Hoffentlich geht was schief!

28.12.2018, 11:26 Uhr
Hoffentlich geht was schief!

© Illustration: Michael Jordan

Ein Experiment muss scheitern können. Sonst wäre es kein Experiment. Am Anfang ist offen, was am Ende herauskommt. So, wie bei jedem neuen Jahr. "Das Scheitern wird noch viel zu wenig genutzt", sagt Sebastian Schuol. "Dabei können wir viel daraus lernen." Im neuen Jahr wird der Philosoph das Scheitern in der Wissenschaft in einem Seminar für Studenten an der Uni in Erlangen unterrichten.

Schuol hat die Vortragsreihe "Die Zukunft der Forschung" geplant, die im November und Dezember im Nürnberger Planetarium zu sehen war. Er hat sich überlegt, welche Technologien, Projekte und Fragen in der Wissenschaft gerade besonders zukunftsweisend sind.

Da ist etwa Anja Bosserhoff, die Schwarzen Hautkrebs heilen will. Dafür untersucht die Biologin, warum Zellen sich überhaupt verändern. "Moderne Medizin geht den Ursachen auf den Grund, statt nur Symptome zu bekämpfen", erklärt die Professorin. Anders ist das bei einer Kopfschmerztablette: Die sorgt zwar dafür, dass nichts mehr weh tut, aber verhindert nicht, dass der Schmerz wieder kommt. "Eine Chemotherapie zerstört die Krebszellen, aber lieber wäre uns, wenn sie gar nicht erst entstehen."

Die Ursachen suchen statt Kopfschmerztabletten zu verteilen

Bosserhoff und ihrem Team am Erlanger Lehrstuhl für Biochemie und Molekulare Medizin ist es in 14 Jahren gelungen, aus den Erkenntnissen der Grundlagenforschung neue Therapien und Medikamente zu entwickeln. "Das ist auf diesem Gebiet sehr schnell", sagt sie. Der Medizin auf Molekülebene, der Zusammenarbeit von Biochemikern und Ärzten, prophezeit sie "eine große Zukunft, die gerade erst beginnt". Ihr Wunsch wäre es, Tumore eines Tages "wie eine chronische Krankheit" behandeln zu können, mit der die Betroffenen ein einigermaßen normales Leben führen.

Auch Franz Hofmann muss beruflich in die Zukunft schauen. Der Jurist versucht Probleme zu bewerten, bevor sie entstehen. Er überlegt, wer haftet, wenn ein selbstfahrendes Auto einen Unfall baut. Wer kommt für Langzeitschäden auf, die ein Roboterarm dem Mechaniker zufügt? Wer zahlt die teuren Rosen, die der automatische Rasenmäher umgefahren hat?

"Das deutsche Haftungsrecht ist flexibel und kann auch auf neue Technik eingehen", sagt der Inhaber des Erlanger Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Technikrecht. Trotzdem müssen die Juristen vorausdenken, wie sich die Technik weiterentwickelt und welche Möglichkeiten und Risiken dabei entstehen. Die Gesetzgebung soll nicht von gestern sein.

Hofmann muss sich dafür auch jenseits seines Fachgebiets auskennen. Er braucht Informatik- und Maschinenbaukenntnisse, um zu verstehen, wie ein autonomes Fahrzeug fährt. Er muss sich mit moralischen Fragen auseinandersetzen: Kann eine Maschine im Zweifelsfall "entscheiden", welches Menschenleben sie gefährdet, das des Fahrers oder eines Fußgängers?

"In Zukunft wird es immer wichtiger, dass verschiedene Fachbereiche zusammenarbeiten", sagt Sebastian Schuol. Er hat Molekulargenetik und Philosophie studiert und arbeitet am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen, kurz ZiWis, an der Uni Erlangen-Nürnberg. Dort überlegen sich die Mitarbeiter: Wie funktioniert Forschung? Wo wollen wir hin? Und wie gelingt uns das?

Damit Wissenschaftler über Fachgrenzen hinweg zusammenarbeiten, sorgt das ZiWis für Begegnungen. Experten tauschen sich mit Kollegen aus aller Welt aus, jedoch vor allem in ihrer Disziplin. "Die Nachbarn an der eigenen Uni sind oft ein blinder Fleck", sagt Schuol. Im Oktober lud das ZiWis deshalb erstmals zu einem fächerübergreifenden Workshop zum Thema "Big Data" ein. Astrophysiker, Literaturwissenschaftler, Mediziner, Geografen und viele mehr diskutierten dort zwei Tage lang über Chancen und Herausforderungen großer Datenmengen.

Ein ähnliches Ziel verfolgt die Reihe "Wie tickt eigentlich?". Darin erklären zwei Professoren sich und dem Publikum, die Eigenheiten ihres Fachs. Im November diskutierten ein Jurist und ein Philosoph. Im Dezember eine Chemikerin und ein Mediziner. Im Januar treffen Ingenieur und Soziologin aufeinander. Das ZiWis will den Uni-Angehörigen ermöglichen, "die eigenen Vorstellungen über fremde Fächer einem Realitätscheck zu unterziehen".

Frühere Universalgelehrte wie Leonardo da Vinci oder Alexander von Humboldt kannten sich noch in vielen Gebieten aus, von der Malerei bis zur Mathematik. heute ist es nicht mehr möglich alles zu wissen. Trotzdem hilft der Blick nach links und rechts. "Denn die Welt ist niemals disziplinär", sagt Schuol. Es hilft sogar, wenn sich Wissenschaftler von Science-Fiction-Autoren inspirieren lassen. Faxgeräte, Klapphandys, Flachbildschirme und Smartwatches tauchten schon in den 1960er und 1970er Jahren in der Serie "Raumschiff Enterprise" auf. Zehn bis 40 Jahre hat es gedauert, bis sie Wirklichkeit wurden.

Solche Ideen will auch das Zukunftsmuseum in Nürnberg fördern. Die neue Außenstelle des Deutschen Museums baut, angelehnt an die Enterprise, ein "Holodeck", das den Besuchern virtuelle Welten zeigt. Auch das Modell eines "Wurmlochs" wird es geben. Im Film können die Figuren durch dieses "Loch" große Entfernungen im Weltraum überwinden, durch die Zeit reisen oder in ein Paralleluniversum. Die ursprüngliche Theorie über solche Abkürzungen stammt von Albert Einstein.

"Wir wollen die Technik der Zukunft ausstellen, Dinge, die gerade erst als Prototypen im Entstehen sind", sagt Melanie Saverimuthu, die die Ausstellung plant. Aktuell kümmert sie sich um ein Flugtaxi. "Die Zukunft ist noch nicht gemacht", sagt sie. "Sie ist offen und alle können sie mitgestalten." Ende 2020 soll das Museum auf dem Augustinerhof neben dem Nürnberger Hauptmarkt fertig sein. Auf vier Stockwerken können die Besucher dann "Themen- und Phantasiewelten" entdecken, zu Arbeit und Alltag, Körper und Geist, dem System Erde, Leben in der Stadt sowie Raum und Zeit.

Das Museum will mit Hochschulen und Forschungsinstituten in Nordbayern zusammenarbeiten. Im Gegensatz zum Hauptstandort in München soll keine Technikgeschichte zu sehen sein. "Das Deutsche Museum Nürnberg stellt Projekte aus der aktuellen Forschung vor, die möglicherweise morgen unser Leben beeinflussen", steht auf der Homepage.

Die Zukunft kann auch Angst machen. "Was technisch kein Problem ist, kann ethisch problematisch sein", sagt Andreas Gundelwein, Projektleiter des neuen Museums. "Darüber wollen wir mit den Menschen diskutieren." Forscher dürfen nicht alles machen, wozu sie im Stande wären. Nachrichten wie die genveränderten Zwillinge in China erschrecken die Leute. Und nur weil ein Roboterarm stärker wäre, würden sich wohl nur wenige einen eigenen, gesunden Arm amputieren lassen.

"Die Wissenschaft genießt immer noch hohes Vertrauen, aber sie wird auch zunehmend hinterfragt", beobachtet Philosoph Schuol. "Die Menschen wünschen sich mehr Transparenz und Einsicht." Schließlich finanzieren sie die Forschung durch ihre Steuern mit.
 

 Es ist nötig, Wege zu fördern, die noch niemand gegangen ist
 

Drei Milliarden Euro, hat die Bayerische Staatsregierung im Juli versprochen, sollen in den kommenden zehn Jahren in die Universität Erlangen-Nürnberg, in die Technische Hochschule Nürnberg und in eine neue Technische Universität Nürnberg (TUN) fließen. Ministerpräsident Markus Söder will damit "Nordbayern zu einem deutschlandweit und international konkurrenzfähigen Hochschul-, Wissenschafts- und Technologiestandort" ausbauen. Die TUN soll "den Charakter der Stadt Nürnberg grundlegend verändern – von einem Arbeiter- zum Innovationsstandort", sagt Söder.

Die Planer der Technischen Universität haben sechs Zukunftsfelder ausgemacht, die auf dem Campus ab 2025 erforscht und gelehrt werden sollen. Darunter Mechatronik, Bioingenieurwesen, Quantentechnologie und Informatik. Sie setzen ebenfalls auf die Zusammenarbeit der Disziplinen. Jeder technische Studiengang soll zu 20 Prozent Inhalte aus den Sozial- und Geisteswissenschaften enthalten. "Wir wollen keine Technik-Nerds hervorbringen, sondern Experten mit Sozialkompetenzen, die unsere Gesellschaft voranbringen", sagt die damalige bayerische Wissenschaftsministerin Marion Kiechle bei der Projektvorstellung.

Wo Politik und Wirtschaft heute Geld investieren, wird es in den kommenden Jahren mehr Erkenntnisse geben. Mitte Dezember feierte in Erlangen das Helmholtz-Institut für erneuerbare Energien Richtfest. 32 Millionen Euro kostet das Gebäude, in dem ab 2019 mehr als 100 Wissenschaftler und Mitarbeiter forschen werden. Weitere 29 Millionen Euro brachte Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger mit, für ein Projekt zu wasserstoffbetriebenen Zügen, und 5,5 Millionen für neue Photovoltaik-Technologie. "Wir wollen unseren Beitrag leisten, die Welt zu verändern", sagt der Gründungsdirektor des Instituts Peter Wasserscheid. "Dazu müssen wir aufhören, Öl zu verbrennen und CO2 in die Luft zu blasen." Mit zwei Kollegen stand er in diesem Jahr auf der Liste der drei Nominierten für den Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation.

"Wissenschaft zeichnet sich durch neue Wege aus, die noch niemand gegangen ist", sagte Franziska Broer, Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft beim Richtfest. Deshalb brauche es auch außerhalb der Labore den Mut, diese Wege zu fördern. "Obwohl man nicht weiß, ob sie zum Ziel führen."

Weil das niemand wissen kann, gebe es die Zukunft eigentlich gar nicht, meint Sebastian Schuol. Richtig wäre es, von "den Zukünften" zu sprechen. Denn viele Varianten sind möglich – auch das Scheitern. Er wäre dafür, Misserfolg absichtlich und ohne Angst zuzulassen und den Leuten lieber von klein auf beizubringen, gut damit umzugehen. "Die Welt funktioniert nun einmal so, dass Dinge schiefgehen." Jeden Misserfolg als neue Chance zu sehen – das ist wirklich zukunftsweisend.

 

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