Magische Schattenspiele in Gunzenhausen

29.3.2016, 07:52 Uhr
Magische Schattenspiele in Gunzenhausen

© Kristy Husz

Die Leichtigkeit und die Geschwindigkeit, mit der die fünf Tänzerinnen (Anjuli Bhattacharyya, Chantalle Herrera, Suzzanne Ponomarenko, Danielle Tamburro und Ashley Turenchalk) und drei Tänzer (Jarred Bosch, David Flores und Chris Phan) aus den USA die Silhouetten ihrer Körper zu immer neuen Formen und Figuren verbiegen, lassen im sehr gut gefüllten Theaterhaus wiederholt spontanen Applaus aufbranden. Absolut berechtigt ist die vom ehemaligen Bühnenstar Adam Battelstein geleitete Tanzkompanie „Catapult Entertainment“ zum zweiten Mal auf großer Deutschlandreise und macht mit ihrem berstend vollen Tourkalender glücklicherweise in vielen kleineren Städten Halt.

Agentin getarnt als Hausfrau

Was so einfach aussieht, erfordert – neben einer verschiedenfarbig beleuchteten Projektionsfläche, einigen Requisiten und passender Musik – ein Höchstmaß an Kraft, Präzision und Ausdauer von den Tanzakrobaten, die nicht zufällig Kickboxen oder Taekwondo zu ihren Hobbys zählen. In teils irrem Tempo verändern sich die Scherenschnittszenen auf der Leinwand; besonders flott geht es in einer Laune machenden Choreografie zu, in der eine als Hausfrau getarnte Geheimagentin mehrmals zwischen Esszimmer und Vorgarten hin und her sprintet und die Wohnungseinrichtung blitzschnell zu Briefkasten, Baum und Hecke mutiert – und vice versa.

Wie menschliche Brezeln verschlingen sich die jungen Künstler, stellen lediglich mit ihren eigenen Schatten Hubschrauber, Seepferdchen, indische Gottheiten oder grinsende Kürbisgesichter dar. Acht in sich abgeschlossene Storys werden so geschildert, dazwischen geben kurze Intermezzi (eines davon ein betörender Lichttanz vor der Projektionswand) mit eher lockerer Dramaturgie die dringend benötigte Zeit zum Durchatmen, bevor das nächste spannende Stück wartet.

Magische Schattenspiele in Gunzenhausen

© Kristy Husz

Dieses führt mal zurück in den Wilden Westen, inklusive alter Dampflok, Saloon-Schlägerei und High-Noon-Duell, oder gleich um die ganze Welt, wenn ein Teddybär und seine Besitzerin unter anderem den Eiffelturm besuchen, mit einer venezianischen Gondel umherschippern, einem japanischen Sumo-Ringer begegnen und sogar auf dem Mond landen, um am Ende glücklich zur Familie heimzukehren.

Auffallend oft sind die Haupthandelnden in diesem Schattentanztheater Kinder. Kraft ihrer Imagination überwinden sie Ängste, Monsterdrachen und Mobbing, ihre (Alb-) Träume sind ein gefundenes Fressen für das Können der Artisten. Die mit bloßen Händen geformte, lebensechte Schar der Spinnen dürfte im Publikum jedenfalls den einen oder anderen Schauer über den Rücken gejagt haben.

Ganz anders schüttelt dagegen eine weitere „Kinder-Performance“ durch: Die Choreografie „Milestones“ ist den Opfern des Amoklaufs an der amerikanischen Sandy Hook Elementary School im Dezember 2012 gewidmet. Sie versteht sich als Geschenk an die Eltern der 20 getöteten Grundschüler und lässt in liebevoll gestalteten Visualisierungen ein gesamtes Menschenleben Revue passieren, wie es die Ermordeten nie werden erfahren dürfen. Von den kleinen Glücksmomenten der Kindheit über die Schwelle des Erwachsenseins bis zu dem einschneidenden Ereignis, Großmutter oder Großvater zu werden – diese wortlos erzählte Lebensgeschichte berührt sehr und ist sicherlich der emotionale Höhepunkt eines an Gefühlsregungen nicht armen Abends.

So bekommt zum Beispiel auch die Wiedervereinigung Deutschlands einen Platz im Schattenreich, wird in düsteren Bildern der Schrecken der innerdeutschen Grenze heraufbeschworen und mit unmissverständlichen Symbolen die friedliche Bezwingung der Berliner Mauer gefeiert. Aufwühlend! Der Transfer auf tagesaktuelle Geschehnisse und die Überlegung, warum eine Forderung nach Stacheldraht und Schießbefehl gerade bei unserer Vergangenheit total dämlich ist, bleibt jedem selbst überlassen.

Eisbahn in der Stadthalle

Welch krassen Kontrast bietet da doch das Fest der Sinne, das die Tänzer zu den barocken Klängen der „Vier Jahreszeiten“ Vivaldis veranstalten. Voller Lenzhormone wimmeln Frösche, Froschprinzen, Raupen und Schmetterlinge über das Parkett, die unterschiedlichen Schwimmer-Typen des Sommers entlocken den Zuschauern lautes Lachen, gigantische Bierkrüge und Äpfel werden im Herbst verputzt, und im Winter kann man Pinguine sowie die Schlittschuhläufer auf der kurzfristig in die Stadthalle verlegten Eisbahn bewundern.

Zwei Stunden später ist der wunderbare Spuk der Schemen schon wieder vorbei. Das sympathische Ensemble bedankt sich noch mit einer kleinen Zugabe für den rauschenden Beifall und sitzt dann lächelnd und signierend im Eingangsbereich, als hätten seine Schatten nie ein Eigenleben geführt.

Also alles nur ein „Frühlingsnachtstraum“ – der Spitzenklasse.

 

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