Im Rudel muss immer einer der Chef sein

Im Rudel muss immer einer der Chef sein

© Alexander Pfaehler

Es war eine Rechenaufgabe für seinen Hund, die Max Denzinger zu seiner Berufung brachte. Seiner Berufung als Hundeflüsterer. Er war mit einem Freund spazieren, als Denzinger seinen damaligen Hund einen Trick vorführen lassen wollte: 20 Stöcke steckte er in eine Wiese und sagte zu seinem Hund: „Hol den elften Stock!“ Der gehorchte aufs Wort und schnappte sich genau den elften Stock aus der Wiese. Denzingers Freund war beeindruckt – und brachte ihm am nächsten Tag seinen Schäferhund vorbei. Es waren am Anfang vor allem Bekannte, die mit ihren Hunden zu Denzinger kamen – weil die Tiere nicht gehorchen wollten, weil sie die Wohnung verwüsteten, weil sie aggressiv waren. Und der 45-Jährige sagt, er habe den Hunden alle schlechten Marotten abgewöhnen können.

Inzwischen zählt auch das Tierheim in Gunzenhausen zu Denzingers besten Kunden. Die Zusammenarbeit entstand durch einen Zufall, Denzinger brachte einen Sack Futter im Tierheim vorbei, beim Plaudern mit Leiterin Edith Neumann kam man auf einen besonders schwierigen Vierbeiner im Tierheim zu sprechen. Es dauerte keine halbe Stunde, da ging der vermeintliche Problemhund brav an Denzingers Leine. Solche Wunderwerke verbringt er seitdem regelmäßig, doch nicht nur zu aggressiven oder verhaltensgestörten Tieren wird er gerufen. Jeder Hund im Tierheim wird von Denzinger trainiert, bevor er an einen neuen Besitzer übergeben wird. Dabei geht der 45-Jährige die Standardbefehle Sitz, Fuß und Platz mit ihnen durch und lässt sie einen eigenen Wesenstest durchlaufen. Wie verhält sich der Hund gegenüber Erwachsenen und Kindern? Bleibt er ruhig, wenn man ihn vor dem Supermarkt anbindet?

Denzinger hat ein Geheimrezept, das so geheim gar nicht ist: Die Körpersprache entscheidet. Denn die Tiere beobachten den Menschen genau. „Bevor sie einen Gedanken zu Ende gedacht haben, ist er schon im Kopf vom Hund“, sagt Denzinger. Das ist an und für sich nicht überraschend, schließlich können Menschen nicht (richtig) bellen und Hunde nicht sprechen, sodass eine verbale Kommunikation zwangsläufig in Missverständnissen endet. Nur: Viele Hundehalter plaudern trotzdem mit ihrem Vierbeiner und wundern sich, wenn der nicht richtig reagiert. Neunzig Prozent der deutschen Hunde glauben, sie heißen „Nein“, lacht der Hundeflüsterer. Dabei denke das Tier nur, es werde beachtet, wenn nach einem Fehlverhalten mit ihm ausgiebig geschimpft wird. Und wenn man doch mit dem Hund spreche, müsse man zumindest auf den Tonfall achten. „Zu neunzig Prozent muss ich den Menschen trainieren und nur zu zehn Prozent den Hund“, sagt Denzinger deshalb auch.

Was er ganz genau mit den Hunden macht, will der Hundeflüsterer aber nicht verraten. Sonst, sagt er, könne das schließlich jeder machen. Als kleines Kind habe er stundenlang Hunde beobachtet, erzählt Denzinger: Wie ist die Stellung des Schwanzes, wie sieht das Fell aus, wenn der Hund wütend oder ängstlich ist? Denzingers Opa bildete Polizeihunde aus, als kleiner Junge hatte er beim Spielen bis zu zehn Hunde um sich.

Die meisten Menschen, glaubt Denzinger, haben verlernt, auf ihre Instinkte zu hören. Wenn es mit einem Hund schiefläuft, liege es deshalb oft daran, dass das Tier in der Rudelordnung über dem Menschen stehe – weil der ihm keine Sicherheit vermittelt habe. „Der Hund ist damit aber überfordert. Er hat dann nur zwei Möglichkeiten, entweder er flüchtet oder er wird aggressiv“, sagt Denzinger.

Er räumt ein, dass es in der neueren Hundepsychologie auch andere Meinungen gibt, die nicht davon ausgehen, dass die Beziehung zwischen Mensch und Hund ausschließlich dadurch geprägt ist, wer der Rudelführer ist. Doch das ist nicht seine Überzeugung. Dabei ist seiner Ansicht nach nicht der Stärkste der Chef, sondern der, der am besten in der Lage ist, das Überleben des Rudels zu sichern. Deshalb kann es unter Hunden durchaus vorkommen, dass ein Chihuahua über einem Rottweiler steht. Dass man selbst derjenige ist, der ein Rudel am besten führt, vermittle ein Mensch mit seiner Körpersprache und seiner mentalen Einstellung. Dann sei viel möglich: „Ein Hund ändert sein Wesen in einer Stunde“, ist Denzinger überzeugt. Selbst einen alten Hund könne man dann noch bessern, sagt Denzinger, es dauere vielleicht etwas länger. Wichtig ist aber vor allem eins: Auch der Mensch muss bereit sein, sich zu ändern.

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