte zu den weltbesten Schrittmachern zählte und erfolgreich auf allen Pisten Europas fuhr, war stets eine Klasse für sich. „Ich kann nur hoffen, dass er dem deutschen Stehersport künftig noch beratend mit seiner reichen Erfahrung zur Verfügung steht, denn noch nie saß ein deutscher Schrittmacher länger und erfolgreicher im Sattel als er“, sagt Steher-Bundestrainer Rainer Podlesch aus Berlin, der zwischen 1978 und 1985 acht deutsche Meistertitel und zwei Weltmeistertitel an der Rolle von Dieter Durst erkämpfte.

„Ich konnte es kaum erwarten“

In seinem Metier war Dieter Durst einmalig, schwärmen alle Fahrer, die einst in seinem Windschatten fuhren, und ebenso die vielen Fans von Dieter Durst. „Zu den Steherrennen auf der Rennbahn am Reichelsdorfer Keller kam ich schon mit etwa fünf Jahren“, erinnert sich Dieter Durst, dessen Vater Siegmund als renommierter Fachjournalist und Sprecher bundesweit bei Radsport-Veranstaltungen im Einsatz war. Auch bei den damals noch vielen Straßen- und Rundstreckenrennen der Region waren Dieter und sein ein Jahr älterer Bruder Peter begeisterte Zuschauer. „Ich konnte es kaum erwarten, da endlich dabei zu sein“, erzählt Dieter Durst, der im Frühjahr 1960 mit knapp vierzehn Jahren im Trikot des „Ring Nürnberger Rennfahrer“ erste Jugendrennen fuhr. Später wechselte er zum RC Herpersdorf, „doch nach einem Jahr bei den Amateuren hatte ich die Schinderei plötzlich satt“, gesteht Dieter Durst, der sich mit 20 Jahren mehr für den Stehersport interessierte, für den man damals am Reichelsdorfer Keller Nachwuchs-Schrittmacher suchte und ausbildete.

Eine Legende muss Abschied nehmen

© Manfred Marr

Überzeugt hat Dieter Durst 1967 Bahnwart Paul Maul mit dem Rat: „Sei nicht so dumm und quäl’ Dich stundenlang auf dem Rad. Steig’ lieber auf eine Schrittmachermaschine.“ Ein guter Tipp, den Dieter Durst als jüngster der Nürnberger „Steher-Schule“ prompt befolgte. Maul – einst selbst Steher und Schrittmacher – war es auch, der das außergewöhnliche Talent des Neulings sehr schnell erkannte und förderte: „Paul gab mir viele wertvolle Ratschläge und er hat mir auch die wichtigsten Kniffe und Tricks beigebracht, die ein guter Schrittmacher beherrschen muss“, erinnert sich Durst.

Dabei wurde er in seinen ersten Schrittmacher-Jahren mit Erfolgen nicht verwöhnt. „Es war eine harte Lehrzeit, in der ich mit sehr vielen verschiedenen Amateuren fuhr und dabei lernte, mich immer wieder auf neue Fahrer einzustellen. So richtig gut lief es erst mit Werner Heidrich vom RC Schwalbe Nürnberg, mit dem ich um 1970 meine erste Nominierung in die Nationalmannschaft schaffte.“ Als wichtigstes Sprungbrett seiner erfolgreichen Schrittmacher-Karriere bezeichnet Dieter Durst seinen ersten WM-Titel, den er 1974 in Montreal gemeinsam mit Jean Breuer aus Hürth gewann. „Trotz der vielen Titel, die danach folgten, war das für mich bis heute mein schönster Sieg, nachdem ich mit Jean erst über den Hoffnungslauf ins Finale kam und niemand mit uns beiden rechnete“, blickt Durst schmunzelnd zurück.

Auch beim Bund Deutscher Radfahrer, mit dessen Funktionären der selbstbewusste Franke oft im Clinch lag, erkannte man nun die große Klasse des cleveren Schrittmachers. Ab dem WM-Sieg 1974 zählte er ohne Unterbrechung zum Nationalkader bei Welt- und Europa-Meisterschaften, bei denen er Jahr für Jahr immer mehr wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Vor allem der Holländer Nopi Koch war sein Lehrmeister. „Er war damals als weltbester und perfektester Schrittmacher mein Vorbild. Nopi hat mir noch sehr viel beigebracht“. 1975, 1976, 1978 und 1980 gewann Dieter Durst mit Dieter Kemper (Dortmund) und Wilfried Peffgen (Köln) vier weitere WM-Titel bei den Profis. Die ausgefuchsten Bahn-Cracks Kemper und Peffgen waren es auch, die Dieter Durst den „letzten Schliff“ als Schrittmacher verpassten. „Mit ihnen lernte ich vor allem das viel schwierigere Fahren auf kurzen und steilen Winterbahnen.“

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Ein weiteres Plus für den ehrgeizigen Franken, der in den Wintermonaten bei den Sechstagerennen auch auf den leichten Derny-Motoren ein sehr erfolgreicher Pilot wurde. In seinem Windschatten brausten einst prominente Straßen- und Winterbahn-Asse wie Eddy Merckx, Gianni Bugno, Didi Thurau, Urs Freuler und Bruno Risi siegreich durch die Steilkurven.

Seinen letzten WM-Titel holte Dieter Durst 1994 mit dem Berliner Carsten Podlesch, dem Sohn von Ex-Weltmeister Rainer Podlesch – der Radsport-Weltverband UCI strich ab 1995 den Stehersport aus dem WM-Programm: „Das war ein schwerer Fehler, der dem Stehersport enormen Schaden zugefügt hat, denn damit fiel in allen Ländern die Unterstützung und das Interesse für den Stehersport weg. Die WM als absoluter Höhepunkt des Jahres fehlt dieser schönen Sportart bis heute noch immer“, bedauert Dieter Durst, der immer wieder dafür plädierte, die Steherrennen wieder in das WM-Programm aufzunehmen.

Von den heimischen Stehern profitierten die mehrfachen Deutschen Meister Klaus Burges (TK Schwabach), Roland Renn (RC Herpersdorf) und Mario Vonhof (TK Schwabach) am meisten von der großen Erfahrung des fränkischen Routiniers, der am Keller auch immer wieder Steherneulinge unter seine Fittiche nahm. Talentierte Neulinge will Dieter Durst auch künftig gut im Auge behalten. Er freut sich, dass der längst totgesagte Stehersport inzwischen wieder einen beachtlichen Aufschwung erlebt: „Vor allem in Nürnberg hat man beim Verein Sportplatz in den vergangenen Jahren sehr viel getan“, lobt Durst Bahnchef Andreas Zentara und seine Getreuen, denen er verspricht: „Auch wenn ich nicht mehr in den Sattel steige, werde ich weiterhin zur Stelle sein“. Langweilig wird es Durst auch ohne Renneinsätze kaum werden. „Ich werde unsere Fahrer und Schrittmacher beraten und auch zu den auswärtigen Rennen begleiten“, sagt der Jubilar, für den die Rennbahn am Reichelsdorfer Keller längst sein zweites Zuhause wurde. Auch künftig wird er dort dreimal pro Woche im Einsatz sein: „Ich kümmere mich vor allem um die Schrittmachermaschinen, die regelmäßig und gut gepflegt und gewartet werden müssen. Für mich gibt es da jede Menge zu tun“, sagt er und kann doch wieder schmunzeln.

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