Europa der Egoisten

26.9.2016, 14:20 Uhr

Selbstverständlich haben die EU und ihre Mitglieder das Recht und die Pflicht, ihre Außengrenzen zu sichern. Und natürlich kann es nicht alleine Aufgabe der Europäer sein, den Menschen aus Afrika und Asien zu helfen, die vor Krieg und Armut fliehen. Aber genau aus diesem Grund — weil die Not so groß und die Zusammenhänge so komplex sind — hätte man sich ein paar intelligentere Antworten aus Wien gewünscht, als das immer gleiche „jetzt machen wir unsere Grenzen noch dichter“.

Denn diese Strategie ist, wenn man ehrlich ist, schon seit zwei Jahrzehnten gescheitert. Mit jeder neuen Flüchtlingswelle seit Mitte der 90er Jahre wurden rund um Europa höhere Mauern errichtet — realer wie juristischer Art. Gebracht haben sie, wie die Flüchtlingszahlen des vergangenen Jahres gezeigt haben, nichts — außer der schleichenden Verwandlung des Mittelmeers in ein maritimes Massengrab.

Aber vermutlich wollten die Teilnehmer des Wiener Gipfels gar keine besseren, nachhaltigeren Ideen entwickeln. Den meisten der Regierungschefs ging es nicht um außenpolitische Lösungen, sondern um innenpolitische Signale an ihre verunsicherten Bürger. Und um Entschlossenheit zu demonstrieren, eignen sich ein paar zusätzliche europäische Grenzbeamte allemal besser als langwierige Programme, mit denen eventuell die Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Menschen gemildert werden könnten.

Von derartigen Maßnahmen war in Wien dann auch kaum noch die Rede. Stattdessen durfte sich Österreichs Kanzler Kern, der demnächst wohl bei einer Neuwahl gegen seinen Außenminister Kurz antreten muss, als entschlossener Diplomat inszenieren. Ungarns Brachialpolitiker Orbán wiederum nahm das Referendum seines Landes am kommenden Sonntag über die Flüchtlingspolitik fest ins Visier und schwadronierte von „gigantischen Flüchtlingslagern“ in Libyen und „neuen Verteidigungslinien“.

Geballter Unsinn

Und Kanzlerin Merkel hörte sich diesen Unsinn geduldig an, weil sie genau weiß, dass ihr nur die verbarrikadierte Balkanroute und geringere Flüchtlingszahlen das politische Überleben sichern. Von Willkommenskultur und offenen innereuropäischen Grenzen, die Merkel im vergangenen Herbst einforderte, ist bei ihr nichts mehr zu hören. Unter ihrer Führung wurden die Asylgesetze mehrfach verschärft, dem EU- Türkei-Abkommen sollen jetzt weitere derartige Verträge mit einer ganzen Reihe afrikanischer und asiatischer Staaten folgen.

Merkel hat längst eine 180-Grad-Wende vollzogen, wer immer noch behauptet, sie lasse Asylbewerber unkontrolliert ins Land, der hat etwas verpasst. Auch die Kanzlerin agiert, so wie all die anderen europäischen Egoisten, als Getriebene der Innenpolitik und setzt auf Abschottung statt auf eine Lösung des Fluchtproblems.

Dass allerdings ausgerechnet die armen Staaten an der europäischen Peripherie die Probleme dieses reichen Kontinents auf Dauer lösen werden, dürfte sich als Trugschluss erweisen. Im besten Fall erkauft sich Europa mit den geplanten Rückführungsabkommen ein wenig Zeit, um nach besseren Antworten zu suchen — etwa, in dem es endlich Möglichkeiten für eine legale Migration nach Europa schafft.

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