Kinder lernen ohne Lärm und Stress

7.2.2007, 00:00 Uhr
Kinder lernen ohne Lärm und Stress

© Eduard Weigert, Andrea Gerber-Kreuzer

Die großen Türen zu den Fluren wurden gerade eingesetzt. Der Besucher kann problemlos, wie im Fantasy-Film, durch die geschlossenen Türen steigen, die Glasscheiben fehlen noch.

Schulleiterin Monika Mur-phy unterrichtet gerade mit Unterstützung der Sozialpädagogin Nicole die «Anaconda»-Gruppe. Ganz ungewohnt sitzen Kinder aus verschiedenen Altersgruppen auf blaugemusterten Sitzbananen. Manche hören zu, andere diskutieren angeregt über Wahlen und Politik. Ihre Lehrerin illustriert das Thema mit einem Comic-Heft, das das Parteiensystem anhand von Tiergruppen anschaulich macht. Für die «Partei badender Nils, PBN» ziehen Nilpferde in den Wahlkampf, Bären, Hasen und Wildschweine setzen sich für Frieden ein.

«Das Thema ergab sich, weil zu unserer Einweihungsfeier Oberbürgermeister Ulrich Maly eingeladen war», erklärt Monika Murphy den Bezug. Die Kinder bekommen eine Aufgabe und recherchieren selbst in Büchern und im Internet, sobald der Anschluss angestöpselt ist. In jeder Gruppe lernen jeweils fünf bis sechs Kinder zwischen sechs und zehn, also entsprechend den Klassenstufen eins bis vier der Regelschule.

Doch nicht nur durch die gemischten Lerngruppen unterscheidet sich die Jenaplan-Schule von den herkömmlichen Grundschulen. Die Schüler sitzen an ihren Tischen und arbeiten am Ergebnis ihrer Nachforschungen. Dabei unterhalten sie sich, gehen auch mal zu den Nachbarn hinüber, doch keiner blödelt, schreit oder macht Rabatz. Bei ihrer Lehrerin laufen alle Fäden zusammen: Kinder stellen Fragen, sie gibt ihnen Arbeitsmaterial. Doch sie redet nicht ununterbrochen, ermahnt niemanden zur Ruhe oder zum Aufpassen.

Mehr Spaß

«Wenn sich die Kinder eigenständig mit einem Thema beschäftigen, merken sie sich den Stoff besser, denn zum Schluss müssen sie ihre Ergebnisse aufschreiben und den anderen vortragen» erklärt Monika Murphy, die sich nicht vorstellen kann, jemals wieder anders zu unterrichten. «Es macht viel mehr Spaß und ist viel effektiver», findet sie, wenn sie den Vergleich mit ihrer Zeit in einer Regelschule zieht.

Der Stoff wird in Portionen aufgeteilt, die Kinder haben Wochenarbeitspläne - manche erledigen das schneller, manche langsamer. Ältere und Jüngere, Stärkere und Schwächere ergänzen sich, die Lehrkräfte reiben sich nicht im Frontalunterricht auf. Dafür müssen diese viel spontaner auf die Fähigkeiten und Interessen der einzelnen Kinder reagieren.

Die meisten Schüler sind auch nachmittags in der Schule und essen hier zu Mittag. Denn das Schulkonzept ist auf ein Ganztagsangebot ausgelegt. So bleibt ausreichend Zeit für die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schüler, wie es auch die reformpädagogischen Ziele der Jenaplan-Schulen vorsehen: «Die Förderung des Einzelnen in der Gemeinschaft ist der wesentliche Ausgangspunkt jeder Arbeit», so steht es im Grundsatzprogramm.

Lesen durch Schreiben

Auch wenn die Schüler vieles in Freiarbeit lernen, so wird doch der Lehrplan nicht außer Acht gelassen. Auch die Jenaplan-Schüler lernen Lesen durch Schreiben mit einer Anlauttabelle, wie ihre Altersgenossen auf der Regelschule. Aber auf der Reformschule haben sie die Chance, die Lernfortschritte in ihrem eigenen Tempo und nach ihren Fähigkeiten zu machen.

Viel Wert legt die Schule auf die Arbeit der Sozialpädagogen in den Gruppen. Zum einen lassen sich auf diese Weise frühzeitig Konflikte vermeiden, aber auch aufarbeiten und beilegen. Doch auch die Förderung von Kindern mit Behinderungen, Wahrnehmungsstörungen oder von Hochbegabten ist wesentlicher Teil ihrer Arbeit.

Zudem kümmert man sich um die Sorgen und Nöte der Kinder. In der Kindersprechstunde können sie sich an die Sozialpädagogen ihrer Gruppe wenden. «Sicher haben wir auch unsere Konflikte, aber wir wollen sie erkennen und vernünftig damit umgehen», betont Monika Murphy.

www.jenaplan.org